Gerichte, Polizei und Staatsanwaltschaften sind für sie nur Firmen – ihre scheinbaren Rechtsbehörden heißen „SMAD“ oder „SHAEF“: Die Reichsbürgerszene in Deutschland wächst. Und sie macht sich auch in Südbaden breit. Ein Beispiel aus Tengen zeigt, was das bedeuten kann: Die Nachbarn sind traumatisiert, die Polizei kapituliert.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Beate N.* (Name von der Redaktion geändert) aus Tengen. Eine Frau, die seit Jahren ihre Nachbarn attackiert, verbal und nachweislich auch körperlich. Eine Frau, die in einem Brief an das Amtsgericht Singen, der dem SÜDKURIER vorliegt, Richterin Birgit Troppmann mit Strafanzeigen bei eben jenem „SHAEF“ droht.

Eine Frau, die den Konstanzer Rechtsanwalt Gerhard Zahner informiert: „Die Bundesrepublik in Deutschland (BRID) ist seit 1. Mai 2020 nicht mehr existent. Alle Amtshandlungen sind illegal, alle Geschäfte der BRID nichtig und ungültig.“ Die Tengenerin meint das ernst – und will auch Zahner bei „SMAD“ anzeigen. Wie konnte es dazu kommen?

„Asozial“ und „scheiß Dörfler“

Hintergrund der Behauptungen und Drohungen ist ein seit sieben Jahren schwelender Streit zwischen mehreren Nachbarn in einem Ortsteil von Tengen. Am Anfang stand ein zwei Meter hoher Rosenbusch, den die im Jahr 2014 neu zugezogenen Mieter Beate und Torsten N.* auf dem Grundstück ihrer Nachbarn Marcus Bornschein und Silvie Schaudt ohne Vorankündigung komplett abgeholzt hätten. Anstatt sich bei ihnen zu entschuldigen, sollen sie sie wenig später als „asozial“ und „scheiß Dörfler“ beschimpft haben.

Auf einen freundlichen Klärungsversuch folgen laut den Geschädigten wüste Beleidigungen: „Ich sei bösartig und asozial. Sie drohte mir und meinen Haustieren mit dem Tod“, erzählt Silvie Schaudt. Wenig später sei auch der Ehemann Torsten N. vorbeigekommen und habe gedroht: „Ich blas euch weg, ich mach euch fertig, ich hau euch alle um... Ich schicke euch meine Leute vorbei.“

Im eigenen Garten angespuckt

Das bedrohte Paar schaltet den Singener Anwalt Burkard Eck ein, der eine Unterlassungserklärung formuliert. Darauf schalten Beate und Torsten N. ihren Rechtsvertreter ein, der die Vorwürfe umdrehte. Mehrere SÜDKURIER-Anfragen beantwortete der Singener Jurist nicht. Marcus Bornschein und Silvie Schaudt sprechen kurz nach den ersten Vorfällen ein Hausverbot gegen das Paar N. aus. Diese sollen dennoch regelmäßig das fremde Grundstück betreten und dort ihre nicht angeleinten Hunde ihre Notdurft verrichten haben lassen.

„Ich wurde angespuckt und mit Dreck beworfen in meinem Garten. Wenn wir Besucher hatten, wurden sie beschimpft und beleidigt, auch im Beisein von kleinen Kindern“, sagt Silvie Schaudt. Viele weitere Anfeindungen und Provokationen sollen gefolgt sein. Sie wurden akribisch dokumentiert, wie der SÜDKURIER einsehen konnte, und bei der Polizei angezeigt.

„Auf neue Nachbarn eingeschossen“

Die aufgeladene Situation entspannt sich für Marcus Bornschein und Silvie Schaudt ein wenig, als Melanie Schrämli und Thomas Brinkmann nach Tengen ziehen. „Die erste Zeit waren wir die Leidtragenden, dann haben sie sich auf die neuen Nachbarn eingeschossen – vielleicht auch, weil sie sich öfters sehen“, sagt Marcus Bornschein.

„Das vermiest uns unser Leben, wir können nicht mehr. Wenn sich nichts ändert, werden wir unser Haus verkaufen“, sagen ...
„Das vermiest uns unser Leben, wir können nicht mehr. Wenn sich nichts ändert, werden wir unser Haus verkaufen“, sagen Melanie Schrämli und Thomas Brinkmann. | Bild: Südkurier

Der erste Konflikt zwischen Beate und Torsten N. und ihren neuen Nachbarn soll sich bereits kurz nach deren Einzug ereignet haben. „Der allererste negative Kontakt war etwas Belangloses, ein Hund ist mir ausgebüxt und sie (Beate N., Anm.) hat ihn eingesammelt und ein Riesendrama gemacht“, sagt Melanie Schrämli.

