Michael Pinther sitzt hinter seinem Computer und blickt auf unzählige Fotos. Es sind Fotos von Kindern. Nackten Kindern. Pinther arbeitet beim Landeskriminalamt. Die Bilder zu sichten und zu entscheiden, ob es sich dabei um Kinderpornografie handeln könnte, ist sein Job. Millionen von Dateien muss er sichten. Das kann ihm kein Computer abnehmen.

LKA-Ermittler Michael Pinther ermittelt gegen die Macher von Kinderpornografie.
LKA-Ermittler Michael Pinther ermittelt gegen die Macher von Kinderpornografie. | Bild: Moll, Mirjam

Auch Videos muss er anschauen. Teils dauern sie über zwei Stunden. Pinther hat dafür ein Programm, das ihm das Video in aneinandergereihte Screenshots zusammenfasst – es zeigt die Momente, in denen sich etwas im Video verändert. So kann er ganze Filme innerhalb weniger Minuten sichten – ohne Ton. „Das macht es erträglicher“, sagt der Beamte, der selbst Kinder hat. Trotzdem kann nicht jeder seinen Job machen. Pinther macht ihn aus Überzeugung. Es motiviert ihn, dass durch seine Arbeit Kinderschänder gestoppt werden können.

Szenen, die nachgehen

Aber nicht immer kann er das, was er auf dem Bildschirm gesehen hat, ausblenden. Manches verfolgt ihn. So wie eine Szene in einem Video, in dem einem Säugling auf dem Wickeltisch sexuelle Gewalt angetan worden ist. Zu dieser Zeit hatte er selbst ein Baby zu Hause.

„Das macht schon etwas mit einem“, gesteht er ein. Wochenlang hat ihn das Bild in seinem Kopf zu jener Zeit beschäftigt. Heute sei es immer noch da, aber er kann es einordnen, ablegen in einer gedanklichen Schublade für die menschlichen Abgründe, die er tagtäglich in Augenschein nimmt.

Hinweise aus der Bevölkerung

Pinther gehört zur Inspektion 510, es ist die Ansprechstelle für Kinderpornografie. Hier können Hinweise auf Verdachtsfälle gemacht werden, auch anonym. Im vergangenen Jahr gingen etwa 50 Hinweise von Bürgern ein. Die meisten Verdachtsfälle aber bekommt Pinther von der amerikanischen Organisation NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children – deutsch etwa: Nationales Zentrum für vermisste und misshandelte Kinder).

Ein Screenshot einer Kinderpornoseite bei einer Pressekonferenz des BKA.
Ein Screenshot einer Kinderpornoseite bei einer Pressekonferenz des BKA. | Bild: Arne Dedert

Die halbstaatliche Behörde filtert sogenannte Hashwerte pornografischer Dateien der Webseiten aller großen amerikanischen Internetunternehmen. Hashwerte sind individuelle Merkmale einer Datei. Diese gibt sie weiter an die zuständigen nationalen Behörden weltweit, je nachdem, von wo die IP-Adresse, die Computeridentität, stammt. Beim Bundeskriminalamt gingen so im vergangenen Jahr mehr als 70.000 Hinweise ein. Daraus entstanden letztendlich etwa 3000 Fälle: Viele der Bilder werden mehrfach gefunden, manchmal gibt es mehrere tausend Hinweise auf ein einziges Video, das online vielfach geteilt worden ist.

Staufener Missbrauchsfall

Die Abteilung Kinderpornografie beim LKA ist das Bindeglied zwischen dem BKA und den örtlichen Kriminalpolizeidienststellen. Pinther und sein Kollege sind zuständig für ganz Baden-Württemberg. Er muss manchmal unzählige Bilder analysieren. Die großen Fälle landen bei ihm.

So wie der Staufener Missbrauchsfall vor zwei Jahren, als ein damals neunjähriger Junge jahrelang Opfer sexueller Gewalt durch seine Mutter und deren vorbestraften pädophilen Partner angetan worden war. Mit Videos der Gewalttaten wurde der Junge pädophilen Männern im Darknet angeboten. Es gab unzählige Dateien und Bilder, die Pinther sichten musste. Der Hinweis zu dem Täter ging damals anonym bei der Ansprechstelle „Kipo“, wie die Beamten sie abkürzen, ein.

Damals gab Christian L., der inzwischen rechtskräftig verurteilte Haupttäter, der Polizei seinen Zugang zu den einschlägigen Foren. So war es möglich, weiteren Mittätern auf die Schliche zu kommen. Aber das LKA hat auch andere Möglichkeiten, den Tätern auf die Schliche zu kommen, betont er. Pinther ist erfahren.

