SÜDKURIER und Tagblatt: Zusammenarbeit am Bodensee: Dieser Artikel erscheint im Rahmen eines Austauschs mit der Redaktion der Ostschweizer Regionalzeitung St. Galler Tagblatt auf suedkurier.de. In einer mehrteiligen Serie beleuchten die Kolleginnen und Kollegen das Leben, Arbeiten und die Freizeit auf und rund um den Bodensee. Der SÜDKURIER freut sich, seinen Leserinnen und Lesern eine Auswahl dieser Inhalte zur Verfügung stellen zu dürfen.
An der breitesten Stelle des Bodensees, zwischen Romanshorn und Friedrichshafen liegen 14 Kilometer tiefes, sauberes Bodenseewasser. Zwischen Egnach und Eriskirch, den beiden Nachbarorten und Partnergemeinden, dürfte die Distanz nur unwesentlich geringer sein. Mit dem Kajak hier über den Bodensee paddeln – das ist schon länger mein Ziel.
Meine Vorbereitungen für dieses Abenteuer vor der Haustüre sind minimal. Training? Kaum, der Frühling war nicht so einladend auf dem See. Ausrüstung? Ein älteres Seekajak und ein günstiges Doppelpaddel ganz ohne Carbon oder Fiberglas müssen ausreichen.

„Was, wenn mich die Blase drückt?“
Der erste gesetzte Termin passt – ein gutes Omen für das Vorhaben. Das Wetter könnte perfekter nicht sein: Schwacher ablandiger Wind, eine fast spiegelglatte Wasseroberfläche, Wolken, die vor stechender Sonne schützen und ein Tag unter der Woche, also wenig Schiffsverkehr auf dem Schwäbischen Meer. Ob diese Distanz zu schaffen ist, weiß ich nicht.
Bislang haben mich meine Kajak-Ausflüge ein paar Meter auf den See hinausgeführt, dann eine paar Hundert Meter parallel zum Ufer – hin und wieder her. Einmal ging es von Egnach bis nach Arbon ans Summerdays [Musikfestival im September, die Redaktion] und nach ein paar Stunden Pause wieder zurück. Als ambitionslose Genusspaddlerin nehme ich manchmal ein Buch mit und lese etwas auf dem See und genieße das leise Schaukeln auf den Wellen. Ab und zu ziehe ich mal etwas durch und merke dann, wie anstrengend Paddeln sein kann.
Nervös? Nein. Die einzige Sorge: Was, wenn mitten auf dem See die Blase drückt? Und die drei Männer auf dem PS-starken Begleitboot, die alle auf mich langsame Schnecke warten müssen – das setzt etwas unter Druck.

