Der Mammutprozess um die Freiburger Gruppenvergewaltigung zieht sich. Elf Angeklagte – acht Syrer, ein Iraker, ein Algerier und ein Deutscher, stehen unter Verdacht, eine damals 18-Jährige im Oktober in einem Gebüsch unmittelbar neben dem Eingang der Discothek Hans-Bunte-Areal im Freiburger Industriegebiet vergewaltigt zu haben. Zehn Prozesstage sind nun vergangen, die verbleibenden 17 bis zum 19. Dezember werden nicht reichen – so viel ist schon jetzt zur Sommerpause des Landgerichts klar. Bislang scheint der Prozess mehr Fragen aufzuwerfen als zu beantworten. Wie ist der Stand der Dinge?
- Wie sieht die Beweislage gegen die elf Angeklagten aus? Darüber wurde bisher nur wenig im Prozess bekannt. Bei einem der Angeklagten, Muhamad M., hat die Staatsanwaltschaft offenbar keine DNA-Spuren beim Opfer gefunden, trotzdem soll auch er sich an ihr vergangen haben. Der Hauptangeklagte Majd H. streitet den Geschlechtsverkehr mit dem mutmaßlichen Opfer Franziska W. gar nicht ab, behauptet aber, es sei einvernehmlich gewesen. Auch Timo B. behauptet, die junge Frau habe sich ihm regelrecht aufgedrängt. Die anderen Angeklagten wollten nicht aussagen. Die Beweislage sei bei den einzelnen Angeklagten sehr unterschiedlich, sagte die Staatsanwaltschaft dem SÜDKURIER. Das Gericht muss jeden Angeklagten gesondert betrachten.
- Wie sehr belastet die Aussage des mutmaßlichen Opfers die Angeklagten? Die Aussage von Franziska W. fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Staatsanwaltschaft bestätigte aber, dass sich die heute 19-Jährige zum Teil nicht mehr erinnern könne, was in der Nacht geschehen sei. Unstrittig ist aber wohl, dass sie den Haupttäter identifizieren konnte. Und sie sagte ihrer Freundin, dass sie von mehreren Männern vergewaltigt worden war.
- Gibt es ein rechtsmedizinisches Gutachten? Ja. Der Gutachter muss nach der Sommerpause aber seinen Bericht erst noch vorbringen. Einzelheiten aus dem Bericht sind aber bereits bekannt. Demnach hat das mutmaßliche Opfer Hämathome an den Oberschenkelinnenseiten erlitten, ebenso sei ihr Körper von Schürfwunden gezeichnet, unter ihren Fingernägeln wurden fremde Hautpartikel gefunden – was auf ein Abwehrverhalten hindeuten kann.
- Gab es Zeugen der Tat? Ja. Diejenigen, die bislang aussagten, stehen aber selbst noch unter Verdacht – die Staatsanwaltschaft ermittelt noch wegen einer möglichen Tatbeteiligung. Ein Zeuge machte deshalb Gebrauch von seinem Aussageverweigerungsrecht. Ein weiterer sagte zwar aus, gab aber an, er habe gehört, wie Franziska W. mit derben Aussagen den Sex eingefordert habe, während ein Mann im Gebüsch Geschlechtsverkehr mit ihr hatte. Andererseits war er sich nicht sicher, ob die Frau wollte, was geschah. Eingegriffen hat er dennoch nicht.
- Werden noch weitere Zeugen aussagen? Ja, sogar eine ganze Reihe. Insgesamt sind 47 Zeugen geladen. Darunter sind Besucher der Disco, Freunde des mutmaßlichen Opfers und der Angeklagten, Mitarbeiter des Clubs.
- Welche Strategie fährt die Verteidigung? Eine allgemeine Strategie gibt es nicht, die Strafverteidiger sind jeweils den einzelnen Angeklagten zugeordnet. Der Anwalt des Hauptangeklagten Majd H., Jörg Ritzel, kündigte schon zum Prozessauftakt an, dass er einen Freispruch für seinen Mandanten erwirken wolle, da es keine Vergewaltigung, sondern einvernehmlicher Sex gewesen sei. Andere Verteidiger stützen sich auf angebliche sexuelle Vorlieben und frühere Partnerwahl des mutmaßlichen Opfers, um zu versuchen, ihre Aussagen zu entkräften – wie Anwältin Hanna Palm, die Verteidigerin von Timo B. Die Verteidigerin von Jekar D., Jutta Palm, machte von sich reden, weil für sie offenbar relevant war, ob das Opfer an dem Abend Strapse oder normale Strumpfhosen trug. Was dies über die mögliche Vergewaltigung aussagt, behielt sie für sich.