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Er achtet auf kleinste Details, die etwas über die Umgebung aussagen könnten, wo das Bild oder Video entstanden sein könnte. Die IP-Adresse ist nicht immer leicht auszumachen, sie kann über verschiedene Server weltweit versteckt werden. Manchmal helfen aber diese Geo-IP-Daten trotzdem, einer Spur zu folgen. Die Szene bezahlt häufig in Bitcoins, die Kryptowährung des Internets, deren Rückverfolgung fast unmöglich ist.

Trotzdem gelingen den Experten des LKA immer wieder Ermittlungserfolge. Wie im Fall Staufen, wo ein ganzer Ring pädophiler Männer in Europa gesprengt wurde. Pinther lächelt verhalten, als er darüber spricht. Was er ansehen musste, war furchtbar. Aber wenn es wie in diesem Fall gelingt, die Täter aufzuspüren und hinter Gitter zu bringen, weiß er wieder, wofür er das tut.

Schulfahndungen mehrmals pro Jahr

Immer wieder ist er aber auch auf die Mitarbeit von Schulen angewiesen. Die sogenannte Schulfahndung ist ein wichtiges Instrument, um herauszufinden, um welches Kind es geht. Dazu wird das Alter des Kindes geschätzt und dann an alle Schulen bundesweit geschickt, sofern es keine Hinweise gibt, in welcher Region das Kind leben könnte. „Die öffentliche Fahndung ist für uns der letzte Schritt“, betont Pinther. Aber ein notwendiger, denn der Ermittler muss davon ausgehen, dass der Missbrauch noch immer stattfindet.

Verschickt wird dafür natürlich ein Bild des Kindes, auf dem keine entblößten Körperteile zu sehen sind. 2019 liefen Schulfahndungen zu acht Kindern. Sie werden an die Schulleitungen geschickt, die die Bilder ihren Lehrern vorlegen. „Die Schulen sind immer sehr engagiert – schließlich geht es um ihre Kinder“, erklärt Pinther. Häufig gehen bis zu 15 Hinweise ein. Er muss den einen Hinweis herausfiltern, der stimmt.

Tätersuche über Aktenzeichen XY

Die Informationen gehen dann ans BKA und schließlich an die örtlichen Dienststellen der Kripo. Erst wird verdeckt ermittelt, aber die Beamten legen Wert darauf, schnell zuzuschlagen. Wenn nicht klar ist, wer der Täter ist, es aber ein Bild von den kinderpornografischen Videos oder Fotos gibt, schalten die Fahnder die Fernsehsendung Aktenzeichen XY ein. „Kindesmissbrauch ist in der Bevölkerung geächtet, die Bürger sind betroffen und helfen gerne mit“, sagt Pinther. Insgesamt laufen derzeit etwa 100 Identifizierungsverfahren zu Opfern und Tatverdächtigen.

Ohne psychologische Unterstützung wäre der Job kaum zu leisten. Beim LKA wurde der Termin zur Supervision kurzerhand verpflichtend gemacht, damit keine Stigmatisierung entsteht. Pinther spricht auch viel mit seinem Kollegen, aber das persönliche Gespräch mit einem professionellen Psychologen hilft ihm am meisten, sagt er.

Was die Arbeit mit dem Menschen macht

„Ich denke schon, dass ich sensibler geworden bin“, sagt Pinther. Aber, ergänzt er: „Es ergibt Sinn, was wir hier tun.“ Der Ermittler hat schon dazu beigetragen, dass Männer, die zehn Jahre lang nicht aufgefallen sind, über ein einziges Bild ausfindig gemacht werden konnten. Eines hat Pinther durch seine Arbeit gelernt: „Pädokriminalität ist kein Randphänomen.“ Statistisch trägt ein Prozent der männlichen Bevölkerung die Neigung, also Pädophilie, in sich. Manche werden zu Tätern. Sie finden sich „in allen Schichten und Altersgruppen“, betont Pinther. Statistisch gesehen sitzt in jeder Schulklasse ein Kind, das bereits Erfahrungen mit Missbrauch gemacht hat.

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Trotzdem warnt Pinther vor falscher Hysterie. „Das Problem ist nicht größer geworden, aber es ist durch das Internet und das Darknet leichter geworden, solche Inhalte auszutauschen.“ Außerdem sei die Gesellschaft sensibler geworden, dadurch bekomme er mehr Hinweise. Zum Glück sind nicht alle zutreffend.