Herr Klötzsch, warum ist ein Schlaganfall so gefährlich?
Wir unterscheiden zwei große Gruppen von Ursachen für Schlaganfälle. Die Mehrzahl der Schlaganfälle wird durch den Verschluss einer hirnversorgenden Arterie ausgelöst. Schon nach mehr als drei Minuten Mangeldurchblutung kommt es zum ersten Auftreten von Gewebeschäden im Gehirn. Kein anderes menschliches Organ reagiert so empfindlich auf eine Mangeldurchblutung wie das Gehirn.
Innerhalb der nächsten Stunden kann ein Schlaganfall bei Fortbestehen des Gefäßverschlusses größer werden. Eine andere mögliche Ursache für einen Schlaganfall ist eine Hirnblutung, bei der es zu einem Einriss in einer Hirnschlagader kommt. Der Bluterguss drückt dann auf das Hirngewebe und löst neurologische Ausfallerscheinungen aus.
Wie kann es sein, dass ein Schlaganfall manchmal gar nicht bemerkt wird?
Weitere Ursache sind mikroangiopathische Hirninfarkte, bei denen es durch die Einwirkung von Gefäßrisikofaktoren zum Verschluss winzig kleiner Blutgefäße im Gehirn kommt. Viele dieser Mini-Schlaganfälle bleiben für die Patienten anfangs unbemerkt, führen auf Dauer jedoch zu einer vaskulären Demenz, einer Gangstörung und einem Kontrollverlust über die Blase.
Was können erste Anzeichen sein?
Erste Anzeichen für einen Schlaganfall können flüchtige neurologische Ausfallerscheinungen sein, die sich innerhalb von wenigen Minuten zurückbilden und als transitorisch ischämische Attacke bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um vorübergehende Blutgefäßverschlüsse, die der Körper selbst wieder auflösen kann, bevor es zu einem Gewebeschaden im Gehirn kommt.
Leider unterschätzen viele Betroffene die Bedeutung flüchtiger Lähmungserscheinungen, halbseitiger Taubheitsgefühle, Sprachstörungen, Doppelbilder oder auch einseitiger Erblindungen und suchen nicht sofort einen Arzt auf, weil sich die Symptome wieder von alleine zurückgebildet haben.
Wann sollte man ärztliche Hilfe holen?
Beim Auftreten der oben genannten Symptome sollte der Betroffene, unabhängig davon, ob sie vorübergehend oder dauerhaft bestehen, umgehend den Notarzt rufen. Keinesfalls sollte er versuchen, selbst mit dem PKW den Hausarzt oder das nächste Krankenhaus zu erreichen.
Der Zeitfaktor spielt eine große Rolle für die Prognose?
Ja, in der Mehrzahl der Fälle wird der Schlaganfall in den ersten Minuten und Stunden nach Symptombeginn noch größer, so dass das frühzeitige Einleiten therapeutischer Maßnahmen das endgültige Ausmaß der im Gehirn eintretenden Gewebeschädigungen deutlich begrenzen kann. Schon vor über 30 Jahren wurde der Begriff „time is brain“ geprägt.
Welche Folgen sind nach einem Schlaganfall zu erwarten und welche sind in der Regel reversibel?
Das Ausmaß der Folgen eines Schlaganfalls hängt nicht nur von der endgültigen Größe des geschädigten Hirnareals ab, sondern ganz entscheidend ist auch die Lokalisation des Schlaganfalls im Gehirn. An einigen Stellen im Gehirn reichen schon fünf Millimeter große Schlaganfälle aus, um den Patienten für den Rest seines Lebens stark körperlich zu beeinträchtigen. Ob die Folgen eines Schlaganfalls reversibel sind, hängt neben den oben genannten Faktoren auch vom Alter des Betroffenen und von Vorschädigungen des Gehirns ab.
Was kann neben dem Lebensstil für einen Schlaganfall verantwortlich sein?
Zu den sogenannten Gefäßrisikofaktoren wie Rauchen und Übergewicht zählen auch Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Fettstoffwechselstörungen. Je nach Ausprägung der Risikofaktoren kann sich das Schlaganfallrisiko durch jeden einzelnen Faktor um das Fünffache erhöhen.
