Sie erschleichen sich Vertrauen im kriminellen Milieu. Sie operieren im Sumpf der Verbrecher. Sie schlagen zu, wenn der Zeitpunkt stimmt. Sie zerschlagen Clans, überwachen extremistische Szenen und verfolgen den Weg der Drogen nach Deutschland. Verdeckte Ermittler – die Elite der Polizei.

In Sicherheitskreisen werden sie nur VEs genannt. Denn sie bleiben anonym. Selbst hochrangige Polizisten wissen häufig nicht, wer hinter dem Pseudonym steckt. Ein VE, der in die Schattenwelt abtaucht, ist ein Phantom mit gefälschtem Ausweis, erfundener Identität, verwanzten Häusern – fast wie im Film.

Weil die Wurzeln ihrer Ermittlungen tief in die Unterwelt reichen, muss der VE seinem VE-Führer nach jedem Einsatz im kriminellen Sumpf über Drahtzieher, Hintermänner und Drogenverstecke berichten. Trotzdem bleibt der Spielraum für Manipulation groß. Denn der VE entscheidet, wie viel er erzählt und was in den Akten landet. Überprüfen, lassen sich die gesammelten Informationen meistens nicht.

Ein aktueller Fall in der Region stellt die Integrität der Elitegarde vielleicht infrage. Denn es gibt Hinweise, dass ein VE, der einen Drogendeal an der Raststätte Hegau Ost aufdeckte, den Gesetze gebrochen hat.

Fall 1: Kokaindeal an der Raststätte Hegau

War war geschehen? Der Deal geht im Sommer 2019 über die Bühne. Kroaten bieten einer Vertrauensperson des LKA fünf Kilogramm Kokain für jeweils 40 000 Euro an. Der VE organisiert die Übergabe. Die Falle schlägt zu.

Fall 2: 100 Kilogramm Kokaindeal in Stuttgart

Ein ähnlicher Fall spielt sich im Dezember 2018 ab. Ein Marokkaner wird in Stuttgart mit 100 Kilogramm Kokain – Verkaufswert etwa neun Millionen Euro – im Gepäck erwischt, weil ein VE vorgibt die Drogen kaufen zu wollen. Auch hier inszeniert er einen Deal. Und auch hier schlägt die Falle zu.

Die Tankstelle Hegau Ost an der Autobahn 81. Hier soll die Polizei mithilfe des Verdeckten Ermittler den Kokain-Deal abgewickelt haben.
Die Tankstelle Hegau Ost an der Autobahn 81. Hier soll die Polizei mithilfe des Verdeckten Ermittler den Kokain-Deal abgewickelt haben. | Bild: Küster, Sebastian

Verdächtige Mails belasten VE schwer

Bisher hierhin nicht unüblich. Aber wie der „Spiegel“ berichtet, sollen dem Verteidiger während der Gerichtsverhandlung mysteriöse Mails zugespielt worden sein, die den Undercoverbeamten schwer belasten.

Der Absender – womöglich ein Kollege des Insiders beim LKA – behauptet, dass der VE den Angeklagten Marokkaner in den Kokain-Deal hineingedrängt habe. Und das wäre – sogar für VEs – verboten.

Um seine Spuren zu verwischen, soll der Verdeckte Ermittler angeblich Akten gefälscht und Whatsapp-Nachrichten gelöscht haben, in denen die Anstiftung zu einer kriminellen Handlung erkennbar gewesen wäre. Vor Gericht streitet der VE alles ab, beruft sich auf die beschränkte Aussagegenehmigung. Um sein vermeintliches Lügenkonstrukt aufrecht zu erhalten, soll er sogar vor Gericht mehrfach die Unwahrheit gesagt haben. Das LKA hat ein Ermittlungsverfahren gegen den VE eingeleitet.

Ist der der gleiche Ermittler auch in Hegau-Fall verwickelt?

Die Frage, die das Landgericht Konstanz beschäftigt: War beim Fall Hegau Ost der gleiche VE im Einsatz, der sich im Stuttgarter Verfahren womöglich strafbar machte? Wie der SÜDKURIER exklusiv erfuhr, gibt es zahlreiche Hinweise, die diese Annahme untermauern.

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Denn ein Angeklagter im Konstanzer Verfahren soll den Marokkaner im Stuttgarter Verfahren in der Justizvollzugsanstalt Stammheim kennengelernt haben. Dort sollen sie herausgefunden haben, dass der VE mit hoher Wahrscheinlichkeit in beide Fälle verwickelt ist.