Beate N. habe behauptet, sie hätte die ganze Nacht mit dem Hund die Straße auf und ab laufen müssen. Dabei sei Schrämli abends nur etwa eine Stunde nicht zu Hause gewesen. Von da an sollen Beleidigungen und Drohungen bei zufälligem Sichtkontakt regelmäßig vorgekommen sein. Weitere Tengener, mit denen der SÜDKURIER sprechen konnte, die aber anonym bleiben wollen, schilderten ähnliche Erlebnisse mit Beate N.

Psychoterror auch in Hilzingen

„Bei den ersten Ausrastern dachte ich noch, die gute Frau hat einen schlechten Tag. Irgendwann nach diversen Gespräche wurde mir bewusst, dass Frau N. sich an jedem Wohnort jemanden als Opfer aussucht“, sagt Schrämli. Das bestätigen auch die Nachbarn Silvie Schaudt und Marcus Bornschein sowie die Hilzingerin Theresa Hauser (Name von der Redaktion geändert, Anm.).

Ihr fällt es sichtlich schwer, über das Vorgefallene zu sprechen. Bevor das Paar N. nach Tengen zog, hatte es in Hilzingen in einer Mietwohnung im selben Haus wie die Familie von Theresa Hauser gelebt. „Wir haben neun Monate unter demselben Dach gewohnt, seither habe ich psychische Probleme“, sagt Hauser dem SÜDKURIER. Beschimpfungen und Boshaftigkeiten, wie zum Beispiel die fremde Waschmaschine im gemeinsamen Waschraum auf 95 Grad hochdrehen, sollen an der Tagesordnung gewesen sein.

Wohnungsverkauf, um zu entkommen

Eines Tages sei Beate N. mit ihrem Wagen mit hoher Geschwindigkeit auf die Fußgängerin Theresa Hauser zugefahren. „Wenn ich nicht zur Seite gesprungen wäre, hätte sie mich überfahren. Ich war wegen ihr in der Klinik.“ Doch ein Straf- und Zivilprozess gehen verloren. „Es gab nicht genug Beweise. Sie haben es anders hingedreht“, sagt Hauser.

Ihr Arzt empfiehlt ihr schließlich, mit ihrer Familie wegzuziehen. „Wir hatten keine ruhige Minute mehr, überall waren Kameras, die uns beobachteten. Ich habe es mit Freundlichkeit versucht, aber es hat nichts gebracht, sie hat immer nur geschimpft, auch mit unseren Kindern.“ Um Beate N. zu entkommen, verkaufte Familie Hauser ihre Eigentumswohnung mit Verlust, wie sie selbst sagt.

Für Melanie Schrämli (51) und Thomas Brinkmann (55) aus Tengen ist der Albtraum bis heute nicht beendet. „Ich habe permanent Angst. Kann mich auf meinem eigenen Grundstück nicht frei bewegen. Mittlerweile gehen wir nur noch mit einem schlechten Gefühl auf unser Grundstück vor unserem Haus, jederzeit wissend, dass wir gefilmt werden und dass es zu einer Eskalation kommen kann“, sagt die 51-Jährige.

So soll Beate N. etwa im Sommer 2017 mit quietschenden Reifen auf Schrämli und eine Nachbarin zugefahren sein. „Wir konnten uns nur noch mit schnellen Schritten vom Rand der Fahrbahn weg in Sicherheit bringen“, so die Unternehmerin.

„Ich mach dich platt“

Ein Jahr später soll ihr Beate N. im Pkw dicht auffahrend und wild gestikulierend gefolgt sein. „Da ich mich bedrängt fühlte, blinkte ich und fuhr rechts an den Straßenrand. Daraufhin stellte sie ihr Fahrzeug quer über beide Fahrbahnen vor mein Auto, riss meine Fahrertür auf und schrie mich mit den Worten an: ‚Was willst du von mir, du Hungerhaken, ich zeig dich an wegen Nötigung‘.“

Dabei soll Beate N. die Fahrertür so wuchtig zugeschlagen haben, dass sich Schrämli laut eigenen Angaben einen Bluterguss am Unterarm zuzog. Erneut soll Beate N. die fremde Pkw-Tür aufgerissen und geschrien haben: „Ich pump dich um, ich mach dich platt.“

„Aussage gegen Aussage“

Zahlreiche Anzeigen folgen, unter anderem wegen wüster Beschimpfungen, permanenter Videoüberwachung des Hauseingangs und Grundstücks von Melanie Schrämli und Thomas Brinkmann sowie weiterer Vorfälle, welche vereinzelt Gegenanzeigen durch Beate und Torsten N. zur Folge haben. Im März 2020 stellt die Staatsanwaltschaft Konstanz ein Ermittlungsverfahren wegen eines Teils der Anzeigen ein – es stünde „Aussage gegen Aussage“:

