Plötzlich ging alles ganz schnell: Die frühere Konstanzer Gymnasiastin und IS-Anhängerin Sarah O. ist vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden.

Prozessbeteiligte sagen, das Urteil habe sich in den vergangenen Wochen zunehmend abgezeichnet. Dabei waren noch im Mai 17 weitere Prozesstermine angesetzt, ein Gerichtssprecher konnte damals noch nicht einschätzen, wann ein Urteil gesprochen werden könnte. Es fiel am 93.Verhandlungstag.

Der Prozess, der im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgericht geführt wurde, fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Sarah O.‘s Eltern sind nach Informationen des SÜDKURIER nicht vor Ort gewesen.

Das Gericht verurteilte die heute 23 Jahre alte Sarah O. demnach wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Zudem wurde sie schuldig gesprochen wegen mehrerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit, unter anderem wegen Todesfolge durch Versklavung, Verfolgung sowie Beihilfe zur Vergewaltigung, Freiheitsberaubung, Freiheitsberaubung mit Todesfolge sowie Körperverletzung.

Gericht nahe an den Forderungen des Bundesanwalts

Der Generalbundesanwalt hatte für Sarah O. eine Jugendstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten beantragt, Sarahs Strafverteidiger hatten dagegen eine zur Bewährung auszusetzende Jugendstrafe von 2 Jahren und einen Teilfreispruch, beziehungsweise eine Jugendstrafe von 4 Jahren beantragt.

Der Frankfurter Anwalt Ali Aydin vertritt die Konstanzer IS-Rückkehrerin Sarah O. vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf.
Der Frankfurter Anwalt Ali Aydin vertritt die Konstanzer IS-Rückkehrerin Sarah O. vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. | Bild: Moll, Mirjam

Sarah O.‘s Anwalt Ali Aydin sitzt noch im Zug auf dem Rückweg in seine Frankfurter Kanzlei, als er mit dem SÜDKURIER telefoniert. Er sagt: „Ich bin nicht glücklich über den Ausgang des Prozesses:“ Dennoch sei die Verteidigung „nicht überrascht über das Urteil, es hätte aber auch deutlich schlechter ausfallen können.“ Sarah O. habe „gefasst“ auf das Urteil reagiert.

Aydin betonte, dass er die Auffassung des Senats in einigen Punkten nicht teilen konnte. „Davon überzeugt mich auch das Urteil nicht“, betont er. Hätte er dem Senat in mehr Punkten zugestimmt, wäre das Urteil möglicherweise milder ausgefallen, ergänzt er.

Ausreise als 15-Jährige

Das Gericht zeichnete die Geschichte Sarah O.‘s nach: Sie ist eine von 1050 Islamisten, die laut Verfassungsschutz aus Deutschland in den sogenannten Dschihad zogen. Eine von 50 Islamisten aus Baden-Württemberg. Eine von insgesamt zwölf Frauen aus dem Südwesten.

2013 reiste sie mit einer gefälschten Reiseerlaubnis ihrer Eltern in die Türkei und dort über die Grenze illegal nach Syrien. 2014 heiratete sie nach islamischem Recht den Kölner Islamisten Ismail S., bekommt in den folgenden Jahren drei Kinder mit ihm. In dem Haus, in dem sie lebten, sollen sie mehrere Jesidinnen als Sklavinnen gehalten haben. Das Gericht spricht von insgesamt fünf jesidische Frauen und zwei minderjährigen jesidischen Mädchen.

Anwalt Ali Aydin und Seda Basay-Yildiz verteidigen gemeinsam die Konstanzer IS-Rückkehrerin Sarah O.
Anwalt Ali Aydin und Seda Basay-Yildiz verteidigen gemeinsam die Konstanzer IS-Rückkehrerin Sarah O. | Bild: Moll, Mirjam

Drei der fünf Frauen traten in dem Prozess demnach als Nebenklägerinnen auf. Zwei von ihnen gaben dem Gericht zufolge an, von Sarahs Mann vergewaltigt worden zu sein.

Die Verteidigung von Sarah O. zweifelte allerdings die Aussagen einiger Zeugen „aus dem Ausland“ an. Diese hätten ihre Aussagen „im Wesentlichen geändert“. Ob damit die Aussagen der Jesidinnen gemeint sind, lässt die Verteidigung offen.

14-Jähriges Mädchen getötet

Ein versklavtes vierzehnjähriges Mädchen kam nach der Überzeugung des Gerichts bei einer Autofahrt, der Sarah O. zugestimmt hatte, obwohl die Strecke bei Al-Mayadin bereits am Vortag unter Beschuss gestanden habe, bei einem Angriff ums Leben.