- Welche Rolle spielen Drogen in diesem Prozess? Eine große. Im Blut des mutmaßlichen Opfers waren Spuren eines Betäubungsmittels wie beispielsweise sogenannte K.O.-Tropfen gefunden worden. Erschwerend hinzu kommt, dass Franziska W. zu Beginn ihres Discobesuchs die Partydroge Ecstasy einnahm. Die Staatsanwaltschaft beschreibt die Nacht in der Anklage so, dass die junge Frau durch die Wirkung des Betäubungsmittels irgendwann nicht mehr in der Lage gewesen sei, sich physisch zu wehren, zu schreien und zunehmend das Bewusstsein verlor. Zeugen behaupten dagegen, dass die damals 18-Jährige „voll auf Drogen„ gewesen wäre, aufgeputscht durch Ecstasy, euphorisch und sexhungrig. Männer aus dem Umfeld der Angeklagten sagten vor Gericht aus, die Partydroge verstärke die sexuelle Lust. Hier wird die Einschätzung des Drogenexperten Torsten Passie eine entscheidende Rolle spielen. Der als Gutachter geladene Wissenschaftler hat die Wirkung verschiedener Drogen erforscht. Seine Einschätzung steht noch aus.
- Besteht die Möglichkeit, dass einige der Angeklagten straffrei aus dem Prozess gehen? Prozessbeobachter halten das für wahrscheinlich. Einer der Strafverteidiger umschrieb die Situation so: „Normalerweise haben wir in Sexualstrafverfahren Aussage gegen Aussage – hier haben wir Aussage gegen ‚ich weiß es nicht mehr genau‘.“
- Wie geht es weiter? Am 9. September wird der Prozess nach einer Sommerpause fortgesetzt. Dann sollen Vorstrafen der Angeklagten verlesen werden. Richter Stefan Bürgelin sprach von einer „ellenlangen Liste“. Die Verteidiger hatten versucht, zu verhindern, dass die Vorstrafen verlesen werden. Gegen den Hauptangeklagten Majd H. und einen Mitangeklagten im Prozess der Gruppenvergewaltigung wird zudem ein weiteres Verfahren geführt werden – auch hier geht es um die Vergewaltigung einer jungen Frau.
Öffentlichkeit im Prozess
Grundsätzlich sind alle Verhandlungen vor Gericht öffentlich – das heißt, jeder Bürger darf als Zuschauer den Prozessen beiwohnen. Das Gericht kann in bestimmten Situationen allerdings den Ausschluss der Öffentlichkeit veranlassen.
- Grundsatz der Öffenlichkeit: Die Verhandlung vor Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist in Deutschland in allen gerichtlichen Verfahren grundsätzlich öffentlich. Das heißt, dass jeder unbeteiligte Bürger Zutritt zum Gerichtssaal hat. Dahinter steckt der Grundsatz der Kontrolle der Rechtssprechung und Rechtsstaatlichkeit.
- Gesetzesgrundlage für den Auschluss: Paragraf 171 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) regelt, unter welchen Umständen die Öffentlichkeit nicht an der Verhandlung teilnehmen darf.
- Grundsatz: „Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde“, heißt es darin. Dies gilt aber nicht, wen das Interesse an der öffentlichen Erörterung überwiegt: Die Abwägung muss der Richter treffen.
- Sexuelle Selbstbestimmung: „Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird.“ Im vorliegenden Fall ist die Zeugin zwar 19 Jahre alt, aber hier greift der Grundsatz des Paragrafen des persönlichen Lebensbereichs.
- Schlussplädoyers: Auch die Schlussanträge müssen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, wenn eine Zeugin im Prozess unter Ausschluss ausgesagt hat. Grund dafür ist, dass sich die Plädoyers auf die Aussagen stützen oder diese widerlegen. (mim)