Einen Einsiedler kennen die meisten Menschen nur aus dem Märchen. Dort sind es immer wieder weise Männer, die verirrten Kindern den Weg aus dem finsteren Wald weisen. Dabei gibt es Einsiedler bis heute, auch wenn sie selten geworden sind.
Einer von ihnen ist der Benediktiner Bruder Jakobus, der auf dem Ramsberg (Gemeinde Heiligenberg) wohnt. Am Sonntag, 30. Juni, wird dieser fromme Mann 75 Jahre alt – ein Fest, dem er Jubilar ohne Aufregung und ohne Festrede entgegensieht.
Leben in einer überschaubaren Welt
Jakobus Kaffanke wohnt zwar im Bodenseekreis, vom Bodensee sieht er aber nicht viel. Der Ramsberg ist ein zugewachsener kleiner Berg, zu dem ein holpriger Weg führt. Alte Bäume schützen das Gemäuer auf dem Plateau. Das ehemalige Gutshaus diente einst als Burg eines Ministerialen. Daneben steht eine Kapelle, die dem Vieh- und Landheiligen Wendelin geweiht ist.
In dieser überschaubaren Welt zwischen Bäumen und Klause spielt sich das Leben von Bruder Jakobus ab. Wer ihn besucht, erlebt einen ausgeglichenen Menschen, der vor Ideen sprudelt. Er berichtet von den Büchern, die er bereits herausgegeben hat oder die er noch schreiben will. Er beschwört die Macht der Intuition und sagt: „Nur die Poesie kann uns retten.“
Den Strohhut hat ihm jemand geschenkt
Dem Besucher serviert er einfache Kekse und einen Becher Kaffee. Alles passt, für wenige Augenblicke scheint die Zeit stillzustehen. Der Ort hat seinen eigenen Zauber. Viel Mittelalter, etwas Burgenromantik, das Gehöft, die Kapelle – und dann dieser Mann.

Er trägt den schwarzen Habit der Benediktiner und im Sommer gerne den Strohhut, den ihm jemand geschenkt hat. Lächelnd weist er auf ein glitzerndes Medaillon auf seiner Brust. Es zeigt die Mutter Gottes. Das Medaillon mit den falschen Brillanten brachte er aus Jerusalem mit.
Wie lange kann er so weiterleben?
Bruder Jakobus ist stets für eine Überraschung gut. Seine Freunde wissen das. Er steht in einem Alter, in dem Bischöfe zurücktreten müssen. Auch er macht sich Gedanken darüber, wie lange er noch in der Einsamkeit des Berges leben kann, wie lange ihn das alte Gemäuer aushält.
Das nächste Haus ist einige hundert Meter entfernt, das Dorf Großschönach etwa zwei Kilometer. In seiner Klause ist er auf sich alleine gestellt. Und doch verkündet er im Gespräch: „Ich bleibe noch zehn Jahre, das habe ich vor einigen Tagen beschlossen.“
Gottvertrauen, wenig Sorgen
In zehn Jahren wird er 85 Jahre alt sein, was wiederum ein biblisches Alter ist. Diese optimistische Ankündigung ist typisch für diesen Benediktiner. Jakobus ist furchtlos. Er überlegt nicht: Was wäre, wenn? Solche Fragen verhindern Entscheidungen. Er sorgt nicht für alle möglichen Fälle vor.
Er begibt sich auf den heiligen Berg des Linzgau und verbringt seine Tage als Mönch. Alles andere wird sich fügen, weiß er. Bei ihm verbinden sich Gottvertrauen mit der stoischen Erfahrung, dass ein Mensch nicht jeden Schritt in seinem Leben selbst richten kann. Auch diese Frage gehört dazu: Soll er abends die Haustür abschließen? Oder doch offenlassen? „Das ist meine Angstprobe“, gesteht er. Meist dreht er den Schlüssel nicht herum. „Ich denke gar nicht an eine Gefahr.“ Wer sollte ihm etwas tun, und weshalb?
Ein alter Opel hilft ihm
Sein Leben in der Klause St. Benedikt gestaltet sich einfach. Jemand hat ihm einen alten Opel Meriva geschenkt. Das quadratische Fahrzeug ist etwas zerbeult, doch leistet es gute Dienste und erklimmt den Berg, ohne auf der Ruckelpiste aufzusetzen.
Jakobus wäscht. Vor dem Haus steht an einem schönen Sommertag die Wäsche zum Trocknen. Dieses Mal sind Handtücher und Socken dran. Er kocht selbst, als Zutaten zählt er „Reis, Nudeln und Kartoffeln“ auf. Fleisch bereitet er nur selten zu, es sei denn, dass ihm ein Fan etwas vorbeibringt, um den bescheidenen Speiseplan anzureichern. Und wenn Fleisch, dann bevorzugt Huhn.
Kein Schwein oder Rind, nur Huhn
Sein Ordensgründer Benedikt hat in seiner Regel nur den Verzehr von zweifüßigen Tieren gestattet. Schwein oder Rind kommen auf dem Ramsberg deshalb nicht auf den Tisch. Als Mönch verfügt er nicht über ein Gehalt. Sein Stammkloster in Beuron gibt ihm monatlich 400 Euro. Davon muss und kann er leben.
Manche Besucher bringen etwas mit. Sie geben diesem Mystiker von ihrem Überfluss ab. Ihm selbst mangelt es an nichts. Das Klagen, das aus den Tiefen des Wohlstands kommt, überlässt er dann anderen.
