Im Hotzenwald war er nicht mehr Mahdi Bin Nasr. Sondern Youssef Farhane. Er gab sich diesen Namen, weil sich Nasr in Deutschland ein neues Leben aufbauen wollte. Den Behörden sagt Nasr, er stamme aus Algerien, um nicht abgeschoben zu werden. So erzählt es seine Schwester, die in Tunesien lebt und mit der der SÜDKURIER in Kontakt steht – und die um die Nennung seines wahren Namens bittet.

Knapp zehn Jahre ist seine Einreise her, die Angst vor der Ausweisung sollte bleiben. Anfang April entdeckten Taucher wohl zufällig Teile seiner Leiche im Rhein bei Breisach. Seither hat seine Familie Gewissheit, aber noch mehr Fragen als Antworten. Denn Nasr fiel einem Verbrechen zum Opfer. Was ist mit ihm passiert?

Abgeschiedenheit in Rickenbach

Mahdi Bin Nasr war ein drahtiger Mann, etwa 1,65 Meter groß. Er wurde 38 Jahre alt. Auffällig waren neben seinem Schnauz- und Kinnbart die langen schwarzen Haare, die ihm bis zur Brust hingen. Nasr lebte zuletzt im Ortsteil Strick der Gemeinde Rickenbach, einem Luftkurort im Hotzenwald mit knapp 4000 Einwohnern.

Nahe dem Haus grasen Rinder im Grün, Menschen suchen hier Erholung in der Natur. Auch bei Regen blickt man über grüne Felder ins Tal. Es ist ruhig, Vögel zwitschern in den Bäumen. Wer hier hin will, muss 800 Höhenmeter überwinden.

Dieses Bild veröffentlichte die Polizei von dem Mann aus Rickenbach.
Dieses Bild veröffentlichte die Polizei von dem Mann aus Rickenbach. | Bild: Polizeipräsidium Freiburg

Seine Schwester habe nur wenig Kontakt zu ihm gehabt, schreibt sie dem SÜDKURIER. In seiner Gegend sei kaum Internet verfügbar gewesen. „Das letzte Mal, dass ich meinen Bruder anrief, war am 18. Dezember 2023“, sagt die Schwester. Fünf Tage später starb Mahdi Bin Nasr wohl. Das habe ihr die Polizei gesagt. Aber wo er verstarb, weiß sie bis heute nicht.

Die Behörden halten sich im Fall um Mahdi Bin Nasr sehr zurück. Mehrere Nachfragen blieben mit Verweis auf laufende Ermittlungen unbeantwortet. Auch die Gemeinde rätselt seither. „Wir wissen nichts“, heißt es aus dem Rathaus.

Am 5. Januar kam es zu einer größeren Suchaktion in Rickenbach, da war der letzte Kontakt zu Nasr schon einige Tage her. Polizei, Feuerwehr, Rotes Kreuz mit Suchhunden und das Technische Hilfswerk waren im Einsatz. Drohnen und Hubschrauber kreisten in der Luft.

Freundlich, aber unbekannt

Nasr sah man oft mit einem E-Scooter, erzählen Anwohner in Rickenbach. Viel sagen können sie nicht über ihn, er hatte eigentlich immer Kopfhörer im Ohr, sei aber freundlich gewesen. Er habe sich meist in Bad Säckingen am Bahnhof aufgehalten. Gegrüßt habe er, aber gekannt hat ihn in Rickenbach kaum jemand, mit dem der SÜDKURIER gesprochen hat.

Nur an die Suchaktion im Januar erinnern sich alle – und an den April, als die Polizei mit vielen Einsatzkräften und Suchhunden wieder nach Rickenbach kam: Jetzt ging es um ein Tötungsdelikt. Die Kripo ermittelte, forschte im Ort nach, stellte viele Fragen. Einige Anwohner sahen sich unter Generalverdacht gestellt. Das wirkt auch heute nach.

