Michael Roth ist kein Lautsprecher. „Ich trage keine Plakate oder Megafone.“ Der 50-jährige Radolfzeller liest im Dezember 2024 im SÜDKURIER, dass das Volksbegehren für einen kleineren Landtag dringend Unterstützung benötigt.

Er zögert nicht: „Ich wollte handeln, bevor es zu spät ist. Sonst gibt es auf einmal einen riesigen Landtag, ohne dass es jemand gemerkt hat.“ Er lädt sich das vorgefertigte Formular aus dem Internet herunter und druckt es 20 Mal aus.

Mit den Exemplaren unter dem Arm klingelt er sich durch seine Nachbarschaft in Radolfzell. Die Menschen öffnen ihm die Tür, man kennt sich schließlich.

Roth appellierte mit dem Begehren an seine Mitbürger.
Roth appellierte mit dem Begehren an seine Mitbürger. | Bild: Tony Marquardt

Komplizierter Vorgang

„Die meisten haben noch gar nichts davon gehört“, erzählt Roth, er sieht sich in seinem Vorhaben bestärkt. „Fast alle haben mitgemacht und mir ihre Unterschrift zugesichert.“

Die Kurzentschlossenen ließ er noch auf der Türschwelle unterzeichnen. Denn für eine gültige Stimme muss das Formular händisch unterschrieben und im Rathaus eingeworfen werden. Ein digitaler Weg, wie bei anderen Petitionen, ist nicht zulässig.

Für Michael Roth ein unnötig komplizierter Vorgang. „Bürgerinnen und Bürger ohne Internet oder Drucker können schon mal schwer mitmachen. Meistens wissen sie nicht einmal davon. Und dann muss man es noch im Rathaus abgeben.“

Diese Hürde wollte Roth überwinden und hat der ganzen Straße angeboten, die Formulare bei sich zu sammeln und abzugeben. Über 200 Unterstützer fand er auf diese Art und Weise.

Die 200 unterschriebenen Formulare gab Roth im Radolfzeller Rathaus ab.
Die 200 unterschriebenen Formulare gab Roth im Radolfzeller Rathaus ab. | Bild: Tony Marquardt

Das Volksbegehren

Im Frühsommer 2022 hatte Dieter Distler die Kampagne „Landtag verkleinern“ ins Leben gerufen. Auch der heute 82-Jährige wurde in der Zeitung auf die drohende Kostenexplosion durch das neue Wahlrecht aufmerksam.

Das sorgt dafür, dass künftig im baden-württembergischen Landtag Überhang- und Ausgleichsmandate entstehen können. Somit gäbe es mehr Abgeordnete.

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Ab 2026 könnte die Zahl der Mandatsträger laut Politikwissenschaftler Joachim Behnke von derzeit 154 auf bis zu 218 wachsen. Die Kosten für die Abgeordneten, deren Mitarbeiter und ihre Büros hat der Landesrechnungshof auf bis zu 200 Millionen Euro mehr pro Legislaturperiode kalkuliert.

Eine zentrale Forderung der Kampagne Distlers ist deshalb die Verringerung der Wahlkreise von aktuell 70 auf 38 – so wie bereits bei der Bundestagswahl gewählt wird.

Dieter Distler, 81 vor der Garage am Haus mit dem Plakat „Landtag verkleinern“.
Dieter Distler, 81 vor der Garage am Haus mit dem Plakat „Landtag verkleinern“. | Bild: Bäuerlein, Ulrike

Nicht genug Unterstützer

Bis Dezember 2024 haben 92.408 Menschen für die Initiative unterschrieben. Eine beachtliche Zahl, aber bei Weitem nicht ausreichend. Zehn Prozent der Wahlberechtigten müssten unterschreiben, dass das Begehren erfolgreich ist. Nötig wären dafür 770.000 Unterschriften.

Dieter Distler hat erkannt, dass die offiziell benötigte Zahl nicht zu schaffen ist. „Trotzdem sind wir zuversichtlich, dass wir eine so hohe Anzahl schaffen, dass die Parteien von sich aus eine wirksame Deckelung beschließen“, sagt der Mann aus Bietigheim-Bissingen dem SÜDKURIER.

Der Landtag hält dagegen

Der Landtag in Baden-Württemberg könnte noch größer werden.
Der Landtag in Baden-Württemberg könnte noch größer werden. | Bild: Bernd Weißbrod

Aktuell ist die Mehrheit der Abgeordneten aber noch gegen eine Verkleinerung des Landtags. Die CDU befürchtet, dass eine Reduzierung der Landtagswahlkreise und damit größere Wahlkreise dazu führen könnten, dass die einzelnen Abgeordneten diese nicht mehr angemessen betreuen können. Die Grünen argumentieren, dass die Annahme einer deutlich höheren Zahl an Abgeordneten ab 2026 derzeit rein spekulativ sei.

Ein Argument, das bei Michael Roth für Unverständnis sorgt: „Man kann doch nicht erst bremsen, wenn das Auto schon gegen die Wand gefahren ist. Wenn es so weitergeht, beraten in einem Jahr zu viele Abgeordnete darüber, dass es zu viele Abgeordnete gibt. Das ist für mich Satire.“

Diese Empörung hat ihn dazu gebracht, Distler bei seiner Initiative zu unterstützen. Roth ist weder Mitglied einer Partei noch im Gemeinderat. Außerdem hat er noch nie bei einem Volksbegehren mitgemacht. „Ich wollte einfach bei dieser Sache mehr machen, als nur unterschreiben“, sagt Roth.

Michael Roth (50) arbeitet als Projektmanager im Medizintechnikbereich und wohnt seit einigen Jahren in Radolfzell.
Michael Roth (50) arbeitet als Projektmanager im Medizintechnikbereich und wohnt seit einigen Jahren in Radolfzell. | Bild: Tony Marquardt

Dieter Distler ist trotz einer gewissen Ernüchterung überzeugt, dass die ganzen Mühen nicht umsonst waren. Die FDP, die mit einem ähnlichen Volksbegehren am Veto des Innenministeriums gescheitert war, konnte Distler für die Initiative gewinnen, er möchte aber mehr. „Zarte Signale aus anderen Parteien lassen darauf hoffen, dass das Votum von 100.000 Wählern nicht ignoriert werden kann“, sagt er.

Auch Michael Roth hofft, dass der Landtag den Widerstand erkennt. Sorgen macht er sich trotzdem. „Es sind jetzt schon zu viele Abgeordnete. Falls es wirklich zu dem XXL-Landtag kommt, dann entsteht sicherlich ein Stück Politikverdrossenheit.“

Ein Megafon hat er nicht dabei, aber Roths Motto wäre ein guter Ausruf: „Wir müssen widersprechen“. Bis zum 11. Februar bleibt dafür noch Zeit – dann endet die Frist für das Volksbegehren offiziell.