„Welche Blutgruppe haben Sie?“ Darauf können viele Bundesbürger keine Antwort geben. Gleichzeitig hat die Corona-Pandemie das Thema Blutgruppe in den Fokus gerückt. Angeblich spielt die Blutgruppe eine Rolle dabei, wie schwer Menschen am Coronavirus erkranken. Auch die optimale Ernährung soll von der Blutgruppe abhängen. Aber was hat es den Merkmalen A, B und 0 auf sich? Antworten auf wichtige Fragen:
Was drücken die Blutgruppen-Buchstaben aus?
Die Blutgruppen A, B, AB und 0 stehen für unterschiedliche Blutmerkmale. Sie bestimmen maßgeblich, ob sich das Blut mit dem eines anderen Menschen mischen lässt, konkret: Ist eine Blutspende möglich? A und B bezeichnen Antigene, die auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen sitzen. Blutgruppe AB hat beide dieser Merkmale, 0 keines davon.
Was ist die Aufgabe der Antigene?
Sie bestimmen über die Antikörper, die das Immunsystem bildet: Der Körper produziert innerhalb des ersten Lebensjahrs Antikörper gegen jeweils die Antigene, die er nicht hat. Das ist für Bluttransfusionen entscheidend. „Wenn die Blutspende nicht zur Blutgruppe des Empfängers passt, kann es zu einer heftigen Immunreaktion kommen“, erklärt Christof Weinstock, Mediziner am Institut für Klinische Transfusionsmedizin und Immungenetik Ulm. Die Folgen können lebensbedrohlich sein.

Worüber informiert der Rhesusfaktor?
Er bezeichnet weitere Antigene, die sich auf den roten Blutkörperchen befinden. Das wichtigste davon ist das D-Antigen. Etwa 85 Prozent der Deutschen haben dieses Antigen, sie sind also Rhesus-positiv (abgekürzt RhD+). Wenn es fehlt (Rhesus-negativ), bildet der Körper unter Umständen Antikörper gegen das D-Antigen. Das kann bei Bluttransfusionen und in Schwangerschaften Probleme bereiten. Daher bekommen Menschen dieser Blutgruppe Rhesus-negative Blutspenden. „Nur im Notfall würde man davon abweichen“, sagt Weinstock. Neben dem AB0- und dem Rhesus-System gibt es noch 36 weitere Blutgruppensysteme. „Wir kennen 365 Oberflächen-Merkmale der roten Blutkörperchen“, sagt Weinstock. Sie spielen bei Transfusionen normalerweise keine Rolle.
Was bedeutet der Rhesusfaktor für Schwangere?
Schwangere Frauen, die Rhesus-negativ sind, werden bislang in der Regel vorsorglich mit Anti-D-Immunglobulinen behandelt. Wenn das Kind Rhesus-positiv ist, könnte die Mutter sonst Antikörper bilden, die für das Baby gefährlich sind. Inzwischen gibt es einen Test, mit dem Schwangere den Rhesusfaktor des Kindes bestimmen lassen können. Wenn das Baby auch Rhesus-negativ ist, ist eine Behandlung nämlich überflüssig.
Sollte man seine Blutgruppe kennen?
Das ist nicht unbedingt nötig. „Es schadet nicht, wenn man sie weiß“, sagt Weinstock. „In der Praxis hat das aber keine Bedeutung.“ Denn vor jeder Transfusion werden die Blutmerkmale ohnehin im Labor bestimmt. Dennoch kann es interessant sein, Bescheid zu wissen: Die Angaben findet man im Blutspender-Ausweis oder im Mutterpass.
Welche Blutgruppen sind in Deutschland am häufigsten?
Die Merkmale A und 0. Die allermeisten Menschen sind zudem Rhesus-positiv. Etwa 37 Prozent der Bundesbürger haben die Blutgruppe A Rh+, gefolgt von 0 Rh+ mit 35 Prozent. Am seltensten ist die Blutgruppe AB Rh- mit nur einem Prozent. „Innerhalb Europas ist die Verteilung relativ ähnlich“, sagt Weinstock. Es kann kleine Abweichungen geben: Im Baskenland sei Rhesus-negativ häufiger, in der Türkei die Blutgruppe B. Weltweit gibt es deutlichere Unterschiede. „In Bangladesch ist zum Beispiel die Blutgruppe B sehr häufig“, erklärt der Experte.
