Von außen wirkt das Anwesen der Gruppe Fiat Lux wie ein gut erhaltenes und saniertes Schwarzwaldhaus. Üppige Geranien, der frisch gestrichene Balkon, Engel und Marienfiguren im Dutzend. Erst beim näheren Hinsehen wird der Besucher stutzig: Neben den zahlreichen Heiligen stößt er im hellsten Frühjahr auf einen großen Christbaum mit echt falschem Schmuck. Hier ist immer Weihnachten.

Der weihnachtliche Aufbruch täuscht. Um die Sekte ist es hörbar stiller geworden. Der Medienrummel von einst hat die Mitglieder scheu gemacht und in die winzigen Zimmerchen ihrer Häuser vertrieben. Eine Frau mit einem Kleid, das früher einmal weiß war, wimmelt den Reporter ab. Ihre Begleiterin sagt: „Wir geben keine Interviews – auf Geheiß von Christus.“ Sie verschwindet schnell und murmelt noch: „Gottes Segen Ihnen.“

Sie verschwinden in den Hintereingängen

Die Mitglieder sind leicht an der durchweg hellen oder weißen Kleidung erkennbar. Scheu verschwinden die wenigen Männer und Frauen in den Hintereingängen des Hauses „Rohkost Eremitage“, sobald eine Frage auftaucht.

Eines der beiden Wohnhäuser der Sekte. Hier ist auch der Rohkost-Imbiss untergebracht.
Eines der beiden Wohnhäuser der Sekte. Hier ist auch der Rohkost-Imbiss untergebracht. | Bild: Fricker, Ulrich

Das war früher anders. Früher, das war in den 1980er und 90er-Jahren, als sich die fundamentalistische Gruppe auf den Höhen des Südschwarzwalds niederließ. Erst in Strittmatt (wegen der fünf „t“, die angeblich schützend wirken). Dann in der Gemeinde Ibach. Ein Ort, in dem sich Fuchs und Has gute Nacht sagten – bis Fiat Lux und seine charismatische Führerin Erika Bertschinger dort niederließen.

Bertschinger trug damals bereits den Künstlernamen Uriella. Sie kleidete sich und ihre Anhänger in weiße Gewänder und legte üppig Perlen darüber. Eine Erscheinung aus einer anderen Welt, welche die TV-Privatsender damals anzog und die Einwohner abschreckte.

1996: Vor dem Landgericht Waldshut feiern Angehörige von „Fiat Lux“ den Freispruch für die Angeklagte Uriella alias Erika ...
1996: Vor dem Landgericht Waldshut feiern Angehörige von „Fiat Lux“ den Freispruch für die Angeklagte Uriella alias Erika Bertschinger-Eicke (links). Rechts daneben ihr Ehemann „Icordo“. | Bild: Albert_Schmidt

Der Rummel ist definitiv vorbei. Im Februar 2019 starb Uriella im Alter von 89 Jahren. Zuvor kursierten bereits Gerüchte über ihren Gesundheitszustand. Von Bettlägerigkeit war die Rede. Die Beisetzung in der katholischen Kirche von Ibach versammelte noch einmal alle Mitglieder, auch jene, die nicht in den Häusern von Ibach und damit in der engeren Gemeinschaft leben. Über 100 Trauergäste waren versammelt, echte Betroffenheit war zu spüren, schrieb der SÜDKURIER damals.

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Sie haben sich selbst exkommuniziert

Auch bei ihrem Heimgang sorgte die Gründerin nochmals für Aufsehen: War das etwa ein katholisches Begräbnis? Nein, sagt der zuständige Pfarrer und winkt energisch ab. Jan Grzeszewski betreut seit 17 Jahren die Pfarrei St. Georg und Cyriakus, er sagt: „Aus Barmherzigkeit haben wir damals die Kirche zur Verfügung gestellt.“ Die Einsegnung nahm die Gruppe selbst vor. Icordo – Witwer von Uriella, hielt die Ansprache und teilte bei diesem Anlass kräftig gegen die alten Gegner von Uriella aus. „Es war kein katholisches Requiem“, sagt Grzeszewski kurz. Fiat Lux habe sich durch die eigenen Handlungen und Anmaßungen selbst exkommuniziert. Dann fällt die Tür zum Pfarrhaus zu.

