Ab sofort können sich Patienten per Telefon für fünf Kalendertage krankschreiben lassen – unter bestimmten Bedingungen. Das hat ein Bundesausschuss aus Ärzten, Krankenkassen und Kliniken beschlossen. Die Hoffnung: Eine Entlastung der Praxen und weniger Ansteckungsgefahr. Doch der Arbeitgeberverband BDA ist besorgt. Die telefonische Krankschreibung forderte, so der Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter, „den Betriebsfrieden erheblich heraus“, wie der dem Deutschlandfunk sagte.
Wie bewerten Ärzte in der Region die Option der telefonischen Krankschreibung? Unter welchen Bedingungen ist diese möglich? Wir haben nachgefragt.
Bedingungen für die telefonische Krankschreibung
Bereits in der Corona-Zeit war es Ärztinnen und Ärzten möglich, Patienten ohne persönliches Vorstellen in der Sprechstunde arbeitsunfähig zu schreiben. Diese vormalige Sonderregel ist seit heute Teil der Regelversorgung. Mediziner hatten sich für sieben Kalendertage ausgesprochen, Vertreter der Krankenkassen beharrten auf fünf Kalendertagen.
Wer die telefonische Krankeschreibung nutzen will, muss in der Praxis bekannt sein, außerdem ist es bei schwereren Erkrankungen möglich, darunter würde zum Beispiel eine Grippe fallen. Zudem haben Patienten keinen Anspruch auf diese Möglichkeit, die Ärzte entscheiden selbst. Wer seine Bescheinigung nach den fünf Kalendertagen verlängern will, muss zudem persönlich erscheinen.
„Absolut notwendig“: Praxen sind überfüllt
„Die neue Regel ist absolut notwendig. Wir können einfach nicht alle Patienten in die Sprechstunde nehmen, nicht akut“, sagt Allgemeinmedizinerin Julia Bergis aus St.Georgen am Telefon. Denn ihre Gemeinschaftspraxis sei überfüllt.

Als der SÜDKURIER anruft, teilt die Sprechstundenhilfe gleich mit: „Wir haben derzeit zwei Stunden Wartezeit.“ Dennoch hat sich die Ärztin Zeit für das kurze Interview genommen. „Das Thema ist wichtig, die Lage ist ernst“, sagt Julia Bergis.
Nicht nur im Schwarzwald-Baar-Kreis fehlen Hausärzte. Birgit Kloos hat ihre Arztpraxis in Singen. Sie sagt: „Die neue Regel ist eine große Entlastung. Wir sind einfach nicht mehr so viele Ärzte. Es ist vorbei, diesen Luxus können wir uns nicht mehr leisten, dass wir die Praxen voll haben mit leichten Erkrankungen“, sagt sie.
Dann berichtet die Allgemeinärztin, wie es gerade in der Praxis läuft: „Im Team sind fast alle krank, arbeiten aber trotzdem. Natürlich mit Maske.“ Die telefonische Krankschreibung schütze auch sie und ihr Team.
Geringere Ansteckungsgefahr für Team und Patienten
„Wir bitten Patienten mit Erkältungssymptomen, nur mit Maske zu kommen.“ Aber, so Birgit Kloos, daran hielten sich manche nicht. „Sie erscheinen hustend und schniefend mit grippalem Infekt ohne Maske, trotz unserer Schilder und den Hinweisen.“ Die Ärztin geht davon aus, dass die neue Regel auch die Gefahr für andere Patienten, sich etwa im Wartezimmer anzustecken, reduziert.
Auch in Salem freut man sich über die Möglichkeit, dass Arbeitnehmer sich telefonisch krankschreiben lassen können. Karoline Ambraß von der Praxisgemeinschaft Salem sagt: „Wir Ärztinnen werden immer mehr die Handlanger für irgendwelche bürokratischen Dinge. Auch, weil manche Arbeitgeber ihren Angestellten nicht vertrauen. Wir freuen uns sehr, dass wir durch die telefonische Krankschreibung mehr Zeit haben für Wichtiges, nämlich unsere Sprechstunde.“
Ärztin: Arbeitgeber in der Pflicht, für gutes Betriebsklima zu sorgen
Aus Sicht der Ärztin ist die Sorge des Arbeitgeberverbands BDA, dass die telefonische Krankschreibung den Betriebsfrieden gefährden könnte, unbegründet. „Im Gegenteil“, sagt sie, „ich habe Patienten, die nicht arbeiten wollen, weil der Betriebsfrieden, weil das Klima schlecht ist. Weil sie vom Chef dumm angemacht werden oder gemobbt und keine Hilfe erhalten.“
Immer wieder erlebe sie dies mit. Karoline Ambraß sagt: „Ich möchte den Arbeitgebern, die sich davor fürchten, sagen: ‚Kriegt euren Hintern hoch und schaut, dass ihr ein gutes Team habt, geht auf die Wünsche der Arbeitnehmer ein, dann müssen sich die nicht krankschreiben lassen!‘“
Das sagt der Unternehmerverband Baden-Württemberg
Volker Steinmaier vom Unternehmerverband Baden-Württemberg sieht die Regelung positiv: „Die telefonische Krankschreibung kann einen Beitrag leisten, dass die Arztpraxen entlastet werden. Es muss ja nicht jeder mit Erkältung in ein volles Wartezimmer.“
Zum möglichen Missbrauch sagt er: „Uns war wichtig, dass nur krankgeschrieben werden kann, wer bekannt ist und zwingend mit dem Arzt ein Telefonat führt. Denn auf Basis der Krankschreibung findet ja auch die Lornfortzahlung durch die Arbeitgeber statt.“
„Wir kennen ja unsere Pappenheimer“
Allgemeinärztin Kloos aus Singen sagt zu der Sorge des BDA: „Wir kennen ja auch unsere Pappenheimer. Wenn jemand anruft, von dem wir wissen, dass er wegen jeder Kleinigkeit zu Hause bleibt, werde ich zu meinem Team sagen: ‚Den möchte ich in unserer Sprechstunde sehen.‘“