Kann es bei einer Transfusion Probleme geben, wenn man eine seltende Blutgruppe hat?
„Im Notfall können wir Patienten mit Blut der Gruppe Null versorgen“, sagt Christop Weinstock. Spenden mit dem Merkmal „0 Rh-“ werden normalerweise von jedem vertragen. Daher gelten Menschen mit dieser seltenen Blutgruppe als Universalspender. „Wir freuen uns sehr, wenn jemand mit diesen Merkmalen zum Blutspenden geht“, sagt Weinstock. „Aber wir brauchen die anderen Spender natürlich auch.“ Schwierig wird es, wenn Menschen mit der extrem seltenen Blutgruppe „Bombay“, die auf einem Gendefekt beruht, eine Transfusion brauchen: Sie vertragen nur Spenden ihrer eigenen Gruppe. „Da ist nie etwas vorrätig“, sagt der Experte. „Wenn man die Zeit hat, würde man in dem Fall versuchen, national oder international passende Produkte aufzutreiben.“

Sind Menschen mit bestimmten Blutgruppen anfälliger für bestimmt Krankheiten?
Es kommt darauf an. „Man weiß, dass Menschen mit der Blutgruppe 0 gegenüber A seltener schwer an Malaria erkranken“, sagt Weinstock. „Außerdem ist bei A und B die Konzentration von Gerinnungsfaktoren höher als bei Null.“ Das ist ein Vorteil bei Verletzungen, da der Blutfluss schneller versiegt. Andererseits steigt dadurch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Gibt es Nachteile oder Vorteile bei einer Corona-Infektion?
Es gibt Studien, die darauf hinweisen, dass Menschen mit Blutgruppe A zu schwereren Covid-19-Verläufen neigen. Auch das könnte mit den Gerinnungsfaktoren zusammenhängen. Man weiß schließlich, dass Thrombosen bei Covid-19 eine Rolle spielen. Doch das sind bislang nur Vermutungen. Andersherum besteht für Menschen mit der Blutgruppe 0 offenbar ein geringeres Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken wie Forscher aus aus Schleswig-Holstein und Norwegen in einer Studie herausgefunden haben. Dazu untersuchten sie 5000 Blutproben aus Corona-Hot-Spot-Gebieten in Norditalien und Spanien. Das Resultat: Im Vergleich zur Normalbevölkerung hatten signifikant weniger Covid-Patienten die Blutgruppe 0. Auf Grundlage dieser Daten biete diese Blutgruppe einen um 50 Prozent erhöhten Schutz vor einer ernsten Covid-19-Erkrankung, sagt Andre Franke, Direktor des Instituts für Klinische Molekularbiologie an der Kieler Universität. Die Gründe sind allerdings noch weitgehend unklar.
Sollte sich die Ernährung nach der Blutgruppe richten?
Nein. Der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zufolge ist der gesundheitliche Nutzen von Blutgruppendiäten nicht bewiesen.
Warum ranken sich um das Thema Blutgruppen so viele Mythen?
Das ist unklar. „Blut ist ein ganz besonderer Saft, es hat Menschen schon immer fasziniert“, sagt Weinstock. Schon im 17. Jahrhundert haben Ärzte erste Transfusionsversuche unternommen, da früh klar war, dass Blut Leben bedeutet. Nachdem Karl Landsteiner (1868-1943), ein jüdisch-stämmiger Serologe aus Wien, das AB0-System entdeckt hatte, war das Thema Blutgruppen im frühen 20. Jahrhundert in Mode, zumal Landsteiner 1930 einen Nobelpreis erhielt. „Man versuchte damals, alles Mögliche auf Blutgruppen zurückzuführen. In Japan ist auch heute noch die Blutgruppendeutung beliebt: Wie hierzulande werden den Gruppen unterschiedliche Charaktereigenschaften zugeschrieben.