Da werden sie nun bald tageweise residieren, die verhinderten neuen Herrscher Deutschlands: Auf einem staubigen Areal von 1300 Quadratmetern in Sossenheim, einem wenig glamourösen Stadtteil im Süden von Frankfurt, an einer Straßenecke mitten in einem Industrie- und Gewerbegebiet. Schon stehen im direkten Umkreis überall Parkverbotsschilder, aber noch sind auf dem Gelände Bagger im Einsatz, letzte Infrastruktur wird verlegt. Die metallenen Sichtschutzzäune, auf den sich produktionsfrisch blitzender Stacheldraht windet, rahmen das Areal bereits ein.

Und in der Mitte des Geländes wartet ein neu errichteter Hochsicherheitspalast auf Heinrich XIII., Prinz von Reuß, und acht seiner Mitstreiter aus dem Reichsbürgermilieu, die seit 2021 geplant haben sollen, die Macht in Deutschland per gewaltsamem Staatsstreich an sich zu reißen.

Sie wollten die Regierung stürzen, kalkulierten Todesopfer ein, und planten, mithilfe militärischer Gewalt eine neue Staatsform in Deutschland zu installieren, deren Oberhaupt der heute 79-jährige Unternehmer und zentrale Akteur der Reichsbürgerbewegung sein sollte. Aber die Pläne flogen auf, seit einer bundesweiten Razzia im Dezember 2022 sitzen 25 Verdächtige in Untersuchungshaft, weitere Razzien und Festnahmen folgten. Im Dezember 2023 hat der Generalbundesanwalt Anklage gegen 26 der Verschwörer erhoben.

Bizarre Verschwörungstheorien

Es ist ein Sammelsurium an bizarren Verschwörungstheorien, gepaart mit Narrativen aus der Reichsbürger- und sogenannten Selbstverwalter-Szene, die in der 617 Seiten umfassenden Anklageschrift des Generalbundesanwalts als gemeinsamer Nenner der Verschwörer aufgelistet sind. Manches davon liest sich, als ob Anhänger dieser kruden Thesen nicht vor ein Gericht, sondern in die Psychiatrie gehörten.

So seien die Beschuldigten fest davon überzeugt gewesen, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines „Deep State“, eines „tiefen Staates“, regiert werde, den ein Geheimbund namens „Allianz“ – bestehend aus Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten – beseitigen wolle. Mit dieser nicht existenten „Allianz“ wollten die Verschwörer nach dem Umsturz Pläne für eine neue Staatsform und mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs einen Friedensvertrag aushandeln.

Ab 2022 soll ein innerer Zirkel, der „Rat“, ganz konkrete Pläne für den Systemumsturz geschmiedet, Geld, Waffen und Ausrüstung besorgt und Personal für den „militärischen Arm“ organisiert haben. Neun Angeklagte dieses „militärischen Arms“ stehen seit zwei Wochen in Stuttgart vor Gericht, im zweiten zugehörigen Verfahren.

In Frankfurt begrenzt sich das Reich des öffentlichen Wirkens von Prinz Reuß und seinem Staatsstreich-Kabinett in der nahen Zukunft allerdings auf eine Metallhalle in Leichtbaukonstruktion mit einer Fläche von 25 auf 55 Metern, die alle denkbaren erforderlichen höchsten Sicherheitsstandards erfüllt, wie der Bauleiter beim Vor-Ort-Termin versichert.

Die Firma kennt sich aus damit, in nur fünf Wochen haben sie das Gebäude hochgezogen, in dem der Hauptteil des wohl bislang umfangreichsten Staatsschutzverfahrens der Geschichte der Bundesrepublik stattfinden soll. Das auf drei unabhängige Prozesse an den Standorten Frankfurt, Stuttgart und München geteilte Gesamtverfahren mit 26 Angeklagten sprengt in jeder Hinsicht alle bislang Dimensionen, auch die der Justizräumlichkeiten des Oberlandesgerichts in Frankfurt, weshalb in Sossenheim eigens gebaut wurde. Baukosten bislang: im mittleren einstelligen Millionenbereich.

