Wochenlang elektrisierte Peter Lenk die spröden Stuttgarter mit seiner Satire auf den geplanten Tiefbahnhof Stuttgart 21. Das neun Tonnen schwere Kunstwerk – ebenso gewichtig wie zerbrechlich – wurde in einer kalten Oktobernacht 2020 aufgebaut und acht Monate später abgebaut, ohne dass die Stadt Stuttgart dafür einen Finger krumm gemacht hätte. Wer waren die Mainzelmännchen, die das Opus mit maximaler Geräuschlosigkeit aufstellten, ohne dass einer Figur auch nur ein Haar gekrümmt wurde?
Warum die Ketten rosarot sind
Wer dieser Frage nachgeht, landet im Singener Industriegebiet. In der Aluminiumstraße 20 b bauen sich die gewaltigen Werkräume der Firma Broziat auf. Vor der Halle stehen Tieflader, drinnen stehen Tieflader und überhaupt die Familie der schweren Geräte. Kräne, Gabelstapler. Wer zufällig einen Spezialtransport benötigt, um eine Garage von A nach B zu bewegen, liegt hier richtig. In dieser Titanen-Werkstatt ist alles hoch, tief, schwer.
Das ist das Revier von Fritz Hengefeld. Der Geschäftsführer zeigt dem Reporter des SÜDKURIER den großkalibrierten Maschinenpark. Liebevoll weist er auf rosarot bemalte Ketten (“die sind besonders tragefähig“) oder einen Gabelstapler mit breiten Hüften (“Der packt ihnen bis zu 28 Tonnen“). Alle Fahrzeuge sind Rot lackiert und Gelb beschriftet. Alles proper.

Ein Sponsor der anderen Art
Hengefeld zählen zu den außergewöhnlichsten Sponsoren in der Kunstszene des Landes. Der Mann trägt keinen Zopf, kein buntes Brillengestell. Er liest auch keine kunsthistorischen Bücher und sammelt nicht einmal Kunst aus Westafrika. Der 48-jährige ist schwärmt von Maschinen und der feinen Arbeit des Grobmotorischen. Je schwerer, desto besser. Er hört gerne Rock ‚n‘ Roll und schwärmt von seiner Zeit als Sänger in einer Unterhaltungsband.

Und doch hat dieser rührige Mensch hat, wie auch die Eigentümerfamilie Broziat, haufenweise mit Kunst zu tun. Sie transportieren sperriges Kulturgut von der Werkstatt zum öffentlichen Standort. Peter Lenks „Das Denkmal. Chronik einer grotesken Entgleisung“ karrten Broziats Männer in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober von Bodman nach Stuttgart. Dafür wurde schweres Gerät eingesetzt: zwei Tieflader-Lkw, zwei Kräne, eine Hebebühne. Und ein Transporter für die sechs Mitarbeiter, die in einer kalten Nacht das Kunstwerk aufstellten und zusammensteckten.

Eine fünfstellige Rechnung, die nie gestellt wird
Hengefeld überschlägt die Kosten: „Das hätte 25.000 Euro gekostet, wenn wir es berechnet hätten.“ Hätten – denn das Büro der Firma Broziat berechnete null Cent. Firmeninhaber Oskar Broziat sieht sich als Sponsor im Hintergrund, der einer gewagten Satire den Weg bereitet. Nur so packte das überbordende Figuren-Theater den Weg nach Stuttgart. Die Transportfirma schenkt dem Künstler und der Stadt Stuttgart – den gesamten Transport. Logistik zum Nulltarif. Sonst wäre Lenk nie in der Konrad-Adenauer-Straße angekommen.
Die Stadt Stuttgart spielt nach Hengefelds Einschätzung eine unrühmliche Rolle. Für Werk und Weg zahlte sie nichts, mehr noch: Sie rührte keinen Finger, um die nächtliche Anfahrt zu erleichtern. Immerhin waren Spezialgenehmigungen nötig, die Bundesstraße musste zeitweise gesperrt werden, damit der Lastwagen die Fläche unterhalb des Stadtpalais‘ ansteuern konnte. Peter Lenk, der die nächtliche Aktion begleitete, bestätigt: „Das Amt hat sich unmöglich verhalten.“
Bereits die Imperia
Lenk und Broziat bilden buchstäblich ein altes Gespann. Die Singener Firma (früherer Sitz war Allensbach) schleppte bereits die imposante Figur der Imperia in den Konstanzer Hafen. Das war im Frühjahr 1993 und geschah im Rahmen einer Nacht-und-Nebel-Aktion. Zwei Schiffe waren damals nötig, um die 18 Tonnen schwere Kurtisane auf ihr heutiges Postament zu heben, das sich einmal in der Stunde um die eigene Achse dreht. Auf einem der Schiffe lag die Segmente der Imperia, das andere diente als Arbeitsschiff. Seniorchef Oskar Broziat (68) und sein Vater haben schon damals keine Rechnung geschrieben.
Nicht nur das satirische Werk eines Peter Lenk interessiert die Fachleute. Ihre Expertise war auch im Herbst 2017 gefragt, als das Wrack der „Landshut“ in einer russischen Transportmaschine nach Friedrichshafen geflogen wurde. Eine hochbrisante Aktion, in die sich zuletzt und mit großem Tamtam der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel einbrachte.
Broziat übernahm die Aufgabe, Rumpf und Flügel des denkwürdigen Flugzeugs (Entführung 1977) aus dem Inneren der Antonow zu bergen und in den Hangar zu ziehen. Auch hier galt so viel: So schauerlich ihr Zustand auch ist, sollte die „Landshut“ doch schonend verlagert und ausgewickelt werden. 12 Tonnen wog allein der Rumpf. Auch dieses Mal wurde keine Rechnung gestellt.

Warum macht er das nur?
Dabei ist Broziat kein Unternehmen mit riesigen Umsätzen. Im Transportsektor – dem Herzstück der Firma – werden pro Jahr etwas zwei Millionen Euro Umsatz geschrieben, berichtet Hengefeld. Dazu kommen andere Geschäftsfelder, etwa der Handel mit Werkzeugmaschinen, die Verwaltung von Immobilien oder ein Start-up in der Schweiz. Broziat ist nicht Reinhold Würth aus Künzelsau, der moderne Kunst ebenso wie gotische Madonnen kauft und in luxuriösen Häusern präsentiert.
Der Grund für das Engagement ist vordergründig dieser: „Wir bekommen Werbung“, sagt Geschäftsführer Hengefeld. Ob sich das eins zu eins rechnet, weiß er nicht. Werbung ist kein exakter Faktor. Also setzt er noch eines drauf: „Die Firma Broziat hat eine soziale Ader.“
Als Privatmensch ist Hengefeld an Kunst übrigens kaum interessiert. „Rein persönlich habe ich mit Kunst nichts am Hut“, meint er schmunzelnd. Ihn reizt die Aufgabenstellung. Schweres Gerät hantiert an filigranem Gegenstand – da ist er bei Peter Lenk genau recht. Hammer und Amboss haben zueinander gefunden.