Plötzlich schießt Gesine Hitschlers Blutdruck in die Höhe. Immer wieder passiert ihr das ausgerechnet am Wochenende. Oder nachts. Doch dieses Mal ist etwas anders als sonst. Die Seniorin erhält sofort Hilfe. Und zwar von einer Ärztin aus dem schweizerischen Wil, per Telefon.

Was ist passiert? Dazu muss man wissen, das jeder dritte Erwachsene in Deutschland an Bluthochdruck leidet. Das besagt eine jüngste Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI). Um die Versorgung von Betroffenen – besonders in ländlichen Gebieten, die vom Ärztemangel betroffen sind – zu verbessern, haben Experten des Gesundheitsnetzwerks Biolago ein Pilotprojekt für den Landkreis Konstanz entwickelt. Die Grundidee: Bessere Patientenbetreuung mittels App und Telefon. Kann das funktionieren?

Biolago-Projektleiter Carlos Lange-Prollius mit Gesine Hitschler.
Biolago-Projektleiter Carlos Lange-Prollius mit Gesine Hitschler. | Bild: Maike Stork

Zweimal täglich zuhause den eigenen Blutdruck messen. Das war die Aufgabe der Projektteilnehmenden von Januar bis Juli 2023. Mittels einer App wurden die Werte automatisch an den Hausarzt oder an die Firma Alcare in Wil übertragen – einem Dienstleister für digitale Gesundheitsversorgung.

Die ärztliche Direktorin, Christiane Brockes, übernahm dabei die Überwachung der Abendstunden, Feiertage und Wochenenden. Diese Art der digitalen Patientenbetreuung aus der Ferne nennt sich Telemonitoring. Ziel der Ärzte ist dabei, Akutereignisse wie einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt besser vorhersehen zu können. Der Kreistag des Landkreises Konstanz hat das Projekt mit 175.000 Euro unterstützt.

Gesine Hitschler aus Steißlingen ist eine der Teilnehmenden. Die 80-Jährige habe immer wiederkehrende Episoden mit unerklärlich hohem Blutdruck, wie sie in einem Gespräch mit dem SÜDKURIER berichtet. Deshalb habe ihr Hausarzt, Christian Leitz, ihr das Projekt nahegelegt. „Und ich habe gleich Ja gesagt“, erinnert sich Hitschler. Allein in seiner Praxis konnte Christian Leitz noch weitere 19 Bluthochdruck-Patienten für das Projekt gewinnen – im gesamten Landkreis Konstanz waren es 80 Teilnehmende aus verschiedenen Praxen.

Umgang mit Technik als Herausforderung

Zu Beginn des Projektes wurden Gesine Hitschler und die anderen Patienten mit Blutdruckgeräten ausgestattet, welche sich über Bluetooth mit einer App auf dem Smartphone verbinden lassen. „Die App ist ein zertifiziertes Medizinprodukt“, sagt Carlos Lange-Prollius, Projektleiter von Biolago. Sie sei daher datenschutzkonform und für Arztpraxen leicht handzuhaben.

Über die App Vidagesund wurden die gemessenen Blutdruckwerte automatisch an den Hausarzt übermittelt.
Über die App Vidagesund wurden die gemessenen Blutdruckwerte automatisch an den Hausarzt übermittelt. | Bild: Maike Stork

Für Seniorin Gesine Hitschler war der Umgang mit den Geräten kein Problem, wie sie sagt. „Das funktionierte einwandfrei.“ Doch mit ihrer technischen Affinität sei sie „nicht die klassische Vertreterin ihrer Generation“, so die 80-Jährige. Andere Projektteilnehmer hätten sich damit schwerer getan. Das bestätigt auch Carlos Lange-Prollius: „Für manche war die Technik eine riesige Hürde.“ Bei Fragen konnten sich diese jedoch stets an den technischen Leiter des Projektes wenden, so Lange-Prollius. „Das war enorm hilfreich.“

Alle Teilnehmenden wurden mit einem Blutdruckmessgerät ausgestattet, das sie nach Ende des Projekts weiterhin nutzen dürfen.
Alle Teilnehmenden wurden mit einem Blutdruckmessgerät ausgestattet, das sie nach Ende des Projekts weiterhin nutzen dürfen. | Bild: Maike Stork

Rund um die Uhr Hilfe in Notsituationen

Durch die engmaschige Überwachung der Blutdruckwerte konnten die Ärzte Akutereignisse besser vorhersehen. Wie hilfreich das im Notfall sein kann, zeigt das eingangs geschilderte Beispiel von Gesine Hitschler.

Teleärztin Christiane Brockes habe diesen Notfall auf ihrem Bildschirm erkannt und die Seniorin sofort angerufen. „Frau Brockes hat mich telefonisch bis zur Pforte des Krankenhauses begleitet“, erinnert sich Hitschler. Rückblickend ist der 80-Jährigen bewusst: „Das hätte auch böse ausgehen können – Alcare hat mir da sehr geholfen.“

Daten zeigen deutlich weniger Blutdruck-Entgleisungen

Dass die Ärzte den Patienten nicht nur in Notfällen effektiver helfen konnten, zeigen die Daten von Alcare im Nachgang des Projekts. So habe es im Januar noch durchschnittlich 7,4 Entgleisungen des Blutdrucks pro Patient gegeben – im letzten waren es nur noch 2,3. Das liege zum einen daran, dass die Medikamente treuer eingenommen wurden, sagt Carlos Lange-Prollius. Zum anderen hätten die behandelnden Ärzte die Medikamente durch die dauerhafte Kontrolle besser anpassen können.

Zudem habe das Projekt die Patienten auch für die eigene Gesundheit sensibilisiert. So gibt Gesine Hitschler beispielsweise zu: „Ohne das Projekt hätte ich meinen Blutdruck nicht so regelmäßig gemessen.“ Gleichzeitig konnten die Hausärzte entlastet werden: „Wir (Anm. der Red.: die Patienten) waren weniger in der Praxis“, so die 80-Jährige. Die Gewissheit, dass ihre Werte engmaschig überwacht werden, habe ihr ein sicheres Gefühl gegeben.

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„Am liebsten würde ich das weitermachen – jetzt wo ich weiß, wie es geht und wie einfach es ist“, resümiert Gesine Hitschler. Die Förderung des Kreistages ist inzwischen allerdings ausgelaufen. Die Frage, wie es nun weitergeht, könne er momentan nicht beantworten, gesteht Carlos Lange-Prollius.

Ob das Telemonitoring in die Regelversorgung der Krankenkassen aufgenommen werde, sei immer eine Frage der Prioritäten. Trotzdem blickt der Projektleiter positiv auf die Zukunft: „Ich glaube durchaus, dass es realistisch ist. Wir wissen ja jetzt, dass es funktioniert.“