Mit eingezogenem Kopf sitzt er da. Seine Hände spielen unter dem Tisch nervös mit einer weißen FFP2-Maske, die er eigentlich wie alle anderen im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Konstanz tragen müsste. Adrian P. scheint über vieles nachzudenken – vielleicht auch über das, was der 46-Jährige laut Konstanzer Staatsanwaltschaft getan haben soll.

Die Anklage wirft ihm vor, seine Ex-Freundin Geta E. wenige Wochen nach der Trennung im Streit vor ihrer Wohnung auf der Reichenau erstochen zu haben. Nach der Tat soll der Mann ihren Leichnam in sein Auto gepackt und während der Flucht bis nach Engen versucht haben, sich das Leben zu nehmen, was er per Livestream in ein sogenanntes soziales Netzwerk übertrug. Wer ist dieser Mensch, der zu so einer Tat fähig sein soll? Dazu gab es am ersten Verhandlungstag im Reichenauer Tötungsprozess seltene Einblicke.

Verteidiger Björn Bilidt zeigt seinem Mandanten Adrian P. kurz vor Prozessbeginn noch Unterlagen.
Verteidiger Björn Bilidt zeigt seinem Mandanten Adrian P. kurz vor Prozessbeginn noch Unterlagen. | Bild: Hanser, Oliver

Verurteilung und Scheidung

Zur Welt kommt Adrian P. 1975 in einem kleinen rumänischen Dorf. Er besucht acht Jahre die Pflichtschule und lernt Mechaniker, arbeitet dann aber ohne Ausbildung als Stuckateur, Maler und in einer Schuhfabrik. Er wird Vater von zwei Söhnen, heiratet wenige Jahre später und bekommt noch eine Tochter. Als sie fünf Jahre alt ist, gerät das Leben ihres Vaters an einen Wendepunkt.

Mit einem Arbeitskollegen in der Schubfabrik, über den er sich lustig gemacht hat, kommt es 2014 zu einem heftigen Streit, in dessen Verlauf Adrian P. von dem Mann geschlagen wurde. Er wehrt sich mit einem Taschenmesser, der Kollege stirbt kurz darauf im Krankenhaus. „Es war Notwehr“, erklärt der Angeklagte vor dem Konstanzer Landgericht. Das rumänische Gericht sah dies anders und verurteilte Adrian P. 2015 wegen Totschlags zu sechs Jahren Haft – im selben Jahr kommt es zur Scheidung von seiner Frau.

Neues Leben auf der Reichenau

Im Gefängnis habe er gearbeitet und keine Probleme verursacht. Vielleicht auch deshalb darf Adrian P. als Gefangener acht Mal seine Familie besuchen, bevor er im November 2017 nach drei Jahren und vier Monaten vorzeitig entlassen wird, ohne dass er einen Antrag gestellt hätte. Daraufhin will Adrian P. ein neues Leben beginnen und zieht zu seinem Bruder nach Konstanz, der ihm bei einem Gemüsebetrieb auf der Reichenau eine Arbeit als Erntehelfer besorgt.

Adrian „Adi“ P. veröffentlichte am 7. Juli 2021, genau eine Woche vor der mutmaßlichen Tötung seiner Ex-Lebensgefährtin Geta ...
Adrian „Adi“ P. veröffentlichte am 7. Juli 2021, genau eine Woche vor der mutmaßlichen Tötung seiner Ex-Lebensgefährtin Geta E., dieses Profilfotos von sich, das ihn beim Grillen auf der Reichenau zeigt. | Bild: Facebook/privat

Über das Internet lernt der 46-Jährige seine drei Jahre ältere Landsfrau Geta E. kennen, die zu diesem Zeitpunkt als Erntehelferin in Spanien arbeitet. Sie besucht ihn auf der Reichenau, 2020 übersiedelt sie mit ihrem damals 15-jährigen Sohn ganz auf die Insel und findet beim selben Gemüsebetrieb wie Adrian P. Arbeit als Erntehelferin.

Trennung als möglicher Auslöser

Weil dort nur männliche Erntehelfer untergebracht sind, findet die kleine Familie bei einem anderen Reichenauer Obst- und Gemüsebetrieb zwei Zimmer zur Miete. Laut Bekannten kommt es öfters zu Streitereien um Geld und den Sohn seiner Lebensgefährtin. Schon sechs vor der Bluttat soll Geta E. versucht haben, sich von Adrian P. zu trennen. Vier Wochen später ist die Beziehung endgültig zu Ende und der 46-Jährige muss aus dem gemeinsamen Quartier in seine alte Unterkunft ziehen, eine kleine Kellerwohnung, für die ihm monatlich 50 Euro vom Erntehelfer-Lohn abgezogen werden.

