Vanessa Amann, Markus Baier, Benjamin Brumm und Susanne Eschbach

Deutschland und die Schweiz driften auseinander. Zumindest was die Corona-Strategie der Nachbarländer angeht, endet der Gleichschritt der vergangenen Wochen ab dem 19. April. Während die Schweiz dann viele Bereiche öffnet, steht in Deutschland eine neuerliche Verschärfung bevor.

So werden diesseits der Grenze nächtliche Ausgangsbeschränkungen der Normalfall. Im Kreis Konstanz ist er das quasi zeitgleich mit der Schweizer Öffnung jetzt schon. Ans abendliche Getränk mit Freunden im Freien ist vorerst nicht zu denken. Jenseits der Grenze, einen Steinwurf entfernt, dürfen Restaurants oder Cafés dagegen draußen bewirten. Dazu machen unter anderem Kinos und Museen wieder auf – selbst Sport im Fitnesscenter ist unter strengen Vorgaben wieder möglich.

Konstanzer Landrat: „Sind überrascht und nicht ganz glücklich“

Der Konstanzer Landrat Zeno Danner, der gerade die ab 17. April gültige Verfügung zur Ausgangssperre unterschrieben hat, ist „über den Zeitpunkt der Schweizer Öffnung nicht ganz glücklich und wir sind auch überrascht“, sagt er gegenüber dem SÜDKURIER.

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Hört man sich in der Schweiz um, sind das auch die Eidgenossen selbst. Fünf Ziele hatte sich der Bundesrat gesteckt, bevor wieder mehr Freiheit möglich sein sollte. Vier davon sind nicht erfüllt, lediglich die Auslastung der Intensivbetten mit Covid-19-Patienten liegt unter der Maximalgrenze von 250. Gesundheitsminister Alain Berset bezeichnet die Lockerungen dennoch als „vertretbares Risiko“.

Stimmung in der Schweiz nach Öffnung zwiegespalten

Schweizer Medien machen seither eine Spaltung der Bevölkerung aus, zwischen 'himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt' bewegt sich laut Tagesanzeiger die Stimmung. Die NZZ sieht die Wirtschaft frohlocken und einen moralischen Schub bei gleichzeitiger Kritik von Gesundheitsexperten und insbesondere grünen Politikern.

Doch wie blickt man hierzulande auf das Mehr an Freiheit der Nachbarn? Sind Veranstalter, Kulturschaffende oder Gastronomen neidisch? Pilgern die Menschen bald ohne Rücksicht auf Quarantäne-Regeln in Schweizer Biergärten und Geschäfte?

Es gibt Regeln zur Einreise – sie können aber kaum kontrolliert werden

Schließlich gehört zur nimmermüde von Ämtern und Ministerien betonten Wahrheit, es ändere sich trotz abweichender Strategien auf beiden Grenzseiten nichts an den Einreise-Regeln, auch eine zweite Wahrheit: Faktisch kann die Einhaltung der Verordnungen im Alltag kaum kontrolliert werden.

Hinter vorgehaltener Hand räumen Behördenvertreter das auch ein: Zu unübersichtlich sei die Lage entlang der Grenze, zu viele Beteiligte von Orts- über Landes- bis Bundespolizei seien für Überwachung und Ahndung zuständig.

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Skepsis bei Veranstaltungen unter gegebenen Voraussetzungen

Ergo: Nach wie vor kaufen Menschen aus der Schweiz in Deutschland ein, fahren Deutsche in die Schweizer Berge – ohne dass sie später systematisch auf die damit für sie geltende Quarantäne festgenagelt werden. Trotzdem steht den Menschen zwischen Bodensee und Hochrhein offenbar nicht der Sinn nach den Freiheiten jenseits der Grenze.

Der Konstanzer Veranstalter Xhavit Hyseni hält Konzerte unter den Schweizer Vorgaben „für nicht besonders erfolgversprechend und in der Kürze der Zeit auch kaum umsetzbar“.

Xhavit Hyseni ist Mitgeschäftsführer der Konzertagentur Kokon Entertainment aus Konstanz.
Xhavit Hyseni ist Mitgeschäftsführer der Konzertagentur Kokon Entertainment aus Konstanz. | Bild: Giovanni Proietto

Die Möglichkeit, einen Saal mit bis zu einem Drittel der Kapazität besetzen zu können, sähe nur auf den ersten Blick gut aus. Tatsächlich dürfen drinnen maximal 50 Besucher kommen (draußen 100), es muss gesessen und durchgehend Maske getragen werden. Ob man das wirklich genießen kann? Hyseni: „Die Branche bleibt nach meinem Eindruck sehr zurückhaltend, wir schielen eher auf den späten Sommer oder frühen Herbst.“

Ergibt reine Außengastronomie wirtschaftlich überhaupt Sinn?

Sandra Martin hält es zwar für „gut vorstellbar, dass einige Konstanzer das Angebot über der Grenze annehmen“. Die Mitinhaberin des Cafés Auszeit macht aber auch „jede Menge Vorsicht unter den Gästen“ aus.

