Was schenkt man einem 74-Jährigen? Peter Lenk, der am Sonntag dieses schöne Alter erreichte, erhält von der Stadt Stuttgart ein Präsent. Es ist kein Geschenk zum Anfassen, sondern ein Aufenthaltsrecht: Peter Lenks neun Meter hohe Figur, die um den Mythos des Priesters Laokoon kreist, hat gute Chance auf eine dauerhafte Bleibe in Stuttgart.
Wenn sich Verwaltung und Bildhauer einig werden, dann kann das „Lenkmal“ in jener Stadt bleiben, die es zugleich verspottet: Stuttgart als zentrale Baugrube für den geplanten Tiefbahnhof „Stuttgart 21“.
Der Museumschef nennt die Skulptur „vulgär“
Ende Oktober 2020 stellte der bekannte Künstler aus Bodman (Kreis Konstanz) das Werk mit den vielen Figuren auf. Es war von ihm auf eigene Rechnung gebaut und mithilfe von Sponsoren vor dem Stadtpalais aufgerichtet worden. Dessen Chef schmunzelte erst über die Großskulptur. Dann rückte er davon ab, nannte sie „vulgär“. Der Laokoon sollte nur befristet dort bleiben, beschied Torben Giese.
Doch hat er die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn Lenks Unterstützer sammelten mehr als 2000 Unterschriften. Über 700 Online-Kommentare sprachen sich für den Verblieb des Laokoon aus, der Winfried Kretschmann nachgebildet ist.
Erst nach dem Weggang von Fritz Kuhn kam Bewegung ins Spiel
Fritz Kuhn, damals noch grüner Oberbürgermeister, gab sich in Sachen Peter Lenk als Kunstmuffel. Im Streit um das anstößige Werk hielt er sich vornehm zurück. Auf den letzten Metern seiner Amtszeit wollte er sich nicht auf das dünne Eis der Kunst begeben. Seit vier Monaten sitzt Frank Nopper im Rathaus mit dem weißen Turm, durch das jetzt frischer Wind pfeift.
Der CDU-Mann suchte das Gespräch, vertiefte sich, signalisierte Zustimmung. „Sie wollen das Werk haben“, ahnt Lenk. Am Telefon habe sich Nopper offen gezeigt. In einigen Tagen wird er sich mit dem Verwaltungschef treffen und verschiedene Standorte innerhalb des Stadtrings anschauen. Der Laokoon soll in der Metropole bleiben – wenn der Standort stimmt, und nur dann. „Ich mache keine Kompromisse“, sagt der Bildhauer.

Denn davon hängt alles ab. Bisher steht die Skulptur sehr prominent an der Kunstmeile. Viele Besucher streifen vorbei, nehmen Notiz, fotografieren sich (groß) und den Laokoon-Kretschmann (klein). Lenk hofft, dass die Stadtspitze einen attraktiven Platz mit Publikumsverkehr anbietet. Mit öden innerstädtischen Arealen würde er sich nicht abspeisen lassen. Die Entscheidung dürfte in einigen Tagen fallen.
Von den Grünen ist Lenk enttäuscht
Von den Grünen erwartet er dabei nicht viel. „Sie wollen nur sich selbst inszenieren“, lautet sein Fazit. Außerdem seien sie völlig humorlos und hätten sein Werk nicht begriffen. Einzig von Veronika Kienzle sieht er sich verstanden. Die Bezirksrätin von Stuttgart-Mitte ist die einzige prominente Grüne, die sich für Lenk einsetzte, wo andere vornehm die Nase rümpften über das vermeintliche Provinzkunstwerk.

Den Sinneswandel der Stuttgarter Politik fand nicht nur im Rathaus statt, wo Kuhn still verschwand und Nopper mit Getöse einzog. Auch die Medien schwenkten – ebenfalls still – auf eine Linie ein, die Peter Lenk gewogen ist. Im vergangenen Herbst noch kamen in den Stuttgarter Zeitungen empfindsame Ästheten zu Wort, die der Lenk-Skulptur absprachen, wirklich Kunst zu sein. Zu derb, zu gegenständlich, zu wenig abstrakt. Der Akzent hat sich verschoben. Seit einigen Wochen erwärmt sich die mediale Szene für den Figurenreigen vor dem Stadtpalais. Plötzlich liest man am Neckar Überschriften wie „Beifall für Lenk-Skulptur“.
Die Schwaben schätzen Gratis-Kunst
Wenn alles gut geht, dann schält sich eine Win-Win-Situation heraus: Der 74-Jährige Satiriker bleibt in Stuttgart, nachdem ein neuer Standort gefunden sein wird. Und die Stadt hat eine Sehenswürdigkeit mehr, für die sie nicht bezahlen muss. Das ist im reichen Stuttgart, das sich gerne arm schwätzt, ein wertvolles Argument.
Von einem Erwerb war nie die Rede. „Ich verkaufe es nicht“, sagt Lenk im Gespräch mit dem SÜDKURIER, „die letzte Entscheidung liegt dann immer bei mir.“ Ihm sei eine exponierte Fläche wichtig und nicht der Gewinn. Falls die Stadt nur taktieren und ihn abspeisen will, würde er das Figurentheater wieder einpacken und in seinem Garten in Bodman aufstellen.