Robin Assmus checkt ein, geht durch die Sicherheitskontrolle, nimmt seinen Rucksack wieder entgegen. Dann wartet der freiberufliche Web-Entwickler – die schwarze Wollmütze tief ins Gesicht gezogen. Wartet, bis sein Flug aufgerufen wird. So weit, so normal. Nur: Normal ist am Flug des Kölners auf dem Heimweg aus der Schweiz nicht viel.

Assmus steht der kürzeste internationale Linienflug der Welt bevor, es geht von St. Gallen-Altenrhein nach Friedrichshafen, einmal quer über den Bodensee. 21 Kilometer Luftlinie, die zuletzt für weltweite Aufmerksamkeit sorgten. Ein Flug, der inklusive Rollen auf dem Flugfeld halb so lange dauert, wie die 35 Minuten, die man von der St. Galler Innenstadt zum Flugplatz im Stadtteil Altenrhein benötigt. Es wäre anmaßend, den Flug überhaupt als solchen zu bezeichnen. Tatsächlich handelt es sich um einen Start mit anschließender Landung: Die Piloten melden sich parallel in der Schweiz zum Abflug ab, und in Friedrichshafen zur Ankunft an. Assmus wird – zumindest bis Friedrichshafen – nicht einmal der obligatorische Tomatensaft angeboten.

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Silvia Pilarsky-Grosch, baden-württembergische Landesvorsitzende des Bundes für Naturschutz und Umwelt (BUND), ist überzeugt, dass es diese Nicht-Distanz nicht braucht: „Es stört uns, dass man meint, einen überflüssigen Flug machen zu müssen, um an einen überflüssigen Flughafen zu kommen.“ Damit spielt sie auf die geringe Auslastung des Bodensee-Airport in Friedrichshafen an, die ihn oft wie eine Geisterstadt erscheinen lassen. Laut Pilarsky-Grosch sei die Belastung der Umwelt bei Starts und Landungen von Flugzeugen am höchsten – und die nehmen in dem Fall einen hohen Anteil der Reisedauer ein.

Daniel Steffen, Geschäftsführer der Betreiber-Fluglinie People’s, kontert auf die Kritik: "Die Ökobilanz ist nachweislich im grünen Bereich." Robert Sausen, Klima-Experte am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), ordnet das wie folgt ein: "Im Vergleich zum Reiseflug sind beim Start die Stickstoff-Emissionen besonders hoch, bei der Landung die CO-Emissionen." Bei der Bewertung sollte man laut Sausen aber auch Bedenken, dass die Lebensdauer dieser Emissionen in Bodennähe deutlich geringer als in Reiseflughöhe ist. Daniel Steffen merkt an, dass das Flugzeug ja irgendwie von der Betriebsstätte von People's in St.Gallen-Altenrhein nach Friedrichshafen kommen müsse.

"Den Flug gäbe es eh, nur würde es bei einem Leerflug niemand merken.“ Naturschützerin Pilarsky-Grosch ist sich dagegen sicher, dass der Flug komplett gestrichen würde, wenn das Flugzeug konsequent leer wäre. Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne) teilt diese Auffassung: „Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass ein Linienflug über den Bodensee nötig ist, geschweige denn ökologisch vertretbar." Er glaube und hoffe deshalb, dass sich das Angebot nicht halten werde und hält es für einen Marketing-Trick.

Steffen polarisiert nach eigener Aussage gerne – und nicht ohne Grund: „Ohne die Kritik hätten wir weniger Aufmerksamkeit, warum sollte ich mich also beschweren?“ Zumal der Flug den geltenden Gesetzen entspräche, was auch der Kanton St. Gallen bestätigt: „Der Zwischenhalt in Friedrichshafen dient dazu, der Verbindung die notwendige Auslastung zu bringen und ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden.“ Zwischenhalt? Exakt, denn hinter dem „kürzesten internationalen Linienflug der Welt“ steckt tatsächlich der vom Landesumweltminister unterstellte Werbe-Schachzug.