Sandra Martin ist Mitinhaberin des Cafés Auszeit in Konstanz.
Sandra Martin ist Mitinhaberin des Cafés Auszeit in Konstanz. | Bild: Brumm, Benjamin

Auch sie selbst und ihre Kollegen sind beim Gedanken an reine Außengastronomie zwiegespalten. „Ob sich das für uns rentieren würde?“, fragt die junge Frau und ergänzt: „Was machen wir mit den Waren, wenn wegen schlechten Wetters mehrere Tage niemand kommt oder sich die Regeln plötzlich wieder ändern?“

Bad Säckinger Theater-Intendant lobt Schweizer Krisenmanagement

Anderer Ort, ähnliche Bedenken. „Mein Neid hält sich in Grenzen, denn was dort jetzt erlaubt ist, würde uns auch nicht weiterhelfen“, sagt Jochen Frank Schmidt, Intendant des Gloria-Theaters Bad Säckingen, angesprochen auf die Wirtschaftlichkeit einer Drittel-Besetzung.

Jochen Frank Schmidt, Intendant des Gloria-Theaters Bad Säckingen.
Jochen Frank Schmidt, Intendant des Gloria-Theaters Bad Säckingen. | Bild: Jürgen Scharf

Neidisch sei er eher auf das Krisenmanagement der Nachbarn. „Man hat den Eindruck, dass die Schweiz sich eher an den Ergebnissen und dem Machbaren orientiert, und nicht so sehr an politischen Erwägungen“, sagt Schmidt. Während hierzulande Schließungen als Allzweckwaffe herhalten müssten, seien dort insbesondere Schulen durchgehend offen gewesen – ohne größere Auswirkungen auf die Inzidenz, so der Säckinger Theater-Chef.

„Froh, dass bei uns noch geschlossen ist“

Ebenfalls aus der Trompeterstadt kommt Gastronomin Andrea Scalabrin. Sie bleibt trotz Lockerungen in der Nachbarschaft gelassen. Für ihre Osteria Eden ändere sich nichts, weil sie sich an die fehlende Kundschaft aus der Schweiz gewöhnt hat – schließlich gibt es derzeit nur ein Mitnahme-Angebot der Speisen.

Gastronomin Andrea Scalabrin aus der Osteria Eden in Bad Säckingen.
Gastronomin Andrea Scalabrin aus der Osteria Eden in Bad Säckingen. | Bild: Susanne Eschbach

Dass einige Stammgäste in die Schweiz gehen, hält sie nicht unvernünftig und betont, dass dies eigentlich nicht ohne anschließende Quarantäne erlaubt ist. Scalabrin ist sogar froh, „dass noch alles geschlossen ist, auch wenn es für uns geschäftlich nicht einfach ist“. Der Grund? „Ich habe eigene Erfahrungen in der Familie mit Corona.“

Müdigkeit beim Waldshuter Restaurant-Chef

Fabian Sihler, Inhaber des Black-Forest-Burgers in Waldshut-Tiengen, fasst die Stimmung der Gastronomie-Branche nach wochenlanger Schließung mit einem Wort zusammen: Müdigkeit.

Fabian Sihler betreibt das Restaurant „Black Forest Burger“ in Waldshut-Tiengen.
Fabian Sihler betreibt das Restaurant „Black Forest Burger“ in Waldshut-Tiengen. | Bild: Ursula Freudig

„Nichts geht vorwärts, und es bringt auch nichts, sich ständig Gedanken zu machen“, betont er nachdrücklich. Sihler geht allerdings davon aus, dass es angesichts der Öffnung Menschen aus der Grenzregion in die Schweiz ziehen wird.

Wenig Lust der Bürger auf Schweiz-Ausflüge

Für Daniel Kürzinger aus Klettgau kommt das aktuell nicht in Frage. „Ich werde jetzt nicht in die Schweiz fahren, weil dort die Regeln gelockert werden“, sagt er.

Daniel Kürzinger (27) aus Klettgau-Grießen kann sich derzeit eine Biergarten-Besuch in der Schweiz nicht vorstellen.
Daniel Kürzinger (27) aus Klettgau-Grießen kann sich derzeit eine Biergarten-Besuch in der Schweiz nicht vorstellen. | Bild: Vanessa Amann

Natürlich vermisse auch er einen Restaurantbesuch, dennoch habe ein „verantwortungsbewusstes Handeln“ für ihn oberste Priorität.

Der 27-Jährige aus dem Ortsteil Grießen steht dabei stellvertretend für die Mehrheit der Menschen in der Grenzregion. Auch in Konstanz winken viele bei Nachfragen über Café-Fahrten und Fitnesskurse im benachbarten Kreuzlingen nur noch müde ab. Der Tenor: Versteht doch keiner mehr, diese ganzen Regeln.

Reaktionen der regionalen Politiker und Behörden auf die Schweizer Lockerung