Es war Mitte Oktober, als eine Patientin den Mediziner Klaus Dörflinger in seiner Praxis in Hilzingen aufsucht und ihn wie selbstverständlich darum bittet, ihr einen Covid-19-Impfnachweis auszustellen – allerdings ohne die erforderliche Immunisierung zu spritzen. „Sie erklärte, sie habe das bei einem anderen Patienten von mir gesehen und wolle das auch. Sie würde mir auch Geld dafür geben. Da sind wir erstmals hellhörig geworden“, schildert Dörflinger dem SÜDKURIER.

Nachdem der Arzt seiner Patientin ins Gewissen geredet hatte, rief wenig später eine Apotheke aus Engen bei dem Hilzinger Internisten an. „Wir sollten uns einen Impfnachweis angucken, der kommt ihnen komisch vor“, erzählt Petra Dörflinger, Praxismanagerin ihres Ehemanns.

Tatsächlich waren nicht nur der Praxisstempel und die Unterschrift des Hilzinger Arztes „dilettantisch“ – wie er sagt – gefälscht, sondern auch die Chargennummer und das Datum der vermeintlichen Impfung. Dabei waren Tage angegeben, an denen in seiner Praxis gar nicht geimpft wurde oder Dörflinger gleich ganz geschlossen hatte.

„Ich bin erschüttert“

Weitere Apotheken aus Singen, Bad Dürrheim, Volkertshausen und weiteren Orten im Hegau meldeten sich daraufhin in der Praxis von Klaus Dörflinger. Überall war die Vorgehensweise ähnlich: Impfverweigerer brachten ein Impfbüchlein mit gefälschtem Arztstempel und falscher Unterschrift von Dörflinger in die Apotheken und zeigten ihren Personalausweis vor, um den vermeintlichen Covid-19-Impfnachweis digitalisieren zu lassen und somit die Fälschung zu verschleiern.

Der digitale Impfnachweis ist vor dem Apotheken-Logo auf einem Smartphone zu sehen. Landesweit gibt es derzeit dutzende Nachweise von ...
Der digitale Impfnachweis ist vor dem Apotheken-Logo auf einem Smartphone zu sehen. Landesweit gibt es derzeit dutzende Nachweise von Fälschungen. | Bild: dpa/Oliver Berg

Rund zehn gefälschte Impfnachweise liegen dem Mediziner inzwischen vor, der umgehend die Polizei informiert hat. „Ich bin erschüttert, dass mein Name für gefälschte Impfnachweise missbraucht wird, gerade weil ich ein absoluter Impfbefürworter bin und in meiner Praxis schon 2000 Menschen gegen Covid-19 geimpft habe“, sagt Dörflinger. Er geht von mehreren Dutzenden gefälschten Impfnachweisen in seinem Namen aus.

Mehr als 100 gefälschte Impfnachweise landesweit

„Für uns ist das Rufmord“, sagt seine Frau und Praxismanagerin Petra Dörflinger sichtlich verärgert. „Wir werden jeden einzelnen zur Anzeige bringen und zur Rechenschaft ziehen, weil das eine bewusste Falschdokumentation ist, um Urlaub zu machen oder in Restaurants zu gehen“, kündigte sie an.

Dieter Popp, Sprecher des Polizeipräsidiums Konstanz
Dieter Popp, Sprecher des Polizeipräsidiums Konstanz | Bild: SK

Polizeisprecher Dieter Popp bestätigt, dass beim Polizeiposten in Gottmadingen in dieser Causa eine Anzeige wegen mehrerer gefälschter Impfnachweise eingegangen ist und die Polizei bereits ermittle. Um wie viele Fälle es sich insgesamt handelt, konnte er noch nicht beziffern. Laut Landeskriminalamt (LKA) sei es in Baden-Württemberg zuletzt zu mehr als 100 Täuschungsversuchen mit falschen Corona-Impfnachweisen gekommen, die manches Mal auch erfolgreich sein können.

Hohe Dunkelziffer

SÜDKURIER-Recherchen haben ergeben, dass Hegauer Apotheker den gefälschten Impfnachweis in mindestens drei Fällen zunächst nicht erkannt und deshalb digitalisiert haben. In zwei Fällen konnten sie jedoch die Daten der Fälscher noch der Polizei übermitteln, wie ein Hegauer Apotheker dem SÜDKURIER erzählt.

Vor wenigen Tagen hat die Apothekengruppe Hegau ihre Mitglieder per Rundschreiben informiert und vor den gefälschten Impfnachweisen in der Region gewarnt. „Auffallend sind besondere Merkmale an dem gefälschten Arztstempel. Wir Apotheker lernen auch, erkennen aber die Fälschungen jetzt direkt und behalten die Impfpässe ein“, sagt Stéphanie Haas-Komp, die in Volkertshausen eine Apotheke betreibt.

In der besagten Impfgegner-Gruppe habe sich wohl sehr schnell herumgesprochen, dass der Trick mit den gefälschten Impfnachweisen nicht mehr funktioniere. „Das liegt sicher auch an der guten Vernetzung der Apotheker im Hegau, in Singen und in Konstanz“, sagt Haas-Komp, die die Dunkelziffer an gefälschten Impfnachweisen als hoch einschätzt.

Stéphanie Haas-Komp, Apothekerin in Volkertshausen
Stéphanie Haas-Komp, Apothekerin in Volkertshausen | Bild: Lukas Leertaste Fotograf - Lukas Maier

Mehrjährige Haftstrafen drohen

Aber was erwartet nun jene, die gefälschte Impfnachweise herstellen und weitergeben an Personen, die Fälschungen dann für ihre Zwecke nutzen? Erst am 1. Juni hat dies der Gesetzgeber mit einer Novelle zum Infektionsschutzgesetz geregelt. Wer unrichtige Impf- oder Testnachweise ausstellt, kann mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden. Wer einen gefälschten Impf- oder Testnachweis nutzt mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe.

Strittig ist noch die rechtliche Auslegung, ob gefälschte Impfnachweise auch als Urkundenfälschung vor Gericht gewertet werden können, was mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden könnte. Außerdem drohen Fälschern auch Strafen für Körperverletzungsdelikte, wenn sie sich unberechtigterweise zu Veranstaltungen oder Krankenhäusern Zutritt verschaffen und dort andere mit dem Coronavirus anstecken.