19 verletzte Polizisten, demolierte Streifenwagen und geplünderte Läden. Das ist die Horror-Bilanz der jüngsten Krawalle in der Stuttgarter Innenstadt. Die Polizei macht die „Partyszene“ für die Ausschreitungen verantwortlich. Also: junge Leute, die an öffentlichen Orten in Gruppen zusammenkommen, um den Abend zu genießen – eigentlich. Denn in der Nacht von Samstag auf Sonntag eskalierte die Situation so heftig, wie noch nie zuvor in der Landeshauptstadt. Feierwütige gibt es auch bei uns in der Region. Kann es hier zu ähnlichen Szenen kommen?

„Ausschließen kann das niemand“, sagt die Konstanzer Polizeisprecherin Tatjana Deggelmann. Sie kennt die hiesige Party-Szene gut: „Wir machen uns Gedanken. Wir bereiten uns auf sowas vor. Ich hoffe es nicht und es ist sehr unwahrscheinlich – aber keiner weiß, was nächstes Wochenende passiert.“

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Die Bilder, die das Polizeipräsidium Konstanz aus Stuttgart erreichen, bleiben außergewöhnlich, heftig, machen fassungslos. „Unter älteren Kollegen lassen sie Erinnerungen an die 80er-Jahre hochkommen, wo es Randale bei Atomprotesten oder sogar tote Polizisten am Flughafen Frankfurt gab. Aber auch viele jüngere Kollegen haben bei Fußballspielen mit gewaltbereiten Fans oder Konflikten zwischen Extremisten schon ihre leidvollen Erfahrungen gesammelt“ beschreibt Deggelmanns Kollege Uwe Vincon.

Zerstörte Scheiben eines McDonald‘s Restaurants sind mit Holzplatten abgedeckt. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei hatten ...
Zerstörte Scheiben eines McDonald‘s Restaurants sind mit Holzplatten abgedeckt. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei hatten dutzende Randalierer die Innenstadt verwüstet. | Bild: Marijan Murat, dpa

Obwohl nicht nur in Stuttgart, sondern auch in der Region der Respekt vor der Polizei seit Jahren schwindet. Bespucken, Beleidigungen, körperliche Angriffe gehören zum bitteren Alltag der Polizisten, die auf den Straßen für Sicherheit sorgen.

Polizeipräsidiums Freiburg glaubt nicht an Ausschreitungen vor der eigenen Haustür

Martin Lamprecht, Polizeisprecher aus Freiburg, macht seiner Frustration gegenüber dem SÜDKURIER Luft: „Was sich zugetragen hat, ist durch nichts zu rechtfertigen und ich wünsche mir, dass es bei der Einmaligkeit dieses verabscheuungswürdigen Ereignisses bleibt.“

Ein herausgerissener Abfalleimer auf der Stuttgarter Königstraße nach den schweren Ausschreitungen. Ist so etwas auch in den Städten am ...
Ein herausgerissener Abfalleimer auf der Stuttgarter Königstraße nach den schweren Ausschreitungen. Ist so etwas auch in den Städten am Bodensee oder im Schwarzwald möglich? | Bild: Silas Stein

Er glaubt nicht, dass es in seinem Revier zu ähnlichen Szenen kommen könnte, weil in seinem Präsidiumsgebiet „ganz andere Strukturen als in Stuttgart herrschen. Dies ergibt sich schon alleine aus Größe und Einzugsgebiet“, sagt er.

Polizeipräsidiums Ravensburg verzeichnet immer mehr Angriffe auf Polizisten

Im Gebiet des Polizeipräsidiums Ravensburg hat es „bislang keine Anzeichen oder gar ähnliche Vorfälle gegeben, die auf ein Stuttgarter Szenario schließen lassen“, sagt Polizeisprecher Markus Sauter. Auch er glaubt nicht, dass sich Szenen in seiner Region wiederholen könnten. Dennoch nehmen auch hier, wie im ganzen Land, Gewaltdelikte gegen Ordnungshüter zu. Seit 2017 sind sie in Sauters Gebiet von 247 auf 271 im Jahr 2018 und im vergangenen Jahr auf 304 Straftaten gestiegen.

