Das Kind ist schneeweiß im Gesicht, kalter Schweiß steht ihm auf der Stirn, dann kommt der gefürchtete Satz: „Mama, Papa, mir ist so schlecht!“ Wer mit dem Nachwuchs in den Urlaub reist, muss damit rechnen, dass ihnen Autofahren, Fliegen oder schaukelnde Fähren nicht gut bekommen. Etwa jedes zehnte Kind zwischen zwei und 12 Jahren leidet zumindest vorübergehend mal unter Reiseübelkeit. Warum das so ist und was gegen das Schlechtwerden auf Reisen hilft:
Wie kommt die Reiseübelkeit zustande?
Die Reisekrankheit, medizinisch auch als Kinetose bezeichnet, wird durch die so genannte Stör-Signal-Theorie erklärt. Das Gehirn bekommt ständig sehr viele verschiedene Informationen darüber, wie der Körper sich im Raum bewegt und hält ihn so im Gleichgewicht. „Beim Laufen beispielsweise sehen die Augen die Umgebung, die Füße spüren den Boden und das alles stimmt mit der Körperlage und dem Tempo überein, welches das Gleichgewichtsorgan im Innenohr meldet“, sagt Thomas Küpper, der an der Uniklinik Aachen arbeitet und in der Deutschen Fachgesellschaft für Reisemedizin aktiv ist.
Sitzt man nun im Auto, im Flugzeug oder auf einem Schiff, nimmt das Gleichgewichtsorgan im Innenohr diese Bewegungen anders wahr als die Augen oder die Füße. Das Gehirn hat mehr Mühe damit, Bewegungsreize und Gleichgewichtssinn in Einklang zu bringen – erst recht, wenn dann noch Tempowechsel, Kurven oder Seegang dazu kommen. Darauf kann der Körper mit Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen und Erbrechen reagieren.
Warum sind gerade Kinder so häufig davon betroffen?
Erwachsene, die regelmäßig reisen, haben die Erfahrung der widersprüchlichen Informationen schon gemacht und können sie deshalb entsprechend verarbeiten. „Das kindliche Gehirn ist aber noch nicht voll entwickelt und kann deshalb mit Übelkeit reagieren, gerade bei Kindern im Kindergartenalter“, sagt Thomas Küpper.
Warum sind nicht alle Kinder davon betroffen?
Dazu gibt es nur Vermutungen. „Da in manchen Familien Reiseübelkeit eher auftritt als in anderen, könnten genetische Veranlagungen eine Rolle spielen“, sagt Thomas Küpper. Das würde auch erklären, warum auch manche Erwachsenen noch unter Reiseübelkeit leiden. Einfluss hat aber auch eine gewisse Reiseroutine. „Kinder, die regelmäßig Autofahren oder fliegen, sind oft weniger betroffen, weil man das Gehirn für diese Reize durchaus trainieren kann“, sagt Küpper. Das machen beispielsweise auch Astronauten, bevor sie sich in die Schwerelosigkeit begeben, denn auch hier würde einem unvorbereiteten Menschen erst einmal schlecht werden.
Kann man etwas tun, um einer Reiseübelkeit vorzubeugen?
Einen Teil der Reiseübelkeit kann man Reisemediziner Küpper zufolge auch durch Autosuggestion erklären: Wer schon befürchtet, dass ihm schlecht werden könnte, wenn er in ein Flugzeug steigt oder sich in ein Auto setzt, dem wird auch eher schlecht. „Von daher ist die beste Prävention Ablenkung, damit man erst gar nicht daran denkt, dass so etwas passieren könnte“, sagt Küpper.
Auch Beschäftigungen wie lesen oder Filme anschauen während einer Reise können Übelkeit auslösen oder verstärken. Der Grund: Die Augen fixieren dann ein Buch oder Tablet statt dem Horizont draußen oder dem Raum im Flugzeug. Das macht es für das Gehirn noch schwieriger, die Bewegungsreize der Fahrt in Einklang zu bringen mit der sitzenden Tätigkeit. Ein dritter Rat von Thomas Küpper ist: Nicht mit leerem, aber auch nicht mit zu vollem Magen reisen.
Können Medikamente helfen?
Kindern, bei denen eine Reiseübelkeit regelmäßig auftritt, können schon vor Reiseantritt Medikamente einnehmen. „Das bespricht man dann aber mit dem Kinderarzt, was sich da anbietet“, sagt Thomas Küpper. Manche Medikamente kann man auch noch geben, wenn einem Kind bereits schlecht geworden ist. „Was man aber auf keinen Fall tun darf, ist Pflaster gegen Reiseübelkeit verwenden. Die sind nur für Erwachsene und dürfen auch nicht für Kinder genutzt werden, indem man sie etwa klein schneidet“, warnt Küpper.
Es gibt auch Globuli, Kaugummis oder Armbänder gegen Reiseübelkeit. Was ist davon zu halten?
„Rein wissenschaftlich gibt es hier keinen Wirkungsnachweis. Helfen können solche Dinge aber durchaus“, sagt Thomas Küpper und erklärt auch, warum. „Gerade bei Kindern spielt Suggestion eine große Rolle. Wenn ich denen ein Armband anlege und sage, es hilft dir und du musst darauf achten, dass es nicht verrutscht, dann kann das durchaus funktionieren.“
Und wenn dem Kind schon schlecht geworden ist unterwegs?
Wer mit Kindern reist, tut gut daran, eine Tüte sowie Wechselkleidung dabei zu haben und gegebenenfalls auch Medikamente, die man dann geben kann. Beim Autofahren legt man möglichst schnell eine Pause ein mit frischer Luft, bis es dem Kind deutlich besser geht. „Danach kann man mit viel Ablenkung auch wieder weiter reisen“, sagt Thomas Küpper.
Bleibt die Reiseübelkeit auch im Erwachsenenalter?
„Nein, in den meisten Fällen geht sie wieder weg, wird zumindest deutlich besser oder tritt nur noch unter extremen Bedingungen auf“, sagt Mediziner Küpper. Bei Autofahrten kann es Betroffenen helfen, nicht als Beifahrer zu leiden, sondern selbst am Steuer zu sitzen – weil sie dort auf Tempowechsel und Kurven besser vorbereitet sind als ein Beifahrer. Im Flugzeug oder auf einem kleineren schaukelnden Schiff oder Boot empfiehlt Thomas Küpper, den Bewegungen mit dem Körper zu folgen. Wer im Zug Probleme dabei hat, mit dem Rücken in Fahrtrichtung zu sitzen, kann etwa mit einem anderen Fahrgast tauschen.
Reiseapotheke: Das Centrum für Reisemedizin (crm.de) bietet auf seiner Homepage eine übersichtliche Liste, was in die Reiseapotheke für Kinder gehört. Wichtig ist gerade beim Sommerurlaub: Im Auto oder im Urlaubsland kann es hohe Temperaturen geben, bei 40 Grad Celsius aufwärts können die Wirkstoffe mancher Medikamente jedoch beeinträchtigt werden. Statt Zäpfchen packt man bei Hitze besser Tropfen oder Säfte ein. Wer fliegt, sollte die wichtigsten Medikamente im Handgepäck transportieren, falls der Koffer verloren geht. (sam)