Vorsichtig wickelt Emely Brockhaus die Bandagen aus Gips um das Handgelenk und die Finger der Frau. Eine pink schimmernde Creme darunter verhindert, dass später die Armhaare ungewollt epiliert werden.

Heute ist es nur ihre Kollegin, an der Emely Brockhaus ihre Arbeit demonstriert. Die Menschen, die sonst in den dritten Stock des Sanitätshauses in Engen kommen, brauchen wirklich ihre Hilfe.

Sie haben mit Schlaganfällen, Unfällen oder Multipler Sklerose zu kämpfen. Die frisch ausgebildete Orthopädietechnik-Mechanikerin erstellt aus Modellen individuelle Hilfsmittel wie Schienen und verbindet in ihrem Beruf damit medizinisches Fachwissen mit echtem Handwerk.

Die Gipsbandage ist der erste Schritt für eine Schiene.
Die Gipsbandage ist der erste Schritt für eine Schiene. | Bild: Tony Marquardt

Preisgekrönte Ausbildung

Emely Brockhaus hat vor wenigen Woche ihre Ausbildung in einem für viele unbekannten Beruf bestanden. Und das mit Bravour: Mit 100 von 100 Punkten in ihrer Gesellenprüfung war sie die beste Absolventin aller Orthopädietechnik-Mechaniker der Handwerkskammer Konstanz. Damit qualifizierte sich die 24-Jährige für den landesweiten Wettbewerb und belegte den dritten Platz. Außerdem gewann sie den Lehrlingspreis der Handwerkskammer.

Das Team arbeitet sehr eng zusammen.
Das Team arbeitet sehr eng zusammen. | Bild: Tony Marquardt

72 Absolventen gab es im Jahr 2022 im Baden-Württemberg. Der Bedarf in einer alternden Gesellschaft ist hoch, einen Job finden die meisten schnell. Apropos schnell: Emely Brockhaus‘ Weg in den Beruf könnte kürzer nicht sein. Nach einer sozialen Tätigkeit und einem Job in der Gastronomie absolvierte sie 2021 ein Praktikum beim Sanitätshaus Brillinger in Engen.

Nach nur drei Tagen wurde ihr eine Ausbildung angeboten, die sie am darauffolgenden Montag begonnen hat. Seit wenigen Wochen ist sie nun ausgelernt und fest im Team.

Emely Brockhaus Spezialgebiet sind Orthesen für die oberen Extremitäten, also Schultern, Arme und besonders die Hände. Diese können sich nach Unfällen oder Erkrankungen verkrampfen und sorgen dafür, dass Menschen beispielsweise nicht mehr greifen können.

In enger Abstimmung mit den Ärzten wird noch am Krankenbett ein erstes Modell der Hand erstellt. Die altertümlich anmutenden Gipsbandagen sind dabei immer noch geläufig. „Irgendwann wird es diese aber wahrscheinlich nicht mehr geben, sondern alles durch 3D-Scan ersetzt“, mutmaßt Emely Brockhaus.

Ein echtes Handwerk

Die Schienen gibt es in allen Formen und Farben.
Die Schienen gibt es in allen Formen und Farben. | Bild: Tony Marquardt

Aktuell sind die Gipsabdrücke aber noch zeitgemäß und werden im Sanitätshaus weiterbearbeitet. Hier beginnt für Emely Brockhaus der handwerkliche Teil ihrer Arbeit. Die Gipsbandagen werden abgezogen und sind ein sogenanntes Negativ. Flüssiger Gips wird hineingegossen, erhärtet und bildet so ein Positiv-Modell des Unterarms. Mit einer großen Feile feilt und schabt sie den Gips-Arm so zurecht, dass ein Abbild des echten Arms entsteht.

Das Gipsmodell ist die Basis für die nächsten beiden Schichten aus Silikon für die Elastizität und leichten Carbonfasern für die Stabilität. „Jede Schiene ist ein Einzelstück, das wir für unsere Patienten machen. Man kann sich sogar die Farbe aussuchen“, sagt Emely Brockhaus grinsend und zeigt auf die Schiene mit Graffiti-Muster.

Die Kante einer Schiene bekommt den letzten Schliff.
Die Kante einer Schiene bekommt den letzten Schliff. | Bild: Tony Marquardt

Für den Feinschliff, im wahrsten Sinne des Wortes, sorgt die 24-Jährige an den großen Schleifmaschinen. So eine Schiene kostet zwischen 2500 und 3000 Euro und hält etwa zwei Jahre. Das wird in den meisten Fällen aber von den Krankenkassen übernommen.

Die perfekte Mischung

Emely Brockhaus hat großen Spaß bei ihrer Arbeit.
Emely Brockhaus hat großen Spaß bei ihrer Arbeit. | Bild: Tony Marquardt

Emely Brockhaus‘ Augen glänzen, wenn sie von ihrer Arbeit spricht. Mit der Ausbildung habe sie den idealen Beruf gefunden. „Ich habe viel mit den Patienten im Außendienst zu tun, mache aber auch meine Arbeit hier an der Werkbank.“ Besonders gefällt der Tuttlingerin die Mischung aus Medizin und Handwerk: „Wenn man sich medizinisch null auskennt, dann kann man nicht richtig modellieren.“

Für ihren Kollegen Stefan Euper ist es essenziell, dass junge Menschen im Berufsfeld Orthopädietechnik arbeiten: „Der Beruf ist nicht unbedingt traditionell und bekannt. Deswegen sind wir froh, dass wir so eine junge, engagierte Mitarbeiterin wie sie hier haben. Sie hat direkt am Anfang schon ihr handwerkliches Geschick gezeigt.“

Emely Brockhaus‘ Kollegen Yvonne Dressel und Stefan Euper.
Emely Brockhaus‘ Kollegen Yvonne Dressel und Stefan Euper. | Bild: Tony Marquardt

Den Grund für ihre hohe Motivation kann Emely Brockhaus einfach formulieren: „Ich möchte Bewegung möglich machen, unterstützen und nicht einschränken.“ Und dafür ist die Gipsbandage der erste Schritt.