Das Pfarrhaus der katholischen Gemeinde Unteribach. Der Geistliche Jan Grzeszewski wohnt hier, er lehnt jeden Kontakt zu Fiat Lux ab.
Das Pfarrhaus der katholischen Gemeinde Unteribach. Der Geistliche Jan Grzeszewski wohnt hier, er lehnt jeden Kontakt zu Fiat Lux ab. | Bild: Fricker, Ulrich

Auf dem Friedhof trifft man Uriella an. Das ist eindeutig ihr Grab: Es ist mit weißen Papierrosen übersät, dazu weiße falsche Perlen und helle Bänder. Auf einem verschnörkelten weißen Kreuz ist das Porträt der Frau eingelassen. Es ist unverkennbar, das Lächeln, die ballonförmig toupierten dunklen Haare, die starke Schminke. Die Grabstelle sticht von den anderen Ruhestätten ab; dies sind in dunklem Stein gehalten mit braunen Buchstaben, allen Glanz und alles Auffällige vermeidend. Bauerngräber. Anders Uriellas Liegeplatz. Die künstlichen Rosen halten ihren Glanz, noch.

Das sind nette Leute, sagt der Bürgermeister

Im Dorf sind die traurigen Mitglieder inzwischen gut gelitten. „Das sind nette, freundliche Leute“, bemerkt Helmut Kaiser. Der ehrenamtliche Bürgermeister der kleinen Gemeinde berichtet, die Sekte lebe sehr zurückgezogen. „Ab und zu fahren sie durch die Gemeinde“, weiß Kaiser, sie seien aber völlig zurückhaltend. Sie lebten ganz für sich in ihren Liegenschaften am Waldrand und mit Perma-Weihnachtsschmuck.

Originell: Ein Christbaum für das Frühjahr. Fiat Lux feiert das ganze Jahr Weihnachten.
Originell: Ein Christbaum für das Frühjahr. Fiat Lux feiert das ganze Jahr Weihnachten. | Bild: Fricker, Ulrich

Fiat Lux trat im Schwarzwald nicht immer so scheu auf. 1999 kandidierte die Sekte bei der Wahl für den Gemeinderat an. Sie wurden gewählt und konnten zwei Räte entsenden. Darunter auch Eberhard Eicke, der mit Uriella verheiratet war. Viele im Ort (etwa 430 Einwohner) fürchteten sogar eine sektenhafte Unterwanderung der Verwaltung von Ibach. Doch nichts geschah. Der Weltuntergang, den die Chefin immer wieder anrollen sah, blieb aus. Auch in Ibach hörten keiner den Hufschlag der apokalyptischen Reiter.

Damals sprach sie noch mit der Presse: „Uriella“ gibt bei ihrer Ankunft am Landgericht Waldshut noch Interviews.
Damals sprach sie noch mit der Presse: „Uriella“ gibt bei ihrer Ankunft am Landgericht Waldshut noch Interviews. | Bild: [ROLF HAID

Damals lebten bis zu 40 Männer und Frauen in der Hotzenwald-WG von Uriella. „Heute sind es etwa noch 20 Mitglieder“, schätzt Bürgermeister Kaiser. „Ihre Mission ist zu Ende“, sagt Kaiser über das die Präsenz der Fiat Lux-Leute in Ibach, wo Häuser und Höfe weit gestreut sind. Eine Nachbarin sagt: „Da ist eine unauffällige Gruppe.“ Missionieren sie noch? „Nein“, berichtet Sandra Sass.