Schreiben der Staatsanwaltschaft Konstanz vom 2. April 2020
Schreiben der Staatsanwaltschaft Konstanz vom 2. April 2020 | Bild: Staatsanwaltschaft Konstanz

Höhepunkt der Eskalation

Drei Monate später, am 26. Juli 2020, soll Beate N. mit ihrem Pkw Melanie Schrämli den Weg abgeschnitten haben und sie bei heruntergelassenen Scheiben bedroht und beschimpft haben, darunter mit „feige Sau“, wie Anwalt Gerhard Zahner bei der Staatsanwaltschaft Konstanz anzeigte.

Dem SÜDKURIER liegt ein Video von dem Vorfall vor. Es zeigt, wie Beate N. die Fahrertür von Melanie Schrämli aufreißt und sie körperlich attackiert. Dabei schreit Schrämli laut um Hilfe und betätigt ihre Hupe am Lenkrad, um auf sich aufmerksam zu machen.

Der Konstanzer Jurist Gerhard Zahner
Der Konstanzer Jurist Gerhard Zahner | Bild: Fricker, Ulrich

Davon habe Schrämli laut eigenen Angaben Hämatome am Schenkel davongetragen, Haare seien ihr „büschelweise“ ausgerissen worden, wie Anwalt Zahner an die Anklagebehörde in Konstanz schrieb. Er führte in seiner Strafanzeige weiter an, dass „die Gegnerin entweder hoch kriminell oder psychisch krank“ sei. Und: „Es ist zu befürchten, deshalb schalten wir die Staatsanwaltschaft ein, dass die Eskalation so ist, dass das nächste Mal eventuell auch schlimmere Folgen zu befürchten sind“, so Zahner.

Diesmal reagieren die Behörden. Das Amtsgericht Singen beschließt am 24. September 2020 „wegen der Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung im Wege der einstweiligen Anordnung“ Gewaltschutzmaßnahmen. So wird Beate N. aufgetragen, keinerlei Kontakt zu Melanie Schrämli aufzunehmen, sie nicht zu verletzten, zu schlagen noch an den Haaren zu ziehen und sich ihr nicht auf weniger als 50 Meter zu nähern.

Die Maßnahmen werden bis 23. März 2021 befristet, ein Verstoß dagegen kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr und Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro geahndet werden, hält das Amtsgericht Singen fest.

Verstoß ohne Konsequenzen

Doch Beate N. soll sich laut Melanie Schrämli nicht an die Gewaltschutzmaßnahmen gehalten haben. „Gegen die verhängten Maßnahmen hat sie fast täglich verstoßen“, sagt die Tengenerin. Etwa 40 Anzeigen bei der Polizei in Engen seien von den Beamten dort nicht ernst genommen worden, unter anderem mit der Begründung eines Beamten: „Wir haben Besseres zu tun.“

Nur einmal habe eine Streife vorbeigeschaut, Konsequenzen wegen Verstößen gegen die gerichtlich verhängten Gewaltschutzmaßnahmen habe es nicht gegeben. Eine Polizeibeamtin soll Schrämli laut eigenen Angaben geraten haben: „Am besten wäre es, wenn die Frau mit einem Prügel auf Sie losgehen würde, dann könnten wir etwas unternehmen.“

Dieter Popp, Sprecher des Polizeipräsidiums Konstanz
Dieter Popp, Sprecher des Polizeipräsidiums Konstanz | Bild: SK

Im Januar 2021 fällt das erste von vier Urteilen: Das Amtsgericht Singen verurteilt Beate N. wegen des tätlichen Angriffs im Auto auf Melanie Schrämli zu einer Geldstrafe von 1500 Euro wegen Körperverletzung und Beleidigung. Rund sieben Monate später, im August 2021, verurteilt das Landgericht Konstanz Beate N. in einem Zivilprozess dazu, rund 2700 Euro Schadenersatz, 2500 Euro Schmerzensgeld, 650 Euro für die gegnerischen Rechtsanwaltskosten plus die Verfahrenskosten zu bezahlen. Zwei weitere Geldstrafen verhängt das Amtsgericht Singen im September und Oktober 2021 gegen Beate und Torsten N. wegen Beleidigungen.

Doch auf behördliche Briefe und Zahlungsaufforderungen reagieren die mutmaßlichen „Reichsbürger“, wie eingangs geschildert, gar nicht oder mit Drohungen von Strafanzeigen bei „SHAEF“ und „SMAD“. Das Amtsgericht Singen vermerkt zu einem Antwortschreiben von Beate N., es bestünde vor allem „aus zusammenhanglos aneinander gereihten, für das hiesige Verfahren nicht relevanten Gesetzeszitaten“.

