Isabelle Mainka aus Dogern hat drei Kinder. Und nach Schließung ihrer bisherigen Kinderarztpraxis Ende 2024 für keines ihrer Kinder einen festen Kinderarzt. Impftermine und U-Untersuchungen lässt sie entweder in ihrer Heimat der Pfalz von einem Kinderarzt vornehmen, oder sie nutzt für diese einmaligen Untersuchungen die Terminservicestelle 116117. „Das ist nicht optimal, aber so bekommen wir zumindest alle wichtigen Untersuchungen“, sagt sie. Die Hoffnung auf einen festen Kinderarzt hat die Dogernerin mittlerweile aufgegeben.
Und damit ist die junge Mutter vom Hochrhein nicht allein. Denn nach Schließung der Laufenburger Kinderarztpraxis Matthias Fränki im September 2024 und des Ende 2024 in Ruhestand gegangenen Kinderarztes Michael Zerfass in Tiengen sind bisher noch nicht alle Patienten bei einem anderen Kinderarzt im Landkreis untergekommen. Doch laut Statistik der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) soll es derzeit eigentlich mit 112,5 Prozent eine Überversorgung mit Kinderärzten in der Region geben.
Praxis und Theorie klaffen auseinander
Doch die Realität sieht anders aus. Eine weitere Mutter aus Tiengen (Name ist der Redaktion bekannt) berichtet dem SÜDKURIER, dass sie ebenfalls seit der Schließung der Zerfass-Praxis Ende 2024 in Tiengen auf der Suche nach einem Arzt für ihre beiden Kinder ist. Mehrfach habe sie in den vergangenen Monaten alle Kinderärzte in der Region abtelefoniert – doch niemand habe Kapazitäten gehabt, um beide Kinder aufzunehmen. Und auch die 116117 – den ärztlichen Bereitschaftsdienst – habe sie öfter angerufen. Nach Wartzeiten von bis zu 40 Minuten habe ihr dort aber auch niemand helfen. Derzeit steht sie mit ihrem Hausarzt in Kontakt.
Das sagt die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
Kai Sonntag, Pressesprecher der KVBW: „Der Versorgungsgrad ist nur ein sehr grober Anhaltspunkt für die Versorgungslage vor Ort.“ Es handele sich hierbei auch nicht um eine Berechnungssystematik der KVBW, sondern um eine bundesweit einheitliche Vorgabe, betont Sonntag und erklärt weiter: „Der Bundesgesetzgeber hat vor etwa 30 Jahren festgelegt, dass aus Gründen der Beitragssatzstabilität die Zahl der ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte begrenzt werden soll. Seitdem gibt es ein Regelwerk, welches festlegt, wie viele Ärzte aus einer Fachgruppe sich in einem bestimmten Bereich ansiedeln dürfen.“
Auch KVBW spricht von einer kritischen Lage bei der Kinderarztversorgung
„In den vergangenen zehn Jahren haben wir eine Entwicklung, die uns gerade auch im kinderärztlichen Bereich Sorge bereitet. Denn auf der einen Seite haben wir tendenziell weniger Arztzeit, die zur Verfügung gestellt wird. Auf der anderen Seite steigt der Aufwand. Es gibt mehr Untersuchungen, es gibt mehr Kinder und der Aufwand pro Kind steigt an. Damit gibt es – nicht nur in Waldshut, sondern landesweit, und nicht nur im ländlichen Raum, sondern auch in den Ballungsräumen – Engpässe in der Versorgung.“ Weiter sagt er: „Wir haben durchaus eine angespannte Lage, gerade in der kinderärztlichen Versorgung.“
Dürfen sich aktuell neue Ärzte ansiedeln?
„Unser Problem wird weniger daran liegen, dass keine neuen Ärzte dazukommen können, sondern dass es zu wenige gibt. Es hat ja durchaus Möglichkeiten gegeben, eine Praxis zu übernehmen. Und ein Arzt könnte auch einen Antrag auf Sonderbedarf stellen, wenn er einen Arzt oder eine Ärztin zusätzlich in die Praxis nehmen möchte“, erklärt Sonntag.
Was können Eltern tun?
Laut KVBW sollten Eltern versuchen, ihren Suchradius zu erweitern. Kai Sonntag: „Termine vermittelt auch die Terminservicestelle der KVBW unter der 116117“, wenn es zum Beispiel um U-Untersuchungen oder Impftermine geht. „Möglich ist zudem unser Telemedizinangebot docdirekt (docdirekt.de), das gerade auch im kinderärztlichen Bereich in vielen Situation wertvolle Hilfe leisten kann. Klar ist aber, dass das nur in bestimmten Fällen geht und daher das eigentliche Problem nicht lösen kann. Übrigens können auch Hausärzte Kinder behandeln“, sgt Kai Sonntag.
Weitere Probleme
Ein weiteres Problem ist das Alter vieler Kinderärzte. Denn über die Hälfte der Kinderärzte haben die 60 Jahre schon längst hinter sich. Doch die Nachfolgersuche gestaltet sich schwierig, wie sich ebenfalls jüngst in der ehemaligen Zerfaß-Praxis zeigt. Nach seinem Ruhestand hat sein Kollege Michael Netzhammer die Praxis aus diversen Gründen nach Albbruck verlegt. Und auch hier hat sich kein Nachfolger gefunden.
Und auch Michael Fränki, der seine Kinderarztpraxis aus gesundheitlichen Gründen im vergangenen Jahr schließen musste, sieht weitere Probleme auf die Versorgung zukommen. Er sieht die Politiker der Landes- und Bundesregierung in der Pflicht, zu handeln. Außerdem sagte er gegenüber dieser Zeitung im Dezember 2024: „Früher war der Aufwand pro Patient weniger. Heute leisten wir mehr Beratungen und Vorsorge-Untersuchungen.“ Für ihn steht fest: Um den Aufwand zu deckeln, brauche es mehr Ärzte, als eigentlich kalkuliert. Die Parameter der Formel für die Bedarfsplanung würden nicht mehr mit der Realität der Leistungen eines Jugendarztes übereinstimmen, so der Fachmann.
Welche Lösungsansätze für eine bessere Versorgung gibt es?
Laut KVBW passiere einiges. „Wir haben Förderprogramme, wir fördern intensiv die Weiterbildung, die jeder Arzt durchlaufen muss, wenn er ambulant tätig sein möchte“, informiert Sonntag. Gemeint ist damit, dass ein Arzt nach seinem Studium per Gesetz noch die Weiterbildung zum Facharzt in seinem jeweiligen Fachgebiet durchlaufen muss, bevor er ambulant tätig sein darf.
Die KVBW fördere, dass ein Teil der Weiterbildung auch in einer Praxis und nicht nur im Krankenhaus absolviert werden kann. Aber: „Die Zahl der Weiterbildungsstellen ist gesetzlich gedeckelt. Das Land hat aus eigenen Mitteln die Stellen aufgestockt, erforderlich ist hier aber eine bundesgesetzliche Änderung. Wir entwickeln die Telemedizin weiter. Klar ist aber, dass diese Maßnahmen nur langfristig wirken“, erklärt Sonntag.