„Streng genommen handelt es sich um ein Nebenprodukt. Das eigentliche Ziel ist Köln/Bonn. Der Rest ist Marketing,“ bestätigt Daniel Steffen. Pilarsky-Grosch ist anderer Meinung: „Es gäbe diesen Flug von Altenrhein nach Köln nicht ohne die Passagiere aus Friedrichshafen.“ Der Flug, den Web-Entwickler Robin Assmus wählt, scheint das zu bestätigen. Außer ihm steigt in Altenrhein nur noch ein weiterer Passagier in die Maschine vom Typ Embraer 170. Zumindest bis Friedrichshafen, wo laut Bodenpersonal „noch einige Leute hinzukommen werden“, erlebt er die Aufmerksamkeit von drei Stewardessen und zwei Piloten so exklusiv wie bei einem Privatflug.

Daniel Steffen ist mit der bisherigen Auslastung dennoch zufrieden. Aber er wisse um den Druck im Fluggeschäft: 40.000 Passagiere pro Jahr würden auf der Strecke benötigt, um schwarze Zahlen zu schreiben. Nur ein Bruchteil von ihnen nähme laut Steffen bereits den Kurzflug vom einen zum anderen Bodenseeufer wahr. Nutzen sollen die Strecke Geschäftsreisende aus Süddeutschland in Richtung Nordrhein-Westfalen und Niederlande – wohin die in Friedrichshafen ansässige Firma ZF rege Beziehungen pflegt. Das weltweite Aufsehen um den 21-Kilometer-Landeanflug dürfte in der Anfangszeit noch Fans ansprechen. Ob Familien tatsächlich, wie von Daniel Steffen ins Spiel gebracht, als Kunden in Frage kommen? Angesichts von 40 Euro pro Strecke wäre das für eine vierköpfige Familie ein ebenso kurzes wie teures Erlebnis.

Robin Assmus wird weiter mitfliegen. „Wenn auch nicht immer, aber es macht ja schon auch ein bisschen Spaß.“ Wenn es bald wieder von Köln in Richtung Ostschweiz geht, sollte er in Friedrichshafen nicht vergessen, einzukaufen. Dort gibt es – anders als in St. Gallen-Altenrhein – einen Duty-Free-Shop. Zollfrei einkaufen – irgendwie logisch, bei einem internationalen Flug. Dann fehlt nur noch der Tomatensaft.

Der Kurzflug im Überblick

  • Distanz: Zwischen St. Gallen-Altenrhein und Friedrichshafen liegen 21,55 Kilometer Luftlinie – mit dem Auto sind es um den Bodensee 66 Kilometer.
  • Flugzeit: Die eigentliche Flugzeit beträgt nur zehn bis zwölf Minuten, inklusive Rollen vor dem Start und nach der Landung werden rund 20 Minuten benötigt.
  • Flugzeug: Die Fluglinie People's setzt eine Embraer 170 ein, ein zweistrahliges Kurzstrecken-Flugzeug. Die Embraer 170 bietet Platz für 80 Passagiere und erreicht eine Geschwindigkeit von maximal 870 Stundenkilometern. Bei unserem Beispiel-Flug nutzten zwei Passagiere die Strecke über den Bodensee – mit drei Stewardessen, einem Piloten und einem Co-Piloten.
  • Kosten: Das Ticket kostet 40 Euro pro Strecke. (bbr)

 