Luxusuhr und spanische Fußballprofis

Warum? In beiden Fällen heißt der Undercoverpolizist angeblich Lopez. Lopez soll vor beiden damit geprahlt haben spanische Fußballprofis zu kennen. Lopez soll die selbe mit Diamanten besetzte Armbanduhr einer Luxusfirma tragen. Und auch das Aussehen, die Statur, die Kleidung, die Sprache stimmten mit Lopez angeblich überein. Alles gelogen? Alles Zufall?

Daran glauben die Verteidiger im Fall Hegau Ost nicht. Rechtsanwalt Tomislav Duzel vertritt einen angeklagten Kroaten im Konstanzer Verfahren. Für ihn sind es zu viele Hinweise, die darauf hindeuten, dass der Stuttgarter Undercoverbeamte auch in diesem Fall tätig war. „Es gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung, aber meiner Meinung nach sind es zu viele Indizien“, sagt er dem SÜDKURIER.

Rechtsanwalt Tomislav Duzel in seiner Kanzlei am Sankt-Stephansplatz in Konstanz
Rechtsanwalt Tomislav Duzel in seiner Kanzlei am Sankt-Stephansplatz in Konstanz | Bild: Küster, Sebastian

Bei der Vernehmung des VEs vor Gericht wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Der Grund: Die Identität des Ermittlers sei gefährdet, wenn die Presse berichtet, obwohl der VE nur auf einem Bildschirm befragt wird – unkenntlich gemacht, mit verzerrter Stimme.

Für Rechtsanwalt Duzel ist das ein Affront. Aufgrund der zahlreichen Indizien, die für eine strafbare Handlung des Elitepolizisten sprechen, wäre es umso wichtiger, dass die Presse die Vernehmung begleitet, sagt er im Gerichtssaal. „Die Presse auszuschließen, ist unzulässig“, so Duzel.

An diesem Bildschirm im großen Saal am Landgericht Konstanz wurde die Vernehmung der VEs übertragen.
An diesem Bildschirm im großen Saal am Landgericht Konstanz wurde die Vernehmung der VEs übertragen. | Bild: Küster, Sebastian

Doch dem Richter blieb keine Wahl. Denn das Landeskriminalamt stimmte einer Vernehmung des VEs nur unter Bedingungen zu. Unter anderem eben auch den Ausschluss der Öffentlichkeit. Sollte sich der Richter über diese Vorgabe hinwegsetzen, hätte das LKA die Vernehmung wahrscheinlich unterbunden. Gegen diese LKA-Entscheidung kann das Gericht selbst nicht vorgehen. Das könnten die Verteidiger, was den Prozess aber enorm verzögern würde.

VE schweigt zu mutmaßlicher Straftat und Identität

Die Vernehmung des VEs unter Ausschluss der Öffentlichkeit konnte schlussendlich wohl kein Licht ins Dunkel bringen. Aus Justizkreisen ist zu hören, dass er zu früheren Ermittlungen und seiner Identität geschwiegen hat.

Wer die Szene kennt, mit Sicherheitsbeamten, Rechts- und Staatsanwälten spricht, stellt fest: Es wäre wahrscheinlich nicht das erste Mal, dass Ermittlungseifer eines VE Recht und Gesetz schlägt. Denn die Elite soll beim LKA viele Freiheiten genießen – solange sie Kriminelle hinter Gitter bringen.

Ist der VE mit dem LKA-Präsidenten verbandelt?

Der VE im Stuttgarter Fall soll „Spiegel“-Recherchen zufolge sogar eng mit dem LKA-Präsidenten befreundet sein, mit ihm ins Ausland reisen und deshalb unbestraft noch weiter gehen, als seine Kollegen. Er verhalte sich „mehr oder weniger unkontrolliert“, schreibt der Spiegel-Informant. Er sei „mächtig“.

Ob die Vorwürfe wahr sind, wird sich wahrscheinlich nie beweisen lassen. Kenner der Szene gehen davon aus, dass das Ermittlungsverfahren im Nichts versanden wird. Fakt ist: Die beiden Kriminalfälle und der merkwürdige Gerichtsprozess in Konstanz werfen viele Fragen auf. Dennoch gilt – auch für den VE – die Unschuldsvermutung.