Auf der Rückseite des Hauses weisen nur noch Reste auf die Absperrung der Polizei hin.
Auf der Rückseite des Hauses weisen nur noch Reste auf die Absperrung der Polizei hin. | Bild: Durain

Ende Mai zeugen nur noch Reste eines Absperrbandes an der Rückseite und ein blaues Siegel an der Tür davon, dass die Polizei hier ermittelte. Momentan sind alle Fensterläden heruntergelassen, an den Briefkästen sind die Namen der Bewohner verblasst. Die Tür öffnet niemand.

Nasr lebte hier zuletzt allein, wie Bürgermeister Dietmar Zäpernick bestätigt. Das Haus wurde 2019 von der Gemeinde als Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung gestellt und soll es auch bleiben. Inzwischen sei das Haus von der Polizei wieder freigegeben worden, die Gemeinde will es nun wieder herrichten.

Die Zugangstür ist noch immer polizeilich versiegelt.
Die Zugangstür ist noch immer polizeilich versiegelt. | Bild: Durain

Soko Rhenus wurde gegründet

Fest steht, dass die sterblichen Überreste von Mahdi Bin Nasr am Samstagnachmittag des 6. April bei einem Tauchgang entdeckt wurden – allerdings in Breisach im Rhein (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald). Zwischen den Orten liegen Luftlinie knapp 70 Kilometer und weit mehr als eine Stunde Fahrtzeit.

Nach der Obduktion und eines molekulargenetischen Abgleichs konnte der Tote identifiziert werden. Wie die Leichenteile dorthin kamen, ist unklar – ebenso, ob Nasrs DNA bereits im System hinterlegt war. Dass der Tote Opfer eines Verbrechens wurde, bestätigte aber die Rechtsmedizin. Die Polizei richtete in der Folge die Soko Rhenus ein. Ein Hinweisportal wurde eingerichtet, die Polizei veröffentlichte Bilder von Nasr.

Im Rhein in Breisach entdeckten Taucher sterbliche Überrestes eines vermissten 38 Jahre alten Mannes. Er wurde Opfer eines Tötungsdeliktes.
Im Rhein in Breisach entdeckten Taucher sterbliche Überrestes eines vermissten 38 Jahre alten Mannes. Er wurde Opfer eines Tötungsdeliktes. | Bild: Philipp von Ditfurth

Die Ermittler gingen am 19. April an die Öffentlichkeit, sechs Tage später stellte sich ein 58-jähriger Mann. Ein Richter des Amtsgerichts Waldshut-Tiengen erließ tags darauf einen Untersuchungshaftbefehl wegen des dringenden Tatverdachts des Totschlags. Der Tatverdächtige sei bereits Gegenstand der Ermittlungen gewesen, hieß es. Eine DNA-Probe sei zu Vergleichszwecken erhoben worden.

„Warum hat er ihn so schrecklich misshandelt?“

Was der Tatverdächtige mit Nasr zu tun hatte und wo er gestorben ist, dazu äußern sich die Behörden nicht. Die Familie rätselt. „Wir kennen diesen Menschen überhaupt nicht und wollen wissen, warum er ihn getötet und so schrecklich misshandelt hat“, sagt Nasrs Schwester. Zwischen ihrem Bruder und dem Verdächtigen soll es einen „kleinen Streit“ gegeben haben, habe ihr die Polizei gesagt. Warum ist dieser so eskaliert?

Inzwischen stehen die Ermittlungen wohl kurz vor Abschluss; doch die Leiche von Mahdi Bin Nasr konnte noch nicht an die Familie übergeben werden. „Die deutsche Polizei hat uns gesagt, dass wir die Leiche bekommen können, und die tunesische Botschaft geht der Angelegenheit nach“, erklärt die Schwester. Doch die bürokratischen Hürden seien hoch.

Die Familie drängt nun auf eine schnellere Übermittlung der DNA-Ergebnisse an die tunesischen Behörden, um das Verfahren voranzutreiben. Nach muslimischen Ritus sollen Verstorbene schnellstmöglich beerdigt werden, meist geschieht das innerhalb von 24 Stunden. Bei Mahdi Bin Nasr sind es inzwischen mehr als 160 Tage.