Johanna Findeisen vor Gericht

Dort nun werden Prinz Reuß und acht der Mitverschwörer, die vom Generalbundesanwalt als Rädelsführer ausgemacht wurden, darunter die Ex-Bundeswehr-Offiziere und KSK-Soldaten Maximilian Eder und Rüdiger von Pescatore, von Dienstag an der Prozess gemacht.

Mit der früheren AfD-Bundestagsabgeordneten und Richterin Birgit Malsack-Winkemann und der aus Frickingen im Bodenseekreis stammenden Johanna Findeisen, die bei den Corona-Protesten aktiv war und als Mitglied des Landesvorstands der Partei „Die Basis“ 2021 für den Bundestag kandidiert hatte, sind zwei Frauen unter den Angeklagten. Findeisen war im Mai 2023 in U-Haft genommen worden, einen Antrag auf Entlassung aus der U-Haft hatte der Bundesgerichtshof mit Hinweis auf Fluchtgefahr im Januar 2024 abgelehnt.

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Findeisen soll sich laut Anklageschrift spätestens im November 2021 in die Vereinigung als Mitglied eingegliedert haben. „Sie wirkte an mehreren Treffen mit Führungsmitgliedern der Gruppierung mit und bewegte eine Person aus ihrem Familienkreis dazu, der Vereinigung einen Geldbetrag von 150.000 Euro zukommen zu lassen“, heißt es in der Anklageschrift. Zudem soll sie sich im November und Dezember 2022 mit Vertretern des russischen Generalkonsulats in Frankfurt am Main und Baden-Baden getroffen haben, um für die Ziele der Vereinigung zu werben. Zudem soll sie im August 2022 an einer Sitzung des „Rates“, des engen Führungszirkels, teilgenommen haben. Sie soll zudem laut bei einer Regierungsübernahme für das Ressort „Soziales, Familien und Integration“ vorgesehen gewesen sein. Mittlerweile soll Findeisen ein Teilgeständnis abgelegt haben.

Wahlverteidiger bekannt in Querdenker-Kreisen

Im Prozess wird Findeisen, die als Beruf „Coach“ angbit und drei erwachsene Kinder hat, neben zwei Pflichtverteidigern auch von einem in Querdenker-Kreisen prominenten Juristen als Wahlverteidiger begleitet: dem Bielefelder Rechtswissenschaftler und Hochschullehrer Martin Schwab, der 2021 und 2022 bereits erfolglos für „Die Basis“ als Bundestags- und Landtagskandidat in Nordrhein-Westfalen kandidierte. Auf „Südkurier“-Anfrage teilte Schwab mit, derzeit keine Auskünfte über seine Mandantin geben zu wollen. „Ich bitte um Verständnis, dass es aktuell weder von meiner Mandantin noch von uns als Verteidigern eine Einlassung zur Sache geben wird. Eventuelle Erklärungen zu den Tatvorwürfen geben meine Mandatin oder die Verteidigung, wenn überhaupt, ausschließlich vor Gericht ab“, ließ Schwab wissen.

Wie auch die anderen Angeklagten in Frankfurt wird die Frickingerin der Gründung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ beschuldigt, wie es in der Anklageschrift heißt. Es drohen hohe Haftstrafen. Allein die Verlesung der Kurzfassung der Anklage – 65 Seiten – dürfte am Dienstag über zwei Stunden in Anspruch nehmen. Schon jetzt füllen die Papierakten zum Verfahren allein in Frankfurt 801 Stehordner, Tendenz täglich steigend, wie das Gericht mitteilt, 248 Zeugen sind benannt, in Frankfurt zunächst 58 Prozesstage terminiert.