Ibach ist eine weit verstreute Gemeinde im Südschwarzwald. Fiat Lux sitzt im Ortsteil Unteribach.
Ibach ist eine weit verstreute Gemeinde im Südschwarzwald. Fiat Lux sitzt im Ortsteil Unteribach. | Bild: Fricker, Ulrich

Kein Kaffee, keine Medikamente

Für die Mitgliedschaft müssen die Kandidaten einige Prüfungen durchlaufen. So sollte man 40 Botschaften Gottes durcharbeiten, redigiert von Uriella, die sich ohne falsches Bescheidenheit stets „Sprachrohr Gottes“ nannte. Wer in dem „Orden“ leben will, muss auf Genussmittel wie Kaffee, Zigaretten und auch Medikamente verzichten. Auf den Tisch kommt eine rein vegetarische Ernährung.

Weihnachtsdeko für die Rohkost-Eremitage: Das Restaurant ist die einzige öffentliche Einrichtung, die Fiat Lux betreibt.
Weihnachtsdeko für die Rohkost-Eremitage: Das Restaurant ist die einzige öffentliche Einrichtung, die Fiat Lux betreibt. | Bild: Fricker, Ulrich

Das spiegelt sich auch in dem originellen Restaurant, das Fiat Lux betreibt. In der Rohkost-Eremitage kommt nur Pflanzliches, Körner sowie Halbgegartes auf den Tisch. „Die Nahrung wird bei uns auf maximal 42 Grad erhitzt“, liest man in der Speisekarte. Schwerpunkt sind vor allem die Müsli in verschiedener Zubereitung. Zum Abschluss wird eine Tasse Getreidekaffee gereicht – für sagenhafte 2 Euro 10. „Der Preis ist seit zehn Jahren unverändert“, sagt eine Küchenfrau, bevor sie im Dunkel der langen Kochzeile verschwindet.

Icordo, der Weihnachtsmann

Fleisch gibt es keines. Dafür ist auch hier weihnachtliche Deko aufgebaut. Icordo kümmere sich besonders darum, heißt es, Tannengrün und Sterne sind seine Domäne, und zwar ganzjährig. Nach dem Heimgang seiner Frau Uriella hat er offenbar die Zügel in der Hand.

Uriellas Porträt auf dem Friedhof der Gemeinde Ibach.
Uriellas Porträt auf dem Friedhof der Gemeinde Ibach. | Bild: Fricker, Ulrich

Paolo ist der einzige, der mit dem Reporter spricht. Auch er trägt einen hellen Anzug sowie ein Brustkreuz. Paolo heißt eigentlich Paul und stammt aus dem Ruhrgebiet. Er sei altgedientes Mitglied, sagt er und lässt durchblicken: mit Höhen und Tiefen. Seit 1988 ist er dabei, berichtet der blasse Mann. Auch er ist äußerst pressescheu. Man habe halt schlechte Erfahrungen mit den Medien gemacht, die kein gutes Haar an Uriella und ihren alternativen Heilmethoden gelassen hatten.

Lauwarm Gegartes

Dennoch gibt es mit ihm eine kurze Hausführung durch die Eremitage. Gerade sind Handwerker im Haus, deshalb steht manche Tür offen. Köpfe erscheinen im Türrahmen und verschwinden ebenso schnell. Fiat Lux erscheint nicht gerade als ein Ausbund an Lebensfreude und Zugewandtheit. Eher herrscht hier eine gedrückte Stimmung. Menschen verrichten ihre Arbeit an den großen Häusern, wo es immer etwas zu tun gibt. Das Restaurant serviert gerade kein warm gegartes Gemüse – bis auf Weiteres geschlossen.

Blick ins Rohkost-Restaurant: Viel Holz und falsche Blumen. Das Restaurant „hat bis auf Weiteres“ geschlossen. Der Kaffee ...
Blick ins Rohkost-Restaurant: Viel Holz und falsche Blumen. Das Restaurant „hat bis auf Weiteres“ geschlossen. Der Kaffee kostet 2,10 Euro – seit zehn Jahren. | Bild: Fricker, Ulrich

Paolo verabschiedet sich freundlich. Er drückt mir noch einige Broschüren in die Hand. „Fiat Lux – eine urgeistchristliche Gemeinschaft“ steht da unter anderem. Er verabschiedet sich und weist mir die Tür. Er muss an die Arbeit, sagt er, seine Arbeit als Buchhalter, damit das alles seine Richtigkeit hat.