Steht Gaienhofen viel besser da als die übrige Höri und Radolfzell? Dieser Eindruck kann beim Lesen einer Auswertung des SÜDKURIER entstehen, die Besucherzahlen von Touristen in den Gemeinden rund um den Bodensee zusammengetragen hat. Denn während Radolfzell zwar bei den absoluten Zahlen mit 104.000 Gästen jährlich (hinter Konstanz, Friedrichshafen und Überlingen) erwartungsgemäß gut abschneidet verglichen mit Gaienhofen (58.000 Gäste), Öhningen (14.000) und Moos (8400), sieht es runtergebrochen auf die Einwohnerzahl ganz anders.
Nach Radolfzell kommen gerade einmal 3,3 Gäste pro Einwohner, womit es im unteren Mittelfeld liegt. Gaienhofen liegt mit 17,4 Gästen pro Kopf dagegen auf dem zweiten Platz hinter Hagnau. Wie ist dieser Unterschied zu erklären? Denn auch die anderen beiden Höri-Gemeinden schneiden deutlich schwächer ab als Gaienhofen: Moos hat 2,5 Gäste pro Kopf, Öhningen immerhin vier.
TSR-Leiterin nennt strukturelle Gründe
Regina Brüsewitz, Leiterin der Tourismus und Stadtmarketing Radolfzell GmbH, erklärt: „In einem Dorf, das stark vom Tourismus lebt, gibt es in der Regel mehr Übernachtungen pro Einwohner als in einer Stadt mit mehreren Einnahmequellen.“ Dies treffe auch beim Vergleich von Radolfzell und Gaienhofen zu.

„In Gaienhofen spielt der Tourismus die wichtigste Rolle und stellt vermutlich sogar die einzige wirtschaftliche Grundlage dar. Um möglichst viele Gäste anzuziehen und zu beherbergen, ist Gaienhofen stark auf den Tourismus ausgerichtet, obwohl oft nur wenige Menschen dort dauerhaft leben“, so Brüsewitz. Dadurch entstehe ein starkes Missverhältnis zwischen der Zahl der Einwohner und der Anzahl der Übernachtungsgäste.
In einer Stadt wie Radolfzell sei die Lage anders, denn diese haben meist eine viel größere und vielfältigere Wirtschaftsstruktur. „Neben dem Tourismus spielen in Radolfzell zum Beispiel Industrie, Handel, Dienstleistungen oder Bildung eine weitere wichtige Rolle“, zählt Brüsewitz auf. Der Tourismus sei zwar ein starker Wirtschaftsfaktor in Radolfzell, mache aber nur einen Teil der Gesamtwirtschaft aus.
Warum ist Gaienhofen so beliebt?
Ähnlich schätzt Sabine Giesler, Leiterin der Tourist-Info Gaienhofen, das Ergebnis ein – und erklärt Details zu den Gründen für Gaienhofens starkes Ergebnis. Sie sagt: „Das Ergebnis ist natürlich schon eine Frage des touristischen Angebots, die wirtschaftliche Struktur einer Gemeinde ist entscheidend. Wir haben hier viele große Betriebe wie das Hotel Gasthaus Hirschen, das Hotel Höri, das Hotel Gasthaus Seehörnle und die Campingplätze Horn und Höristrand.“

Die hohen Gästezahlen seien in erster Linie Verdienst dieser großen Betriebe. Hinzu kommen die Ferienwohnungen, die laut Giesler 17 Prozent der Gäste ausmachten. Spitzenreiter im Ort sei aber das Gasthaus Hirschen mit über 16.000 Ankünften, an zweiter Stelle liege der Campingplatz Horn mit über 10.000 Ankünften, obwohl 2024 ein schlechtes Jahr gewesen sei. Danach folgen laut Giesler das Hotel Höri und dann Seehörnle.
„Solche Betriebe hat es natürlich in anderen Gemeinden auf der Höri nicht. Öhningen hat das Schloss Marbach, aber sonst eher Ferienwohnungen. Und in Moos gibt es das Schiff, den Seehof und den Sternen, aber sind sind kleiner als unsere Hotels“, führt sie aus.
Tourismus macht 26 Millionen Euro aus
Ein weiterer Faktor sei die Art der Hotels. „Höri und Hirschen sind Wellnessbetriebe, sie haben daher verlängerte Saison und vermieten auch im Winter und Herbst. Und das Seehörnle ist auch ein Tagungshotel, die sind daher wetterunabhängiger und vielfältiger“, erklärt Sabine Giesler.
Radolfzell habe zwar ebenfalls große Hotels, allerdings auch mehr Einwohner und andere starke Branchen. „Wir haben in Gaienhofen eigentlich nur den Tourismus, der macht in der Wertschöpfung 26 Millionen Euro. Dazu etwas Landwirtschaft und die Kultur. Die Zahlen überraschen mich daher nicht“, ordnet Giesler ein.
Sinnvoll sei daher eher der Vergleich mit anderen kleinen Tourismus-Orten wie Allensbach und Bodman-Ludwigshafen. „Das ist aber kein Wettkampf. Wir arbeiten in der Regio Konstanz-Bodensee-Hegau eng zusammen, entwickeln zusammen Angebote – gerade auch mit Moos und Öhningen hier auf der Höri“, berichtet die Expertin.
Woher kommen die Touristen? Und wie lange bleiben sie?
83 Prozent der Touristen in Gaienhofen kommen aus Deutschland, davon die meisten aus Baden-Württemberg. Viele würden nur wenige Tage bleiben. „Der Trend geht zum verlängerten Wochenende“, sagt Giesler. Womit sich auch erklären lässt, weshalb Gaienhofen in einer anderen Statistik, nämlich der Aufenthaltsdauer, nicht besser abschneidet als die umliegenden Gemeinden.
In Radolfzell bleiben Besucher laut SÜDKURIER-Analyse im Schnitt 3,6 Tage, in Gaienhofen immerhin 3,2 Tage und in Öhningen 2,6. In Moos sind nur 1,8 Tage. „Drei bis vier Tage sind typische Werte am Bodensee“, so Giesler.
2024 und 2025 waren schwache Jahre
Doch auch in Gaienhofen ist nicht immer alles ideal. Wie schon 2024, als Regenwetter und Mücken die Saison erschwerten, wird wohl auch 2025 wegen des schlechten Wetters keine guten Zahlen bescheren, verkündet die Leiterin der Tourist-Info. „Besonders die Campingplätze waren 2024 betroffen. Es fehlen die Gäste, die spontan buchen“, sagt sie.
Insgesamt sei die Entwicklung aber gut, auch dank Anbauten am Hirschen sind die Übernachtungen gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 von 167.000 auf 183.000 um knapp zehn Prozent angestiegen. „Für uns in den Touri-Infos geht es am Ende aber nicht um Zahlen, sondern Angebote. Wir wollen uns in Gaienhofen qualitativ und nicht quantitativ weiterentwickeln“, sagt Giesler.