Mit gut 6 km/h Richtung deutsches Ufer
In einem wasserdichten Seesack ist etwas Proviant verstaut, genügend Flüssigkeit, das Handy.
Das Einsteigen und Aussteigen ist das Schwierigste beim Kajakfahren, sitzt man mal drin, kann nicht mehr viel schiefgehen.Christa Kamm-Sager
Die ersten Paddelschläge führen raus aus dem Egnacher Hafen, dem Wilerbach entlang, bald auf den See hinaus. Immer wieder ist das ein Erlebnis: Kaum auf dem Wasser, ist der Alltag fern, die Ruhe und Weite des Wassers, die Nähe zur Natur, den Wasservögeln umfängt einen und ja – oft durchströmen mich dann Glücksgefühle.
Heute ist aber auch ein bisschen Ehrgeiz mit im Boot. Schaffe ich das? Wie lange brauche ich für die knapp 14 Kilometer? Die Motivation liegt bei 100 Prozent. Die Vorfreude auch. Das Begleitboot startet etwas später. Die erste halbe Stunde bin ich also noch alleine und ziehe richtig durch ohne einen Blick zurückzuwerfen. Später erfahre ich vom Tachometer des Begleitboots, dass ich mich mit einem Tempo von gut 6 km/h fortbewege.
Nach den ersten 30 Minuten dann das erste Mal ein Blick zurück: Das Schweizer Ufer ist bereits ein gutes Stück entfernt – bei meiner Geschwindigkeit müssten es gut drei Kilometer sein. Das deutsche Ufer scheint aber noch keine Spur näher. Den Armen geht es gut, noch keine Ermüdungserscheinungen.
Zum ersten Mal überholt mich die Fähre, die etwa eine halbe Stunde später losgefahren ist. Es wird nicht die letzte gewesen sein.Christa Kamm-Sager
Nicht alleine auf dem weiten See
Die Männer auf dem Begleitboot haben das Kajak im Blick. Es ist gut, zu wissen, auf dieser weiten Fläche des Sees nicht alleine unterwegs zu sein und jederzeit umsteigen zu können. Ich denke einen Moment an Menschen, die alleine über den Atlantik segeln oder paddeln, statt zwei, drei Stunden sind sie 40 Tage unterwegs, tagelang ohne Land in Sicht. Wie mutig.
Mein Blick fixiert eine Hügelspitze hinter Eriskirch. Es ist gar nicht so einfach, den Kurs zu halten. Das merke ich vor allem nach einer ersten kurzen Pause nach der ersten Stunde. Schnell das Handy gezückt ein paar Fotos gemacht, bisschen die Arme lockern – und schon bin ich nach links abgetrieben und die Spitze meines Kajaks zeigt Richtung Friedrichshafen.
Der Bodensee ist eben doch nur ein breiter Fluss mit Strömung in Fließrichtung des Rheins. Mühsam muss ich den Kurs korrigieren und Eriskirch wieder anpeilen.Christa Kamm-Sager
Derweil lässt sich die Begleitcrew das erste Bier schmecken – oder wenigstens stelle ich mir das mit zunehmend schweren Armen so vor.

Das Boot treibt einige Hundert Meter weiter vorne mit abgestelltem Motor gemütlich auf dem See – und wartet. Eine weitere Pause ist nicht drin – schnell wäre das Kajak wieder ein paar Meter abgedriftet.
Ein Blick zurück zeigt, auch jetzt ist die Mitte des Sees wohl noch nicht ganz erreicht. Doch das deutsche Ufer will trotz allem scheinbar nicht näherkommen. Der Blick Richtung Schweizer Ufer zeigt auch, dass eine Überquerung in umgekehrter Richtung um einiges abwechslungsreicher gewesen wäre; der Säntis hätte sich als prima Fixpunkt am Horizont geeignet. Das deutsche Ufer ist dagegen etwas eintönig.

Die nächste Fähre zieht vorbei und langsam ist der kleine, gelbliche Strich am fernen Ufer als Kirchturm von Eriskirch zu erkennen. Bis auch das Geläut der Glocke zu hören ist, vergeht aber nochmals fast eine halbe Stunde.
Nach zweieinhalb Stunden: So muss sich Kolumbus gefühlt haben, oder?
Die Arme sind mittlerweile so schwer, dass es anstrengend wird, die Paddel mit voller Kraft durchs Wasser zu pflügen. Aber immer noch geht es stetig vorwärts und das Ziel ist jetzt deutlich zu erkennen. Bald schon ist etwas Seegras unter dem Kajak zu sehen und schließlich kann ich die Füße an Land setzen. Fast falle ich ins Wasser beim Aussteigen, etwas erschöpft bin ich nach diesen zweieinhalb Stunden durchaus.

Eine lange Pause mit Mittagessen ist leider nicht drin, die Einreisebestimmungen lassen es noch nicht zu. Aber der Bademeister des Strandbads Eriskirch heißt die Paddlerin aus der Schweiz trotzdem nett willkommen und sagt von sich aus, dass ich gerne die Toilette benutzen dürfe. Es scheint fast so, als ob er gewohnt ist paddelnde Seeüberquerer in Empfang zu nehmen. Dabei fühle ich mich doch fast so wie Kolumbus, als er Amerika entdeckte.