Die kuriose Welt des Fliegens

  • Die kürzeste internationale Flug-Verbindung: Zwei Kilometer geringer als die Distanz des kürzesten internationalen Linienfluges zwischen St. Gallen und Altenrhein ist die Strecke des international kürzesten Fluges überhaupt: Von der Karibikinsel Anguilla zum benachbarten St. Martin sind es Luftlinie 19 Kilometer. Es gibt allerdings keine Linienflüge, geflogen wird nach Bedarf.
  • Der kürzeste Flug überhaupt: Die beiden indonesischen Bergdörfer Kegata und Apowo liegen keine zwei Kilometer voneinander entfernt. Dennoch gibt es eine Flugverbindung, wenn auch keinen Plan.
    Geflogen wird nur auf Anfrage. Eine Herausforderung ist die Strecke für Piloten, denn als Start- und Landebahnen dienen lediglich steil abfallende Graspisten.
  • Der kürzeste Inlands-Linienflug: Die beiden Orkney-Inseln Westray und Papa Westray (Schottland) liegen nur 2,7 Kilometer auseinander – was ungefähr der Länge der Startbahn von Edinburg entspricht. Dennoch sind sie durch einen seit 1967 eingerichteten Linienflug von etwa zwei Minuten Dauer verbunden. Der Rekord für die eigentliche Flugzeit liegt dank günstiger Winde bei nur 53 Sekunden, im Herbst ging die millionste Passagierin an Bord.
  • Der längste Non-Stopp-Flug: Wer gerne fliegt und gar nicht mehr landen möchte, der sollte die Strecke zwischen Auckland (Neuseeland) und Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) wählen. Auf diesem längsten Linienflug ohne Unterbrechung ist man genau 14 192 Kilometer unterwegs – und verbringt durchschnittlich 17 Stunden und 15 Minuten in der Luft. Lange halten wird der Rekord allerdings nicht. 2018 will Singapur Airlines eine frühere Strecke wiederbeleben: Zwischen Singapur und New York sollen dann mehr als 15 300 Kilometer überwunden werden. Geplante Flugzeit, je nach Windlage: Zwischen 18 und 19 Stunden.
  • Die längste Landebahn: Die längste Landebahn der Welt ist mit zwölf Kilometern mehr als halb so lang wie die Kurzstrecke über den Bodensee.
    Es handelt sich um die Edwards Air Force Base (USA). Die längste zivil genutzte Landebahn ist 5500 Meter land und befindet sich auf dem Flughafen Qamdo-Bamda (China).
  • Die gefährlichste Landebahn: Selbst für erfahrene Piloten ist die Piste auf Saba (Niederländische Antillen) eine große Herausforderung. Sie ist nur knapp 400 Meter lang, Sturmböen und die ständig aufspritzende Gischt an der Küste bereiten extreme Probleme. (bbr)

 

Die Umweltbelastung

Die CO2-Emissionen im Flugverkehr werden häufig als großes Problem für die Umwelt genannt. Auch die Gegner des Flugs zwischen Altenrhein und Friedrichshafen führen dieses Argument an.

  • Vergleich: Laut dem DLR-Klima.Experten Robert Sausen "tragen die bisherigen CO2-Emissionen des weltweiten Flugverkehrs gut 1,6 Prozent" des vom Menschen verursachten Klimawandels bei – der Straßenverkehr liegt laut Schätzungen bei 14 Prozent, Schiffs- und Bahnverkehr kommen zusammen auf 3,8 Prozent. Nimmt man Umwelteffekte abseits von CO2 hinzu, kommt die Belastung durch den Flugverkehr laut Sausen auf fünf Prozent.
  • Schadstoffe: Vorrangig entstehen bei der Verbrennung während eines Fluges Kohlendioxid und Wasserdampf. In deutlich geringerem Anteil jedoch auch Stickoxide, Schwefelverbindungen, Ruß oder Metallpartikel.
    Laut Studien des Umweltbundesamts hat sich der Ausstoß der für die Atemwege stark schädlichen Stickoxide seit 1990 mindestens verdoppelt.
  • Pauschalurteil: So bequem es wäre, vor einem allgemein gültigen Urteil über die Umweltbelastung des kurzen Fluges zwischen St. Gallen und Friedrichshafen scheuen selbst Experten zurück. Für belastbare Ergebnisse braucht es Zeit, um Einflüsse wie die Wetterbedingungen oder die Auslastung der Flugzeuge einzuordnen. Robert Sausen vergleicht: "Ähnlich unsinnig wäre es, eine Fahrt mit einem städtischen Bus von einer Haltestelle zur nächsten zu untersuchen." Je nach Wahl der Parameter erhalte man unterschiedliche Ergebnisse. (bbr)