1 Der Nutzen bei der Pandemie-Bekämpfung ist unklar

Und das ist noch nett ausgedrückt. Tatsächlich gibt es keine Belege dafür, dass die drastische Maßnahme bei ohnehin schon greifenden Lockdown-Maßnahmen wie Geschäfts- und Schulschließungen einen besonders starken Effekt entwickelt. Eine Studie der Universität Oxford stellte viel stärkere Auswirkungen etwa durch Kontaktbeschränkungen fest.

Eine ähnliche Studie führte die Universität Wien durch, hier mit Fokus auf Ausgangssperren in der Nacht, auch sie stellte bei ohnehin schon großen anderen Restriktionen keinen starken Effekt fest. Und selbst das Land Baden-Württemberg räumte gegenüber dem SÜDKURIER ein, dass es für den Nutzen dieser Maßnahme keinen wissenschaftlichen Beleg hat.

Polizisten laufen in der Nacht in Dresden Streife und kontrollieren die Einhaltung der Ausgangssperre.
Polizisten laufen in der Nacht in Dresden Streife und kontrollieren die Einhaltung der Ausgangssperre. | Bild: Robert Michael/dpa

2 Die juristische Berechtigung ist höchst fragwürdig

Bei Ausgangssperren, besonders der strengen nächtlichen Form in Baden-Württemberg, handelt es sich um einen massiven Grundrechtseingriff, etwa in das Grundecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Grundecht auf Freizügigkeit.

Zwar kann letzteres ausdrücklich „zur Bekämpfung der Seuchengefahr“ eingeschränkt werden – nur sollten die gewählten Maßnahmen das dann auch unzweifelhaft leisten, was nicht der Fall ist. Nicht ohne Grund verzichten viele Bundesländer auf eine flächendeckende Ausgangssperre. Und auch in Berlin, wo sie gilt, meldete der zuständige Justizsenator zuletzt große Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit an.

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3 Die nächtliche Sperre kann sogar kontraproduktiv sein

Ja, es mag sein, dass die nächtliche Ausgangssperre den einen oder anderen spontanen Freundesbesuch verhindert hat. Gleichzeitig hat sie, wenn man sich einmal umhört, aber dafür gesorgt, dass verstärkt auswärts bei Freunden übernachtet wird – denn das Treffen an sich ist ja erlaubt. Und statt um 22 Uhr heimzufahren, bleibt man dann halt über Nacht. Das Infektionsrisiko steigt dadurch natürlich nur noch weiter.

4 Tag- und Nacht-Maßnahmen passen nicht zusammen

Hier dürften sich Verschärfungs-Freunde und Lockerungs-Liebhaber sogar einig sein: Was in Baden-Württemberg tagsüber gilt und was nachts, passt überhaupt nicht zusammen.

Zwischen 5 und 20 Uhr kann ich stundenlang Freunde treffen. Zwischen 20 und 5 Uhr kein Sekunde.

Zwischen 5 und 20 Uhr kann ich sonstwohin fahren um Spaziergänge zu machen. Wer dagegen erst nach 20 Uhr von der Arbeit zurückkommt, darf keine drei Schritte mehr um den Block gehen. Logisch begründbar ist das nicht, das Virus geht nicht vor der Tagesschau ins Bett.

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5 Die wahren Probleme liegen anderswo

Die Ausgangssperren sind Teil der Geschichte vom bösen Bürger, die die Politik verstärkt erzählt. Weil wir uns alle nicht richtig verhalten, müsse man uns die „Daumenschrauben anziehen“, wie etwa Markus Söder gerne sagt. Das stimmte gerade anfangs noch in Teilen, so ehrlich muss man sein, doch solche markigen Worte und Knallhart-Maßnahmen sollen vor allem ablenken: Vom Versagen des Staates beim Schutz der Altenheime, von der Konzeptlosigkeit bei Schulen und Kindergärten und vom kopflosen Start in die Impfkampagne.

Wer selbst viele Fehler macht und gleichzeitig mit größtem Selbstbewusstsein dem Volk „Daumenschrauben“ anlegt, verliert früher oder später den Rückhalt. Eine Pandemie bewältigt man mit den Bürgern, nicht gegen sie.