Eine Singener Gerichtsvollzieherin wird beauftragt, die ausstehenden rund 6000 Euro Schmerzensgeld, Schadensersatz und Anwaltskosten bei Beate N. einzutreiben. Zu einem Termin für eine Vermögensauskunft in Singen erscheint N. nicht. Schrämlis Konstanzer Anwalt Gerhard Zahner hat deswegen den Erlass eines Haftbefehls beantragt, der im Mai 2021 einem Richter des Singener Amtsgerichts vorgelegt wurde.

Ein halbes Jahr später, am 11. November 2021, bestätigt die Gerichtsvollzieherin in einem Schreiben, das dem SÜDKURIER vorliegt, dass sie nun mit der Verhaftung von Beate N. beauftragt sei. Dafür müsse Melanie Schrämli jedoch bis Monatsende einen Kostenvorschuss über 300 Euro für die Öffnung der Wohnungstüre überweisen. „Erst nach Eingang dieses Vorschusses wird der Auftrag zur Ausführung gelangen“, schreibt die Gerichtsvollzieherin. Doch passiert sein soll seither – trotz prompter Zahlung – nichts.

„Lebe in ständiger Angst“

„Ich bin einfach am Ende“, sagt Melanie Schrämli. „Obwohl ich alle Prozesse gewonnen habe und das Opfer bin, trage ich sämtliche Kosten. Hilfe oder Schutz bekomme ich nicht“, sagt die 51-Jährige. Der „Terror“ gehe weiter, sie sei ihrer Angreiferin täglich ausgeliefert. „Ich muss mir ins Gesicht lachen lassen und hören, es sei ja nichts passiert“, so die deutsch-schweizerische Doppelstaatsbürgerin.

Auch ihr Lebensgefährte Thomas Brinkmann spricht von einer enormen psychischen Belastung. „Wir sind seit Jahren Opfer von psychischer und physischer Gewalt, von Verfolgung und Überwachung. Von den Behörden, der Gemeinde und dem Vermieter der Nachbarn fühlen wir uns größtenteils im Stich gelassen“, sagt der 55-jährige Tengener.

Ändern würde sich jedoch nichts, obwohl sie bereits im Jahr 2018 einen von 14 betroffenen Tengenern unterzeichneten Brief an den Vermieter und die Gemeinde übergeben hätten, der dem SÜDKURIER vorliegt. Darin heißt es: „Es ist für einzelne Anwohner kaum mehr möglich, ein normales Leben zu führen, ohne die ständige Angst, von Familie N. drangsaliert zu werden.“

Marian Schreier, Bürgermeister der Stadt Tengen
Marian Schreier, Bürgermeister der Stadt Tengen | Bild: DPA/Tom Weller

Was sagen die Beschuldigten?

Und wie äußert sich das betroffene Paar Beate und Torsten N. zu den Vorwürfen? Der SÜDKURIER war in Tengen mehrmals vor Ort, hat an ihrem Wohnhaus geklingelt, an der Haustür geklopft und sich durch Rufe verständlich gemacht. Einige Hunde im Haus haben daraufhin gebellt, geöffnet hat jedoch nie jemand, obwohl laut Nachbarn zumindest Beate N. zu diesen Zeiten für gewöhnlich zu Hause sein soll.

Eine Telefonnummer ist öffentlich nicht zu finden. Auch zahlreiche Versuche, eine enge Verwandte und den früheren Singener Anwalt von Beate und Torsten N. telefonisch zu erreichen, schlugen fehl. Eine aktuelle anwaltliche Vertretung des Paares ist nicht bekannt. In den vergangenen Jahren hat es Schreiben – wenn überhaupt – selbst beantwortet.

Vermieter reagiert

Zwei Tage nach einer SÜDKURIER-Anfrage erklärt der Vermieter, eine Hegauer Immobilienfirma, die anonym bleiben will, dass sie den Mietvertrag mit dem Paar N. fristlos gekündigt habe – wann genau will sie nicht nennen. Außerdem weist die Firma zurück, trotz jahrelanger Beschwerden von betroffenen Anwohnern nicht gehandelt zu haben.

Laut dem Vermieter warte die Gerichtsvollzieherin aus Singen, die über den Fall nicht mit dem SÜDKURIER sprechen will, immer noch auf die Freigabe der Polizei, um den Haftbefehl und die Zwangsvollstreckung gegen Beate N. durchzusetzen. Bis dahin leiden die Nachbarn weiter.