Frustration in der Bevölkerung steigt. Polizei ist der Sündenbock

Warum eigentlich? Experten, wie Aggressionsforscher Christoph Paulus, nennen viele Gründe. Einer: Die Menschen sind frustrierter. Frust mündet in Aggression. Und die in körperliche Gewalt. Polizisten in Uniform würden häufig als Vertreter des Staates, als Sündenbock für die eigenen Probleme angesehen. Wenn dann zur falschen Zeit ein Polizist auftaucht und kontrolliert, kann die Situation schnell eskalieren.

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Gerade an Orten, an denen abends viele Menschen zusammenkommen. In Konstanz etwa der Herosé-Park oder der Stadtgarten. In Villingen die Färberstraße. Viele trinken Alkohol, manche nehmen Drogen. Und gerade dann ist die Gefahr besonders groß, dass Polizisten verbale und körperliche Gewalt erfahren.

Verantwortlich für die Zerstörungen in Stuttgart sind nach Polizeiangaben Randalierer aus der „Partyszene“. Auch im ...
Verantwortlich für die Zerstörungen in Stuttgart sind nach Polizeiangaben Randalierer aus der „Partyszene“. Auch im Konstanzer Herosé-Park ist immer wieder die Polizei im Einsatz, eine derartige Eskalation ist hier aber kaum vorstellbar und trotzdem nicht auszuschließen. | Bild: Scherrer, Aurelia

„Alkohol lässt die Hemmschwelle sinken. Da tut man Dinge, die man mit klarem Bewusstsein vielleicht nicht tun würde“, sagt die Konstanzer Polizeisprecherin Deggelmann und ergänzt: „Wir beobachten, dass man sich in der Gruppe solidarisiert, wenn es Probleme gibt. Andere mischen sich ein und fragen: ‚Warum wird der jetzt mitgenommen?‘“ Eine sprengstoffartige Situation.

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Gerade dann ist Ruhe und Gelassenheit gefragt. Statt auf Konfrontation setze man auf Deeskalation. Ob so auch die Polizei in Stuttgart am vergangenen Wochenende reagiert hat, als mehrere hundert junge Menschen 40 Geschäfte beschädigten? Abschließend bewerten lässt es sich erst, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind. Das kann noch Wochen, wahrscheinlich Monate, dauern.

Polizeibeamte patroulieren in Färberstrasse in Villingen-Schwenningen, wo sich eine Kneipe an die nächste reiht. Die Straße gilt als ...
Polizeibeamte patroulieren in Färberstrasse in Villingen-Schwenningen, wo sich eine Kneipe an die nächste reiht. Die Straße gilt als Partymeile der Doppelstadt. Wegen Ausschreitungen wurde sie 2007 erstmals während der Fastnacht videoüberwacht. Doch eine Zerstörungswelle wie in Stuttgart ist hier kaum denkbar. | Bild: Patrick Seeger, dpa

Fakt ist: 24 Personen wurden vorläufig festgenommen. Zwölf davon haben eine deutsche, zwölf eine andere Staatsangehörigkeit. Sieben Verdächtige sollen dem Haftrichter vorgeführt werden.

Auslöser war laut Polizei eine routinemäßige Drogenkontrolle eines 17-Jährigen, mit dem sich gleich mehrere Hundert Menschen solidarisierten. Genau so, wie es Deggelmann und Kollegen hundertfach auch in der Region erleben. Zum Glück blieben größere Ausschreitungen bisher aus. „Es gibt hier so viele, die einfach nur friedlich feiern wollen, den Abend zusammen genießen. Aber wie immer gibt es auch schwarze Schafe. Und dann muss man aufpassen“, sagt Deggelmann.