Nach dem aufregenden Donnerstag mit Giftalarm ist in Singen so etwas wie professionelle Ruhe eingekehrt. „Für uns war wichtig auszuschließen, dass es sich um einen Kampfstoff handelt“, heißt es am Freitag von einem Sprecher des Konstanzer Polizeipräsidiums.
Die Ermittlungen laufen. Dabei geht es auch um die Frage, ob die beiden Fälle zusammenhängen, erklärt der Sprecher: die mutmaßliche Reizgas-Attacke in einer Anwaltskanzlei und der gemeldete Gasgeruch in der Innenstadt.
Großer Aufwand für chemische Untersuchung
Die Feuerwehr konnte mit einem Großeinsatz eine Chemikalie nachweisen, die Bestandteil handelsüblichen Pfeffersprays ist, aber auch in Pflanzenschutz- oder Kühlmitteln vorkommt, so die Polizei. Wie genau der Stoff heißt, kann die Polizei auch auf Nachfrage nicht benennen.
Für die Aufklärung war einiger Aufwand betrieben worden: Ein sogenannter ABC-Erkundungswagen war aus Konstanz gekommen, um erste Messungen vorzunehmen. ABC steht dabei für atomare, biologische und chemische Kampfstoffe. „Jeder Landkreis in Baden-Württemberg hat wenigstens einen davon“, erklärt Kreisbrandmeister Andreas Egger gegenüber dem SÜDKURIER.
Dieser Messwagen verfüge über eine kleine Laboreinrichtung. Über Gasmessungen und Abstriche konnten die speziell ausgebildeten Feuerwehrleute auch eine Kontaminierung nachweisen.
Höchste Stufe für Spezialteam
Für eine genaue Bestimmung war aber der Einsatz der Analytischen Taskforce (ATF) nötig – die gibt es nicht so oft. Und Singen liegt genau in der Mitte der nächsten beiden Stützpunkte in Mannheim und München.
Egger sagt: „Diese Einsatzgruppe kann dreistufig eingesetzt werden. In der ersten Stufe bekommen wir eine telefonische Beratung. In der zweiten Stufe schicken die ein Kleinteam. Und die dritte Stufe ist so wie in Singen.“
Zwischenzeitlich wurde evakuiert
Das heißt: Großeinsatz, in diesem Fall mit 16 Feuerwehrfrauen und -männern aus Mannheim, so Egger. Auch für ihn überraschend – nur vier davon kamen von der Berufsfeuerwehr, der Rest dieses hochspezialisierten Teams waren Ehrenamtliche.
Die konnten dann mit feineren Messmethoden den Stoff bestätigen und für Entwarnung sorgen. Denn solange unklar war, um welche Chemikalie es sich handelte, stand zu befürchten, dass der Regen sie weiter verteilt. Wohl auch deshalb wurden größere Teile der Singener Innenstadt evakuiert.
In diesem Fall aber, so Egger, „hat der Regen sicher geholfen.“ Das Wasser habe den Stoff verdünnt und so dessen reizende Wirkung entschärft. Eine besondere Reinigung – oder „Aufnahme“ der Substanz, wie es im Fachjargon heißt -, sei somit nicht nötig gewesen. Das hätten sonst auch Spezialisten machen müssen.
Mehrere Verletzte im Gebäude
Die Singener waren am Donnerstag von der Warn-App Nina des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe aufgefordert worden, Fenster und Türen zu schließen sowie Klimaanlagen abzuschalten. Außerdem sollte die Innenstadt gemieden werden.
Vor Ort waren sogenannte Dekontaminationseinheiten und Behandlungsplätze eingerichtet worden, um Verletzte notfalls versorgen zu können. Unmittelbar betroffen waren zwei Menschen aus der Kanzlei und eine weitere Person aus dem Gebäude, so die Feuerwehr. Weitere hätten sich im Tagesverlauf gemeldet, Zusammenhänge mit dem Einsatz seien aber nicht in jedem Fall eindeutig gewesen.
Der ermittelte Stoff sorgt für Haut- und Schleimhautreizungen, die aber wieder abklingen. Der leitende Notarzt habe am Einsatzort gesagt, die Symptome seien auch behandelbar, sagte Kreisbrandmeister Egger im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Von einer weiteren Gefährdung wird derzeit nicht ausgegangen.
Zu den Tatverdächtigen heißt es am Freitagnachmittag von der Polizei: „Die beiden gestern Mittag und Abend vorläufig festgenommenen Männer im Alter von 21 und 36 Jahren sind nach Abschluss der erforderlichen Maßnahmen auf freien Fuß gesetzt worden. Auch hier dauern die Ermittlungen der Polizei an.“