Es ist bald halb elf, als der für 9 Uhr angesetzte Prozess um die immer noch vermisste Jasmin M. im Sitzungssaal 1.60 des Konstanzer Landgerichts beginnt. Der Andrang ist groß, vor dem Gericht warteten viel mehr Menschen als die etwa 40, die es am Ende in den Saal schaffen.
Der Beschuldigte Robert S. betritt das Gericht in einem schweren, dreiteiligen Anzug, das Hemd bis ganz oben zugeknöpft. Er nimmt neben seinen beiden Pflichtverteidigern Platz. Die Schiebermütze legt er auf dem Tisch ab, nachdem ein Justizbeamter Hand- und Fußfesseln löst. Robert S., 43 Jahre alt, ist unter anderem der Körperverletzung mit Todesfolge an seiner Ex-Partnerin angeklagt, außerdem soll er ihr nachgestellt haben.
Im Urteil sei alles möglich, so der Vorsitzende Richter
Aber, das ist dem Vorsitzenden Richter Arno Hornstein wichtig zu betonen: In diesem Indizienprozess sei von Freispruch über Fahrlässigkeit und Vorsatz bis hin zu Totschlag oder Mord „alles möglich“, so Hornstein. Sowieso, so wird der Vorsitzende nach dem ersten Verhandlungstag sagen, sei dieser Prozess wegen einer Tat ohne aufgefundenem Todesopfer ein Novum für das Gericht.
Als Staatsanwalt Ulrich Gerlach die Anklage verliest, sitzt Robert S. aufrecht und regungslos da, verschränkt seine Hände, presst abwechselnd seine Fingerspitzen gegeneinander. Einmal lehnt er sich zur Seite und macht sich Notizen.
Schon die Anklage wirft ein Schlaglicht darauf, wie S. seiner Ex-Partnerin mutmaßlich nachgestellt hat: Er habe sich einen Selfie-Stick selbst gebaut, eine Verlängerung, um mit seinem Smartphone in ihre Wohnung im ersten Obergeschoss hineinfilmen zu können. Ihr Auto habe er mit einem GPS-Tracker versehen, um sie zu überwachen, neun bis 57 mal am Tag habe er die Software dazu genutzt – und ihr anschließend Nachrichten über sein so erlangtes Wissen geschrieben.
Minutiöse Ermittlungsergebnisse
In der Nacht des mutmaßlichen Verschwindens der damals 21 Jahre alten Jasmin M., so liest es der Staatsanwalt vor, hätten die beiden sich bei McDonald‘s in Singen getroffen. Sie sei irgendwann gegangen, er kurze Zeit darauf. S. sei ihr dann gefolgt, habe ihr Einschlafen abgewartet und sie betäubt. Dann habe er sie fotografiert und „an ihren Geschlechtsteilen manipuliert“, wie es in der Sprache von Justizbehörden heißt. S. sitzt regungslos bei diesen Worten, hat seinen Blick zur Seite gerichtet.
Der Anklageverlesung folgt der erste und einzige Zeuge des Tages – der Ermittlungsleiter der Kriminalpolizei Tuttlingen wird anhand eines digitalen Zeitstrahls minutiös die Ergebnisse der Polizeiarbeit erläutern. Vorher noch aber weist Richter Hornstein auf wesentliche Einschränkungen hin: Die Polizei habe Erkenntnisse von Zeugen, die in einem Verwandtschaftsverhältnis zum Beschuldigten stehen und Gebrauch von ihrem Verweigerungsrecht machen. „Alle Erkenntnisse aus diesen Befragungen der Polizei dürfen hier also nicht verwendet werden“, so Hornstein. Das dürfte den Indizienprozess noch komplizierter als ohnehin machen.
Dann beginnt der Polizist: Kurznachrichten, Bewegungsprofile aus Handy- und Funkmastdaten, Wegpunkte aus Navigationssystemen, Videoaufzeichnungen von Tankstellen und Geldabhebungen. Und nicht zuletzt: All die Daten, die Robert S. mit dem GPS-Tracker an Jasmin M.s Auto selbst generiert hat.
„Kein Hass, nur Schmerz“
Die Polizei geht davon aus, dass der Angeklagte Jasmin M. seit Oktober 2021 nachgestellt hat. Seitdem gibt es Videomaterial, dass S. mit einem selbstgebauten Selfiestick, also einer Verlängerung für sein Handy, durch das Wohnzimmerfenster von M. im ersten Obergeschoss gefilmt haben soll.
Es werden mehrere Sprachnachrichten von S. an M. abgespielt. Er ist dabei kurzatmig, hyperventiliert regelrecht. Er gesteht ihr darin wiederholt seine Liebe. Er stellt sich darin aber auch immer wieder vor, wie Jasmin einen anderen Mann trifft und mit ihm intim wird. Und er sagt, ruft eher, klingt teilweise panisch: „Ich kriege diese Ungewissheit nicht unter Kontrolle.“
Er ist offensichtlich verzweifelt, als er diese Nachrichten aufnimmt. Robert S. sagt einmal an Jasmin und ihren mutmaßlichen neuen Freund gerichtet: „Ihr habt Angst, dass ich euch was antue. Müsst ihr aber nicht. Ich habe keinen Hass. Nur Schmerz.“ In seinem Beruf als Kfz-Meister galt S. als zuverlässiger Fachmann, bei Kollegen geschätzt. In den Schilderungen der Polizei entsteht aber auch das Bild eines rastlosen Ex-Freundes, der seine Liebe unerwidert wähnt.
Ein weiteres Handy fehlt
Robert S. schweigt während alledem, so wie er es macht, seit er vom Zeugen zum Beschuldigten wurde. Seine Zeugenaussagen hätten sich bald widersprochen, berichtet der Kriminalpolizist. So habe S. einmal ausgesagt, Jasmin wäre Skifahren gegangen; die Ausrüstung fand die Polizei aber in ihrer Wohnung.
Richter Hornstein lässt sich noch eine Beobachtung vom ersten Zeugen bestätigen: nämlich dass der Angeklagte Jasmin M. bis zu ihrem Verschwinden laut Staatsanwaltschaft intensiv gestalkt habe – und seine Kontaktversuche unmittelbar danach drastisch abgenommen hätten. S.‘ Verteidiger Nicolas Doubleday interveniert aber: Sein Mandant hätte ab dem 22. Februar, also drei Tage nach dem Verschwinden Jasmins, kein Handy mehr gehabt, mit dem er hätte Kontakt aufnehmen können.
Und es fehlt noch ein weiteres Handy. Eine Person, die bisher in der Öffentlichkeit überhaupt keine Rolle spielte, ist die Ex-Partnerin von Robert S., die sogar geheiratet hatte und die immer noch seinen Nachnamen trägt. Sie soll Auslöser der Trennung der beiden gewesen sein, weil sie immer noch Kontakt mit ihm gehabt habe. Als sie das erfahrt hatte, soll Jasmin M. die Beziehung zu Robert S. beendet haben. Nach Jasmins Verschwinden hatten S. laut der Funkdaten wieder regen Kontakt mit der Ex-Partnerin.
Ihr Handy hat die Polizei sichergestellt – es ist allerdings so defekt, dass der Kriminaltechnik in München eine Datensicherung unmöglich war. Jetzt versuchen es Spezialisten in der Schweiz. Ob das gelingt, wird der weitere Prozess zeigen, er wird Ende November fortgesetzt.