Wie das Gericht schildert, „förderte“ Sarah O. „in Jarabulus, Manbidsch, Raqqa und Al-Mayadin die Tätigkeit ihres ‚Ehemannes‘ für die Terrororganisation, indem sie den Haushalt führte und die gemeinsamen drei Töchter betreute“. Zudem habe sie „Neuankömmlinge für den IS“ übergangsweise aufgenommen und „versuchte außerdem, andere Personen zur Reise nach Syrien und zur Teilnahme am Jihad für den IS zu bewegen“.

Sarah O. hatte einen Facebook-Account betrieben, in dem sie für die Sache des IS warb. Auf Facebook war sie unter dem Namen Amatul‘ Aziz Al-Muhajira auf Facebook aktiv, später wurde der Account gelöscht. Der Name selbst ist Programm: Er bedeutet so viel wie Sklavin des Allmächtigen, die Kriegerin Gottes.

Ein hoher Zaun, der das Gelände des Oberlandesgerichts Düsseldorf sichert: Hier wurde Sarah O.‘s Fall verhandelt.
Ein hoher Zaun, der das Gelände des Oberlandesgerichts Düsseldorf sichert: Hier wurde Sarah O.‘s Fall verhandelt. | Bild: Roland Weihrauch

Sarah hat sich aber auch an der Waffe ausbilden haben lassen, übernahm nach der Überzeugung der Bundesanwaltschaft Polizei- und Wachdienste für den IS. Dieser Anklagepunkt fand in der Erklärung zum Urteil allerdings keine Erwähnung mehr.

Gesichert ist: Im Frühjahr 2018 war der IS zunehmend in Bedrängnis geraten, Sarah O. flüchtete mit ihrer Familie in die Türkei. Dort wurde die Familie von den türkischen Sicherheitsbehörden aufgegriffen. Sarah wurde im Herbst 2018 an die deutschen Behörden ausgeliefert. Weil sie mit ihren Kindern in Düsseldorf landete, obliegt die Gerichtsbarkeit Nordrhein-Westfalen. Die Kinder wurden in Pflegefamilien untergebracht.

Ihr Mann ist nach Informationen des SÜDKURIER weiterhin in türkischer Haft. Die Bundesanwaltschaft hat ein Gesuch auf Auslieferung gestellt, bislang sei aber nicht absehbar, ob und wann dem stattgegeben werde. Der Kölner Ismail S. ist ein bekannter Salafist mit Vorstrafen.

Eltern von Sarahs Mann ebenfalls verurteilt

Mit vor Gericht standen die Eltern von Sarahs Mann, Perihan S. und Ahmet S: Nach der Überzeugung des Senats wussten sie, dass sich ihre beiden Söhne in Syrien dem IS angeschlossen hatten. Von 2013 bis 2015 unterstützten sie sie nach Auffassung des Gerichts, „indem sie an der Beschaffung von Waffenzubehör und Ausrüstungsgegenständen mitwirkten auch selbst Gegenstände nach Syrien zu transportierten“. Zudem seien ab 2014 Gelder nach Syrien geflossen.

Auch Perhihan S. soll ihre Söhne finanziell unterstützt haben.
Auch Perhihan S. soll ihre Söhne finanziell unterstützt haben. | Bild: Lukas Schulze

Für Perihan S., die zum Prozessbeginn mit einer glitzernden Kappie und großer Sonnenbrille aufgetreten war, hatte der Generalbundesanwalt eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten beantragt, die Verteidigung einen Freispruch. Für Ahment S. hatte der Generalbundesanwalt drei Jahre und drei Monate gefordert; die Verteidigung dagegen eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren.

Ahmet S. war mit angeklagt in dem Prozess, er soll Sarahs Mann und dessen Bruder mit Waffen und Geld versorgt haben.
Ahmet S. war mit angeklagt in dem Prozess, er soll Sarahs Mann und dessen Bruder mit Waffen und Geld versorgt haben. | Bild: Lukas Schulze

Prozessbeginn 2019

Der Prozess hatte im Oktober 2019 begonnen, wegen aufwendiger Zeugenbefragungen aber immer weiter in die Länge gezogen. Noch vor wenigen Wochen vor ein Ende des Prozesses nicht absehbar.

Weil sie zum Großteil der Tatzeitpunkte noch minderjährig war, wurde Jugendstrafrecht angewandt. Möglich gewesen wären bis zu zehn Jahre Haft nach Jugendstrafrecht, bis zu 15 Jahre nach Erwachsenenstrafrecht.

Das Urteil ist noch nicht rechtkräftig. Aydin will mit seiner Mandantin über eine Revision beraten, sie muss innerhalb einer Woche eingelegt werden. Sollte es dazu kommen, ginge der Fall vor den Bundesgerichtshof in Karlsruhe.