Eintritt ins Kloster vor mehr als 40 Jahren
Vor mehr als 40 Jahren trat Erhard Kaffanke, wie der damals noch hieß, ins Kloster Beuron ein. Er nahm den Ordensnamen Jakobus an und nannte sich fortan Bruder Jakobus.
Benedikt hat in seiner lateinisch verfassten Hausordnung („Regula“) festgelegt, wie er sich das Leben seiner Jünger vorstellt. Sein Nachfolger auf dem grünen Berg im Linzgau hält sich ziemlich genau daran. Er steht früh auf und absolviert die verschiedenen Stundengebete, die das mönchische Leben kennzeichnen.
Als er 1983 in die berühmte Erzabtei Beuron eintrat, fand er eine Gemeinschaft von etwa 100 Mitbrüdern vor. Er legte die Ewige Profess ab und band sich damit an Kloster und Orden. „Ich wollte Mönch werden“, sagt er über seinen Entschluss. Eine Nahtoderfahrung hatte ihm diese Entscheidung leicht gemacht. Damals war er schon 34 Jahre alt, ein Spätberufener also.
Mönch ohne Priesterweihe
Die Priesterweihe strebte er nie an, er wollte als Mönch lieber einfacher Bruder bleiben. Dabei hat er Theologie studiert und seine Studien mit einem Diplom abgeschlossen. Doch sieht er die Weihe zum Priester nicht als elementar an, wenn einer Mönch werden will.
Im Kloster Beuron verstanden das nicht alle seiner Mitbrüder. So war der nächste Schritt klar: Er wollte als Eremit leben, als jemand ohne Gemeinschaft. Nach intensiver Suche, die ihn in entlegene Gegenden mit verlassenen Häusern führte, wurde er schließlich im Linzgau fündig.
Der Ramsberg war wohnbereit. Zuletzt hatten dort Aussteiger in fröhlicher Schlichtheit gelebt und bunte Flaggen aufgehängt. Die alte Unterkunft konnte er 1993 schon beziehen. Für die Renovation der Wendelin-Kapelle wurde ein Förderverein gegründet, der das gotische Gotteshaus mit seinen alten Malereien mustergültig in Stand setzte. So wurde fast nebenbei auch ein Kulturdenkmal renoviert, das sonst verfallen wäre.
Erstaunlich fleißiger Autor
Der 75-Jährige lebt beide Teile der Ordensregel. „Bete und arbeite“ (Ora et labora) bedeutet zum einen Rückzug und Gottesdienst – zum anderen Teil ein aktives Leben. Tatsächlich ist Jakobus sehr aktiv. Er leitet eine Gruppe von Pilgern, begleitet Wallfahrten, hält Fastenkurse. Im Mutterhaus in Beuron leitet er regelmäßig Tagungen zu wirtschaftsethischen Themen.
Und er ist erstaunlich fleißig auch als Autor. Wer sich einen Eremiten als heiligen Müßiggänger vorstellt, der die Katzen streichelt und in die Sonne blinzelt, liegt bei diesem Bruder falsch. Er hat inzwischen ein respektables Werk an Aufsätzen und Büchern zusammengeschrieben. Die Räume des Hauses sind mit Prospekten und Büchern belegt. Bis in die Küche liegt Gedrucktes, das er seinen Besuchern gerne mal in die Hand drückt.

Ausführlich beschäftigte er sich mit dem Dominikaner Heinrich Seuse (oder Suso), dem Mystiker vom Bodensee. Auch den Kreis um den Dichter Stefan George nahm er unter die Lupe. Selbst sein Wohnsitz auf dem Ramsberg ist vor ihm nicht sicher: Er und zwei Mitautoren widmeten dem ehemaligen Adelssitz ein Buch, das auf die lange Geschichte des Anwesens aufmerksam macht. Wo er heute Besucher empfängt und sogar ein Gäste-WC hat einbauen lassen, saß im hohen Mittelalter der Adel aus dem Linzgau.
Der spirituelle Libero ist gefragt
Der Mann mit den buschigen Augenbrauen und dem aufmerksamen Blick ist bekannt zwischen Pfullendorf und Bodensee. Nicht wenige Menschen kontaktieren ihn regelmäßig am Telefon und suchen seinen Rat. Für manchen ist er auch Seelsorger – außerhalb der Struktur einer Pfarrei.
Das überrascht ihn nicht. Es erinnert an einen der ersten Eremiten der Kirchengeschichte, den Heiligen Antonius (bekannt auch unter dem volkstümlichen Titel „Sau-Done“). „Überall, wo Antonius war, kamen auch die Leute“, sagt Jakobus.
Deshalb zog sich Antonius noch weiter in die Wüste zurück. Auch dorthin folgten ihm Menschen, die seine Hilfe brauchten oder sich ihm anschließen wollten. Erneut brach er seine bescheidenen Zelte ab und entfernte sich. „Mönche gehen von der Gemeinschaft weg, das ist ihre Eigenart,“ bilanziert der Bruder.
Immer wieder schleppen sich Besucher den steilen Berg hinauf zur Kapelle und klopfen an. Der eine fragt nach dem Weg, ein Zweiter nach dem Pilgerstempel, ein Dritter will nur ein „kurzes Gespräch“. Der spirituelle Libero Jakobus ist gefragt. Wenn die Besucher Glück haben, ist der Bruder da. Wenn nicht, dann ist er auf Reisen.