Zum Thema Blutfettwerte: die sind tückisch, denn ein hoher Cholesterinspiegel tut nicht weh. Im Blutbild gibt es die Cholesterinwerte HDL und LDL. Für den Laien, was ist der Unterschied?
Nach der Aufnahme von Cholesterin mit der Nahrung wird es aus dem Darm ins Blut aufgenommen und dort von Fettpartikeln in die Körperzellen transportiert. Das Cholesterin, das der Körper selbst in der Leber produziert, wird an bestimmte Eiweiße, an Lipoproteine wie LDL gebunden und von der Leber zu den Körperzellen transportiert.
HDL-Cholesterin transportiert im Körper Cholesterin zur Leber, über die es dann letztendlich mit der Gallenflüssigkeit ausgeschieden wird. Hohe HDL-Werte können vor Ablagerungen an den Blutgefäßwänden, der Arteriosklerose schützen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass auch die LDL-Werte niedrig sind.
Können hohe Cholesterin-Werte auch vererbbar sein?
Ja, tatsächlich können hohe Cholesterinwerte auch Folge einer angeborenen, genetischen Fettstoffwechselstörung sein, die dazu führt, dass der Körper unabhängig von der nahrungsbedingten Aufnahme von Cholesterin zu viel Cholesterin in der Leber produziert.
Wann ist es sinnvoll, einen hohen Cholesterinspiegel medikamentös zu behandeln?
Bei allen angeborenen Fettstoffwechselstörungen reicht eine alleinige Umstellung der Ernährung nicht aus, um die Störung ausreichend behandeln zu können. Vielmehr ist bei vorliegenden Gefäßerkrankungen eine konsequente medikamentöse Therapie erforderlich.
Darüber hinaus wird heutzutage allen Menschen, die einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt erlitten haben empfohlen, durch Cholesterinsenker, zumeist aus der Gruppe der Statine, Einfluss auf den Cholesterinspiegel zu nehmen. Denn das hat einen unmittelbar positiven Einfluss auf die Eigenschaften der Innenseite der Blutgefäßwände.
Viele müssen sich nach einem Schlaganfall wieder ins Leben zurückkämpfen. Wie geht es nach der Akutbehandlung auf der Stroke-Unit des Krankenhauses für Patienten weiter?
Schon während des Aufenthaltes in der Akutklinik stellen die Ärzte bei den Krankenkassen einen Antrag auf eine ambulante oder stationäre Rehabilitationsbehandlung. Aktuell haben wir teilweise Wartezeiten auf Reha-Plätze, so dass Patienten vorübergehend in Pflegeeinrichtungen untergebracht werden müssen, wenn sie zu schwer betroffen sind, um nach Hause zurückkehren zu können.
Nach Abschluss der stationären Rehabilitationsbehandlung sollten die Patienten von Hausärzten und Neurologen weiter betreut werden, um durch geeignete Behandlungsmaßnahmen das Risiko für weitere Schlaganfälle zu senken und die Einstellung der Gefäßrisikofaktoren weiter zu überwachen. Bei berufstätigen Schlaganfallpatienten ist auch eine stufenweise Wiedereingliederung in den Beruf oder in eine neue, auf die Beeinträchtigung angepasste Tätigkeit erforderlich.
Es gibt Selbsthilfegruppen für Betroffene und auch für Angehörige. Empfehlen Sie Patienten diese Gruppen?
Ich empfehle ausdrücklich, dass sich Patienten und Angehörige entsprechenden Selbsthilfegruppen anschließen, der Austausch ist wertvoll. Darüber hinaus hilft vielen Patienten das Engagement in einer Selbsthilfegruppe auch bei der Krankheitsverarbeitung.
Schlaganfall kann jeden treffen. Wie ist die prozentuale Verteilung nach Altersgruppen?
In Abhängigkeit vom jeweiligen Geschlecht muss in der Altersgruppe der unter 45-Jährigen Erwachsenen mit einer Schlaganfallrate von etwa zwei Fällen auf 10.000 pro Jahr gerechnet werden. Bei den 45- bis 64-Jährigen steigt das Risiko um das 10-fache auf zwei von 1000 pro Jahr. Bei den 65- bis 84-jährigen werden Schlaganfallraten von acht auf 1000 pro Jahr erreicht.