Die Gaskrise macht erfinderisch, wenn es um die Suche nach Alternativen für wegfallende russische Lieferungen geht. Dabei wird auf Technik hingewiesen, die längst als beerdigt galt. Jüngstes Beispiel: Obwohl 2017 unter der damaligen schwarz-roten Koalition ein Verbot des kommerziellen Gas-Fracking umgesetzt wurde, wird diese Option jetzt wieder ausgegraben.

Söder weist auf Niedersachsen

So schlug Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kürzlich vor, eine Aufnahme des Fracking zu prüfen und verwies auf Erdgasfelder in Niedersachsen. Der Chef der FDP-Fraktion im Stuttgarter Landtag, kritisierte dieser Tage gegenüber dem SÜDKURIER den wenig klimafreundlichen Kauf von amerikanischem Fracking-Gas.

Fracking am Bodensee sollte zumindest geprüft werden, meint Hans-Ulrich Rülke, FDP-Fraktionschef in Baden-Württemberg.
Fracking am Bodensee sollte zumindest geprüft werden, meint Hans-Ulrich Rülke, FDP-Fraktionschef in Baden-Württemberg. | Bild: Hanser, Oliver

Deutschland, so Rülke, habe eigene Schiefergasvorräte, zum Beispiel nordöstlich des Bodensees. Man müsse „zumindest mal erkunden, ob es technisch darstellbar wäre, das zu fördern“, so Rülke.

Niemand reagiert dünnhäutiger wenn es um Fracking in der Bodensee-Region geht als Andreas Jung, Chef-Umweltpolitiker der Unionsfraktion im Bundestag und Konstanzer Abgeordneter. „Wenn Hans-Ulrich Rülke Schiefergasvorräte am Bodensee erkunden will, empfehle ich einen Blick auf die Landkarte und ins Gesetzbuch“, kontert Jung auf Nachfrage den Vorstoß.

Da beim Fracking Gas und Öl mit Hilfe von Druck und Chemikalien aus tiefen Gesteinsschichten herausgeholt werden, bestünde Gefahr für die Umwelt.

Fracking gefährdet das Trinkwasser im Einzugsgebiet des Bodensees, meint Andreas Jung, Konstanzer CDU-Bundestagsabgeordneter und ...
Fracking gefährdet das Trinkwasser im Einzugsgebiet des Bodensees, meint Andreas Jung, Konstanzer CDU-Bundestagsabgeordneter und Umweltpolitiker. | Bild: Andreas Jung

„Der Bodensee ist Trinkwasserspeicher für mehr als vier Millionen Menschen“, betont Jung, der schon vor einigen Jahren, als die Frage von Fracking-Probebohrungen in Oberschwaben im Raum stand, sein Nein zum Schiefergas formulierte.

Die Bodenseewasserversorgung, so Jung heute, habe immer sehr deutlich auf die Risiken von Fracking am See hingewiesen. „Das würde eine Gefährdung des Trinkwassers bedeuten. Das nehme ich sehr ernst“, wird Jung deutlich.

Von der Aach im Westen bis zur Argen im Osten

Daher habe der Bundestag für die Einzugsgebiete ein „absolutes und unbefristetes“ Fracking-Verbot beschlossen. Das sensible Trinkwasser-Einzugsgebiet erstreckt sich auf deutscher Seite von der Radolfzeller und Stockacher Aach im Westen bis zu den Quellen der Oberen und Unteren Argen in Bayern.

Die Fracking-Skeptiker in der Politik können sich auf Mahner in der Wissenschaft berufen. Die Expertenkommission Fracking arbeitet dem Bundestag zu und hat 2021 in ihrem Bericht an das Parlament auf Restrisiken des Verfahrens hingewiesen. Dazu gehören unkontrollierte Austritte von klimafeindlichem Methangas, eine Gefährdung von Grund- und Oberflächenwasser sowie erdbebenartige Erscheinungen.

Helmholtz-Wissenschaftler kritisiert das Fracking-Verbot

Ausgerechnet in diesem Gremium gibt es nun Zuspruch für die Befürworter des Fracking – und zwar vom Vizevorsitzenden Holger Weiß, Professor am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). In für einen Forscher ungewöhnlich deutlichen Worten hat Weiß dieser Tage das Fracking-Verbot in Frage gestellt: „Man kann das eigentlich nur mit ideologischen Vorbehalten erklären. Einer sachlichen Grundlage entbehrt das“, so Weiß gegenüber der FAZ.

Die beim Fracking mittlerweile verwendete Flüssigkeit sei kein Gift, „das ist Spüli“. Heutzutage, so der Professor weiter, „kann man Fracking mit einem vertretbaren Restrisiko machen“.

Bild 3: Kommt jetzt doch Fracking am Bodensee?
Bild: SK

Andere Experten sehen es ähnlich, etwa der Geologe Christoph Hilgers vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT): „Wenn man Fracking richtig macht, ist das Risiko gering. Das ist eine etablierte Technologie“, sagte Hilgers. Der Umweltschutz stehe dabei immer an erster Stelle.

„Umfangreiche Maßnahmen“

Geht es nach dem Expertenbericht für den Bundestag, dann stellt sich die Sache durchaus komplexer dar. So heißt es dort wegen Gefahr möglicher Methan-Austritte, es seien dazu „umfangreiche prozessbegleitende Erfassungen“ notwendig. Vorher jedoch müssten die Messmethoden weltweit standardisiert werden, um Daten aus Studien miteinander vergleichen zu können.

Womit eine zentrale Herausforderung angesprochen ist: Bevor das erste Fracking-Gas gefördert werden könnte, müsste man die Wissenslücken füllen – auch durch langwierige Erkundungen. Denn wo genau wie viel Frack-Gas zu erwarten ist, weiß niemand genau.

Vorkommen bisher nur grob abgeschätzt

„Die Schiefergas-Mengen wurden in grober Abschätzung ermittelt, mit Hilfe von Computer-Simulation abgeschätzt und spiegeln grob die Größenordnung der Potenziale wieder“, sagt Stefan Lagade, Geologe an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover auf Anfrage.

Auch über Vorkommen an der Region gibt es nur vage Vermutungen: „Am Bodensee ist nur eine kleine Fläche bei der bundesweiten Abschätzung der BGR berücksichtigt worden, in großen Tiefen von rund 2000 Meter“, erklärt Stefan Ladage. Es seien nur „geringe Mengen Schieferöl, und nicht Schiefergas“ modelliert worden.

Niemand erwärmte sich für Probebohrungen

Klarheit erbrächten allein Probebohrungen. Doch die waren nach dem Fracking-Verbot 2017 für niemanden attraktiv. „Unsere Industrie hat diese klare Positionierung respektiert und keine Anträge gestellt“, sagte jetzt Ludwig Möhring, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie.

Was sich schon jetzt abzeichnet: Eine Aufnahme von Fracking in Deutschland bräuchte einen langen Atem, von bis zu fünf Jahren Anlaufzeit ist die Rede. BGR-Experte Ladage sagt dazu: „Aus rein geowissenschaftlicher und technischer Sicht könnten die Vorkommen nur schrittweise erschlossen werden. Das geht nicht von heute auf morgen.“ Kurzfristig wird russisches Gas durch Fracking in Deutschland also nicht zu ersetzen sein.