„Ist der Baum auch wirklich Bio? Wir würden ihn nämlich gern essen!“ Sehr verwundert geschaut hat der Christbaumverkäufer, als Katharina Güls ihm vergangenes Jahr im Dezember diese Frage stellte. Dann sagte er: „Sie können mit Ihrem Baum natürlich machen, was Sie wollen.“
Das tat Katharina Güls dann auch. Die Motivation der Kräuterpädagogin aus Weingarten: An der Tradition eines echten Weihnachtsbaumes festhalten („Weil ich auf den Duft nicht verzichten möchte“), ihn nach den Weihnachtstagen aber nicht einfach entsorgen oder verfeuern, sondern möglichst nachhaltig verwerten.

Also knabberte sie an den Nadeln. Ob des harten und piksigen Mundgefühls entschied sie sich dann aber schnell dazu, das Grün als Pulver zu verarbeiten. „Das ist ein unglaublich gutes Würzmittel, egal ob für salzige oder süße Gerichte“, schwärmt Güls. Der Geschmack von Tannen- oder Fichtennadeln sei aromatisch, harmonisch, aber nicht aufdringlich. „Das hat mich wirklich erstaunt, man erwartet eher einen herben, harzigen Geschmack.“
In den vergangenen Monaten hat sie mit dem Pulver aus den Weihnachtsbaumnadeln, die zuerst getrocknet, dann mit der Küchenmaschine klein gemahlen und schließlich durch ein Sieb gestrichen werden, Käsegebäck und Vanilleeis gewürzt, Tannenbaisers gebacken und Tannennadeltee getrunken. Nun sind die Nadeln langsam aufgebraucht. Güls freut sich auf einen neuen Weihnachtsbaum als Gewürz für die Küche.
Intensiv und vielfältig im Geschmack
Victoria Lorenz, ebenfalls Kräuterpädagogin, beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit der kulinarischen Verwertung von Nadelbäumen. Darauf gekommen ist sie aus der Not heraus. Lorenz ist mit ihren Kursen in München unterwegs. Mitten in der Stadt ist es schwer, Ecken zu finden, die nicht auch Hunde nutzen. Also orientierte sie sich weg vom Boden. An den Nadelbäumen gefiel ihr, dass sie das ganze Jahr über grün sind – und sehr intensiv und vielfältig im Geschmack.
„Fast alle Nadeln entpuppten sich als wahre Aroma-Bomben. Fichte schmeckt zitronig, Weißtanne eher mandarinig, Douglasie orangig“, sagt Lorenz. Besonders angetan hat es ihr der grapefruitartige Geschmack der Küstentanne, die in den hiesigen Wäldern jedoch leider nicht zu finden sei.

Anfängern rät sie daher, mit der Fichte zu starten. Voraussetzung sei natürlich, dass man die heimischen Nadelbäume unterscheiden könne. „Zumal es mit der Eibe echt giftige gibt. Da sind schon wenige Gramm Nadeln tödlich“, sagt Lorenz. Auch Thujen, die in vielen Gärten als beliebte Heckenpflanze wachsen, sind giftig.
Wer im Wald sammelt, für den gelten zudem das Bundesnaturschutzgesetz sowie Landeswaldgesetze. Demnach darf nicht mehr als ein Handstrauß voll an Kräutern, Zweigen, Blumen, Pilzen oder Beeren für den eigenen Bedarf aus dem Wald mitgenommen werden. „Wer mit Nadelbäumen kochen oder backen möchte, braucht aber ohnehin nur wenige Zweige, denn das ist ja mehr ein Gewürz denn eine Hauptzutat“, sagt Lorenz.
Um ein Gefühl für den intensiven Geschmack der Nadeln zu bekommen, empfiehlt Lorenz, sich zunächst an Fichtenbutter zu probieren, eine Art winterliche Kräuterbutter. Und ganz ähnlich wie bei den Kräutern stecken auch in den Nadeln der Nadelbäume viele Vitamine und Mineralstoffe. „Hinzu kommen die ätherischen Öle, denen auch viele gesunde Wirkungen nachgesagt werden“, so die Expertin.
Wer es nicht in den Wald schafft, kann vor Weihnachten auch bequem wie Katharina Güls im Wohnzimmer ernten – vorausgesetzt der Baum stammt aus biologischem Anbau. „Weihnachtsbäume sind ja eigentlich keine Lebensmittel und werden ordentlich gespritzt und gedüngt“, sagt Victoria Lorenz. Den beliebtesten Weihnachtsbaum der Deutschen, die Nordmanntanne, empfindet sie allerdings als nicht so aromatisch. „Ausprobieren kann man es aber auf jeden Fall trotzdem.“
Zum Backen und Kochen verwendet Lorenz am liebsten frische Nadeln – wegen des Aromas: „Von Kräutersalz über gebeizten Fisch bis hin zu Plätzchen, Cocktails oder Smoothies habe ich schon so ziemlich alles mit verschiedenen Nadelbäumen ausprobiert.“ Auch sie nutzt die Nadeln gern in Pulverform, etwa um damit Desserts zu verzieren oder Zuckerguss für die Plätzchen grün zu färben.
Aber auch abseits der Küche schätzt Lorenz den aromatischen Duft von Nadelbäumen. Sie stellt Räuchermischungen her, Massageöle und Badesalze. Während Nadelbäume in der Küche erst in den vergangenen Jahren so langsam als Gewürz bekannter wurden, sind sie in der Natur-Apotheke schon lange im Einsatz. Fichtennadeln etwa werden schon lange aufgrund der ihnen nachgesagten entzündungshemmenden und schleimlösenden Wirkung bei Erkältungen angewendet.
Lorenz genießt gerade in der oft stressigen Vorweihnachtszeit gern auch einfach so mal ein Nadelbad. „Wenn ich dabei den Duft von Fichtennadeln aufsauge, ist das fast so, als stünde ich tatsächlich im Wald.“
Und was wird aus dem Holz?
Katharina Güls hat mit ihrem diesjährigen Weihnachtsbaum noch mehr vor. Nachdem die nachhaltige Verwertung der Nadeln geklappt hat, soll jetzt das Holz dran sein. Sie hat gesehen, dass man daraus ganz einfach Knöpfe machen kann, einen Quirl für die Matschküche der Kinder, Kleiderhaken oder einfach kleine Schnitzprojekte mit ihrem Sohn. „Das Holz ist ja schön weich, da fällt uns bestimmt was ein“, sagt Güls. Hauptsache, der Weihnachtsbaum werde nicht einfach nur im Grünmüll entsorgt.