Doch bei der Arbeit trifft das frühere Liebespaar regelmäßig aufeinander. Dabei soll P. seine Ex bedroht und einmal sogar am Hals gepackt haben, wie Bekannte berichteten. Einen Tag vor der Bluttat droht ihr der Angeklagte laut Staatsanwaltschaft mit dem Tod. Am frühen Morgen des 14. Juli fährt der führerscheinlose Adrian P. mit seinem Wagen zum Quartier von Geta E., die gerade Frühstück zubereitet. Sie bemerkt laut Anklage, dass jemand draußen ist und schaut nach.

Leichnam in Teppich eingewickelt

Aus einem Wortwechsel mit Adrian P. wird eine heftige Auseinandersetzung, in dessen Verlauf er ein bei Erntehelfern auf der Reichenau massenhaft verbreitetes Allzweckmesser mit rotem Stil zieht und mehrmals seiner früheren Lebensgefährtin in den Hals- und in die Brust sticht, so der Vorwurf. Wie sich die Tat genau abgespielt hat und was der Anlass dafür war, dazu will sich Adrian P. vorerst noch nicht äußern. Geta E. wehrt sich jedenfalls gegen den Angriff, worauf Schnittverletzungen an ihrer Hand hinweisen.

Das Tötungsopfer Geta E.
Das Tötungsopfer Geta E. | Bild: Geta E.

Doch der Täter erwischt bei seinem Opfer eine Vene, was zu einem raschen Blutaustritt führt. Noch vor Ort dürfte Geta E. laut Staatsanwaltschaft Konstanz das Bewusstsein verloren und verstorben sein. Das hindert Adrian P. nicht, ihren Leichnam in einen Teppich einzuwickeln und in den Fußbereich am Rücksitz seines Wagens einzuladen.

Fahrt mit offener Luftröhre

Etwa gegen 4 Uhr früh will ein Nachbar ein wegfahrendes Auto gehört haben. Zurück bleibt eine große Blutlache. Während der Flucht mit dem Wagen dürfte bei dem 46-Jährigen der Entschluss gereift sein, seinem Leben öffentlichkeitswirksam ein Ende zu setzen. Mehrmals startet er während der Fahrt einen Facebook-Livestream. Eine dieser Videoaufnahmen wird vor Gericht gezeigt. Es zeigt den Angeklagten am Steuer seines Wagens, immer wieder richtet er sein Smartphone auf sich aus, scheint zu zögern und mit sich und der Welt zu hadern.

Etwa gegen 5.40 Uhr öffnet er sich vor laufender Kamera den Hals und die Luftröhre. Später kommt sein Wagen kurz bei der Autobahnauffahrt Engen zum Stehen. Ein Autofahrer meldet der Polizei den Pkw, Verkehrspolizei und eine Singener Streife treffen zeitgleich ein. Der Polizei ist das Reichenauer Geschehen zu diesem Zeitpunkt schon bekannt.

„Dachte, er ist auch tot“

„Mit gezogener Waffe sind wir in Richtung Fahrzeug gelaufen“, schildert ein Beamter der Verkehrspolizei Mühlhausen-Ehingen vor Gericht. Die Polizisten öffnen die Fahrertür, bemerken einen leblosen Frauenkörper im hinteren Fußraum und sprechen den lebensgefährlich verletzten Adrian P. an. „Im ersten Moment habe ich gedacht, dass er ebenfalls tot ist“, sagt der Verkehrspolizist. Auf dem Beifahrersitz liegt das blutverschmierte Allzweckmesser mit rotem Griff.

Wenig später trifft der Notarzt der Rettungswache Engen ein, die Autobahn ist in beide Fahrtrichtungen gesperrt. Adrian P. wird mit dem Rettungshubschrauber in die Klinik nach Villingen-Schwenningen geflogen. Beim Hinausgehen aus dem Gerichtssaal sagt der als Zeuge geladene Notarzt zum Angeklagten: „Es freut mich, dass es Ihnen gut geht.“ Kurz blitzt ein verhaltenes Lächeln über das Gesicht von Adrian P.

Urteil Ende Januar

Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt, voraussichtlich am 27. Januar könnte ein Urteil fallen. Dem Angeklagten drohen 15 Jahre Haft und eine anschließende Sicherheitsverwahrung. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.