Neun Angeklagte in Stuttgart

Einen Vorgeschmack darauf, wie die Verhandlung in Frankfurt ablaufen könnte, gibt es seit zwei Wochen in Stuttgart. An diesem Mittwoch fand dort, im neuen Hochsicherheitssaal am Gefängnis in Stuttgart-Stammheim, der dritte Verhandlungstag statt. Auch hier sind es neun Angeklagte, alles Männer, die dem „militärischen Arm“ der Gruppe zugeordnet werden. Sie müssen sich vor dem dritten Senat des Oberlandesgerichts verantworten, fünf Richter, zwei Ergänzungsrichter, den Vorsitz hat Joachim Holzhausen. 22 Verteidiger stehen hier den Angeklagten zur Seite, vom Szeneanwalt der Rechten und einschlägiger Kanzlei bis zu renommierten Strafverteidigern ist die ganze Breite des Spektrums vertreten.

Wobei im Fall von Stuttgart „zur Seite stehen“ nicht ganz trifft. Die Angeklagten sind in Stammheim von ihren Verteidigern – und der Öffentlichkeit – durch dicke Sicherheitsglaswände getrennt. Die direkte Kommunikation während des Verfahrens kann nur über eine Tonanlage mit Mikrofon und Kopfhörern erfolgen, was schon mehrfach für Unterbrechungen sorgte, wenn direkt etwas besprochen werden muss.

Paukenschlag gleich zu Beginn

Für einen Paukenschlag hatte gleich am zweiten Sitzungstag in Stuttgart der Angeklagte und IT-Ingenieur Wolfram S. gesorgt, der für die Computer- und IT-Logistik der Umstürzler zuständig gewesen sein soll – und überraschend nicht nur ausführliche Angaben zu seiner Person, sondern auch zur Sache machte und dabei Einblicke in die Organisation der Verschwörer gab. Von den Staatsstreich-Plänen, so sagte der aus Ettlingen bei Karlsruhe stammende IT-Ingenieur, habe er nichts gewusst.

Er sei mehr an Katastrophenschutz als an Waffen interessiert gewesen und über diese Verbindung in Kontakt mit der Gruppe geraten, wo er beim Aufbau der „Heimatschutzgruppen“ logistisch helfen sollte. Als ihm bei einem Treffen die Verschwiegenheitserklärung der Gruppe zur Unterschrift vorgelegt worden sei mit dem Hinweis, auf Geheimnisverrat drohe die Todesstrafe, habe er lachen müsse, sagte Wolfram S. aus – und das alles nicht ernst genommen. „Ich habe gedacht: Dann müssen sie mich halt umbringen. Dann haben sie aber auch keinen ITler mehr.“

Ein Angeklagter der Reichsbürger-Prozesse wird in Stuttgart-Stammheim in den Gerichtssaal geführt.
Ein Angeklagter der Reichsbürger-Prozesse wird in Stuttgart-Stammheim in den Gerichtssaal geführt. | Bild: Bernd Weißbrod/dpa

Tödlicher Ernst dagegen war die ganze Sache offenbar für seinen Mitangeklagten Markus L. Der ebenfalls in Stuttgart vor Gericht stehende 47-Jährige soll bei der Organisation von Waffen und Munition für die Umstürzler eine wesentliche Rolle gespielt haben. Nach den Razzien im Dezember 2022 war Markus L., auf den Dutzende Waffen legal eingetragen waren, in das Blickfeld der Ermittler geraten.

Als das SEK im März 2023 deshalb in seiner Wohnung im baden-württembergischen Reutlingen anrückte und Einlass zur Waffenprüfung begehrte, eröffnete Markus L. das Feuer auf die Polizeibeamten und verletzte einen der SEK-Beamten schwer. Bei ihm wurde ein ganzes Waffenarsenal gefunden. Die Gruppe Reuß soll laut Anklage Zugriff auf 382 Schusswaffen, 347 Hieb- und Stichwaffen, Hunderte weiter Waffenteile und mindestens 148.000 Munitionsteile gehabt haben. Und Markus L., der auch wegen versuchten Mordes angeklagt ist, stellte unter Beweis: Todesopfer wurden in Kauf genommen. Wie auch immer man die Verschwörer und ihre irren und abstrusen Pläne bezeichnen mag – harmlos war nichts daran.