Wer in diesen Tagen mit Verantwortlichen der Universität Konstanz spricht, fühlt sich in das Drehbuch für einen Katastrophenfilm versetzt. Die Mitarbeiter dort sind fassungslos, sie sind entsetzt oder am Boden zerstört. Dabei hat die Hochschule keinen prominenten Todesfall zu vermelden, sondern den Verlust eines mit Geld kaum aufzuwiegenden Titels: Sie gilt ab 2027 nicht mehr als Exzellenz-Universität (Elite-Universität). Diese Auszeichnung, die sie seit 2007 mit Stolz führt, konnte sie bisher immer wieder erfolgreich verteidigen und damit Hochschulen wie Tübingen und Freiburg abhängen.
Die Ursachen für den Abstieg sind komplex, wie das in akademischen Kreisen gerne umschrieben wird. Vereinfacht gesagt war die Universität am Bodensee nicht gut genug – wenigstens in den Augen der Kommission mit Sitz in Bonn, die vor einigen Tagen darüber entschieden hat. Mit ihrem Urteil ordnet sie die Ränge auf dem akademischen Olymp neu und verteilt überdies viel Geld. Um den Platz auf dem Elite-Podest zu halten, müssen mindestens zwei Cluster (Forschungsverbünde) anerkannt werden.
In Konstanz gelang das nur dem Cluster „Politics of Inequality“, in dem es um soziale Ungleichheit geht. Diese Gruppe konnte sich bei den Gutachtern durchsetzen. Nicht zum Zug kommen jene Forscher, die sich mit kollektiven Verhaltensformen beschäftigen, welche zum Beispiel Tiere entfalten, die in großen Gruppen unterwegs sind. Dabei hatte die Hochschule gerade darauf gesetzt.
Die Forscher beschäftigen sich dort zum Beispiel mit Tierschwärmen und der Frage, ob Menschen von tierischen Fluchtinstinkten lernen können, wenn es um aufziehende Gefahren geht. Der Cluster hatte sich einer breiter werdenden Öffentlichkeit bekannt gemacht, die sich für Massenverhalten interessiert. Der Roman „Der Schwarm“ von Frank Schätzing dürfte dieser Popularität Vorschub geleistet haben.
Ein brillanter Professor
Sprecher dieser umtriebigen Wissenschaftler ist Ian Couzin. Er leitet das eigens eingerichtete „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ (Zentrum für gehobene Studien des kollektiven Verhaltens). Auf den kultigen Schotten war die Universität besonders stolz, zählte er doch zu den brillanten Köpfen am Campus. Professor Couzin hat in der akademischen Welt einen sehr guten Ruf, er zählt zu den weltweit meistzitierten Koryphäen seines Fachs. Vor einigen Tagen erst wurde er in die Royal Society aufgenommen – wenig später fiel sein Cluster vom Himmel.

Umso größer war die Enttäuschung, dass ausgerechnet diese Forschungsgruppe (Ornithologen, Verhaltensforscher, Informatiker) leer ausgeht. Ikarus, der Hoffnungsträger, ist abgestürzt. Ein Insider vermutet, dass die entscheidende Kommission zu wenig Zukunft in diesem Cluster gesehen hat und ihm deshalb die Geldtöpfe der Exzellenz versagt wurden.
Dabei hat das Land bisher gewaltig investiert und den Schwarmforschern ein maßgeschneidertes Gebäude hingestellt. Im „Image Hangar“, einem fensterlosen Turmbau, kann mit Tieren oder Robotern experimentiert werden. Der Hangar und das internationale Personal gelten als Paradefall für Lehre und Forschung.
Die Sprache ist dort Englisch, es herrschte Aufbruchstimmung und durch Couzins humorige Art auch eine arbeitsförderliche Mischung aus Kollegialität und Konzentration. Der Hangar ist so angelegt, dass für Tierversuche genug Platz ist.
Die Politik förderte die Schwarmforscher
Die Landespolitik ließ es sich nicht nehmen, diesen Leuchtturm persönlich in Augenschein zu nehmen. Im Januar 2023 tauchte eine prominent bestückte Delegation aus Stuttgart auf, um das Zentrum der Verhaltensforscher zu besichtigen und das Gespräch mit Technikern und Wissenschaftlerinnen zu suchen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann ließ sich eine Gruppe kleiner Roboter sowie einen Schwarm Heuschrecken zeigen, deren Verhalten analysiert wurde. Er wurde von Petra Olschowski begleitet, die als Wissenschaftsministerin zugleich die oberste Dienstherrin der Universitätsmitarbeiter ist.
Die Visite war auf Optimismus gestimmt. Die Bewerbung für die Zuteilung der Exzellenzgelder lief damals bereits auf Hochtouren. Niemand hätte damals gedacht, dass der gesamte, auch bürokratische Aufwand nicht zum Erfolg führen würde.

Nun spricht sich die Universität selbst Mut zu. „Dieser Forschungsansatz ist einzigartig in Europa“, sagt Dirk Leuffen im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Der Prorektor für Forschung übt sich – bei aller Enttäuschung – in Zuversicht: „Wir bleiben eine exzellente Universität auch ohne Titel“.
Tatsache bleibt dennoch: Durch den verlorenen Wettbewerb geht nicht nur eine glänzende Visitenkarte verloren. Es geht auch um Geld und damit um Stellen und Karrieren, die nun woanders stattfinden werden. 18 Millionen Euro jährlich hätte der Bereich erhalten, wenn er den Zuschlag bekommen hätte.
Nun fehlt dieses Budget. Junge Talente werden abwandern, weil ihre Laufbahn nach dem Masterstudium beendet ist. Ian Couzin werde aber bleiben, da ist sich Prorektor Leuffen sicher: „Er weiß, was er an uns hat.“