- Marquardt-Mechatroniker entwickeln ein Notrufsystem für Autos, das Hitzetode von Kleinkindern verhindern soll.
- Über 900 Kleinkinder sind seit 1998 in den USA in überhitzten Autos gestorben; auch in Deutschland gibt es Fälle.
- Das CPD-System erkennt Kinder im Auto und löst bei Gefahr automatisch Warnsignale und Notrufe aus.
- Ultra-Breitband-Radarsensorik und KI des Systems unterscheiden Lebewesen von Objekten und bestimmen die Altersgruppe.
- Experten sehen das CPD-System als innovative und potenziell lebensrettende Technologie, die gesetzlich verpflichtend werden könnte.
Weltweit sterben jährlich vor allem kleine Kinder einen Hitzetod, weil sie unbeaufsichtigt in geparkten Autos zurückgelassen worden sind. Um das zu verhindern, haben Mechatroniker des Automobilzulieferers Marquardt nun ein System entwickelt, das im Extremfall automatisch einen Notruf absetzt. Unabhängige Experten glauben, das System könnte sich in der Breite durchsetzen.
Allein in den USA, wo diese Fälle systematisch erfasst werden, sind laut der US-Uni San Jose State seit 1998 über 900 Kleinkinder in überhitzten Autos gestorben. Wie viele Kinder in Deutschland betroffen sind, dazu gibt es hierzulande zwar keine Daten – allerdings passiert es immer wieder. Im Juni dieses Jahres verstarb beispielsweise ein 18 Monate alter Junge in Hessen an Überhitzung. Er saß in einem geparkten Auto.
Schon geringe Außentemperatur kann gefährlich werden
Damit im Auto kritische Situationen für Kleinkinder entstehen können, seien keine Hitzerekorde nötig, heißt es von Marquardt, einem Hersteller von mechatronischen Schalt- und Bediensystemen aus Rietheim-Weilheim bei Tuttlingen. Schon geringe Außentemperaturen von 14 Grad würden bei starker Sonneneinstrahlung ausreichen, um den Innenraum gefährlich zu erhitzen.
Abhilfe schaffen soll nun ein System, das ein Forschungsteam unter der Leitung des Innovationsexperten Andreas Becher entwickelt hat. Das CPD-System (Child Presence Detection, auf Deutsch etwa Kinderanwesenheitserkennung) soll verlässlich erkennen, ob sich ein Kind im Auto befindet. In Gefahrensituationen sendet diese automatisch Warnsignale aus – bis hin zur Alarmierung von Rettungskräften.
Ausgeklügelte Technik erkennt Menschen im Innenraum
Die neue Technologie soll Leben retten, aber gleichzeitig keine unnötigen Notrufe absetzen – etwa, wenn gar keine Gefahr besteht. Wie soll das funktionieren? Das CPD-System arbeite mit einer Ultra-Breitband-Radarsensorik, die laut Marquardt für die Gesundheit der Insassen aber unbedenklich sei.
Das Radar, dessen Sensoren sich in jeder Sitzreihe eines Fahrzeugs befinden, erkenne, ob sich Lebewesen oder Objekte im Auto befinden. Anschließend komme eine Künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel, die die vom Radar aufgezeichneten Bewegungsmuster unterscheiden und zuzuordnen könne.
Zudem könne die KI die Altersgruppe der Insassen bestimmen, erklärt Projektleiter Andreas Becher. Das geschehe vor allem über die Atemfrequenz, die sich je nach Alter unterscheide. „Diese Fähigkeit ist deswegen wichtig, weil ein Alarm nur dann ausgelöst werden muss, wenn erkannt wird, dass ein Baby oder Kleinkind allein im Fahrzeug zurückgelassen worden ist. Gerade in dieser Altersgruppe ist davon auszugehen, dass sie sich nicht selbst aus der Notsituation befreien können.“
Erfolgreiche Testreihe mit Kleinkindern
Um verlässlich funktionieren zu können, muss eine KI zunächst mit Daten gefüttert werden. Diese haben die Entwickler in einer medizinisch begleiteten Testreihe mit über hundert Kindern im Alter zwischen null und zehn Jahren gewonnen. Dabei wurden die Atembewegungen der kleinen Probanden in einem Auto aufgezeichnet. Ein Kinderarzt begleitete die Testreihe.

Im Moment handelt es sich bei dem System noch um einen Prototyp, wie Markus Kramer, Innovationsleiter bei Marquardt, erklärt. „Der nächste Schritt ist der Einstieg in die Serienentwicklung gemeinsam mit der Automobilindustrie“, fügt er an. Das System sei eine Innovation, die Leben retten könne, davon ist Kramer überzeugt.
Experte hält das System für sinnvoll und innovativ
Stefan Reindl, Direktor des Institut für Automobilwirtschaft (IfA), ist da ähnlicher Meinung. „Das ist schon innovativ“, sagt Reindl. „Mir ist aktuell kein anderes System bekannt, das dem gleichkommt.“

Reindl könne sich gut vorstellen, dass der Gesetzgeber das CPD-System sogar irgendwann zur Pflicht machen könnte, wie er sagt. Ganz ähnlich wie beim E-Call System – einem elektronischen Notrufsystem, das bei einem Unfall automatisch Hilfe anfordert. Laut einer EU-Verordnung müssen Autohersteller ab April 2018 alle neuen Pkw mit einem solchen System ausstatten.
„Das kann man ein wenig als Vorbild nehmen“, findet der Professor für Automobilwirtschaft. Allein die Zahlen aus den USA zeigten, dass ein verpflichtender Einbau des Systems in Neuwagen zum sinnvoll wäre. „Schließlich geht es um Menschenleben, es geht um Kleinkinder.“