Frau Kern, immer mehr Kinder können nicht schwimmen. Kindern das Schwimmen beibringen – eine Aufgabe der Eltern oder der Schule? Was meinen Sie?
Es ist wahr. Zu viele Kinder (circa die Hälfte der Kinder im Grundschulalter) lernen heute nicht mehr schwimmen. Als Eltern den Kindern Schwimmen beizubringen, ist gar nicht einfach. In meinen Augen liegt die Aufgabe der Eltern hauptsächlich in der Wassergewöhnung im Alter von null bis fünf Jahren. Sie sind die großen Vorbilder der Kinder. Der angstfreie Umgang mit dem Wasser ist Grundvoraussetzung, um Schwimmen zu lernen. Dazu gehört die Akzeptanz von Spritzwasser im Gesicht, das Tauchen, die Augen unter Wasser zu öffnen, das Hineinspringen ins Wasser vom Beckenrand, das heißt viel Spaß, viele Spiele und Blödsinn machen im Wasser. Da sind die Fantasie und die Aktivität der Eltern gefragt. Die Eltern sollten hierbei immer mit gutem Beispiel vorausgehen. Dies bedeutet, dem Kind zu zeigen, dass den Kopf unter Wasser zu halten und dabei die Augen weit zu öffnen, Spaß macht. Wünschenswert wäre es, wenn die Schulen im Bereich Schwimmunterricht mehr leisten könnten. Ich sehe allerdings die Problematik, dass in Deutschland der Zugang zu geeigneten Wasserflächen sehr unterschiedlich ist. Ich denke auch, dass die Sportlehrer mit der Aufgabe überfordert sind, um eine Klasse mit 25 Kindern, wenn davon etwa zehn bis 15 keine sicheren Schwimmer sind, ins Schwimmbad zu begleiten, bräuchte es mehr Lehr- und Aufsichtspersonal, als die Schule bieten kann.
Der tragische tödliche Unfall während eines Schwimmunterrichts einer Schule in Konstanz 2023 ist noch in Erinnerung. Denken Sie, dass dies Auswirkungen auf den Schulunterricht nach sich zieht? Was für Konsequenzen sollte das nach sich ziehen?
Dieses Unglück in Konstanz lehrt, dass die Gefahren des Wassers nie unterschätzt werden dürfen. Es bedarf sehr viel Erfahrung und eine sehr gute Lehrer-Ausbildung, um die Schwimmausbildung sicher und gut durchführen zu können. Die Lehrscheinausbildung der DLRG ist hierfür ein gutes Beispiel. Ein Weg, um den Anforderungen gerecht zu werden, könnte in der Kooperation von Schule und Wasserrettungsorganisationen liegen. Es wird hier an Konzepten gearbeitet, aber die zeitliche Umsetzung ist sehr schwierig.
In welchem Alter sollten Kinder schwimmen lernen?
Grundsätzlich ist niemand zu jung oder zu alt zum Schwimmenlernen. Wichtig ist lediglich, dass man es auch lernen möchte. Eine klare Altersempfehlung für das Schwimmenlernen gibt es nicht, dafür ist jeder Mensch zu verschieden. Einige Kinder sind geschickter als andere, manche haben Angst vor Wasser. Wir als DLRG geben zur Orientierung den Beginn der Schwimmausbildung mit fünf Jahren an. Davor können Kinder aber schon fleißig im Wasser mit Erwachsenen, die bereits gut schwimmen können, spielen und üben. Denn so bauen sie die Angst vor dem Wasser ab oder sie kommt gar nicht erst auf.
Welche Tipps können Sie Eltern geben, um ihren Kindern das Schwimmen beizubringen?
Mit gutem Beispiel vorangehen. Eltern sollten sich selbst sicher und angstfrei im Wasser fühlen. Nur so können Sie diese Sicherheit auch an die Kinder weitergeben. Und nicht zuletzt, wer sicheres Schwimmen beherrscht, genießt einen angenehmen und angstfreien Aufenthalt im Wasser. Der Aufenthalt im Wasser sorgt für Spaß und Bewegung und gleichzeitig fördert er die Ausdauer und Koordination.
Was halten Sie von den gängigen Schwimmhilfen, wie Schwimmflügel und Schwimmringe?
Schwimmflügel und Schwimmringe sind Auftriebshilfen und eine Baderegel besagt: Auftriebshilfen bieten dir keine Sicherheit. Sie sind dafür gedacht, Kinder über Wasser zu halten und werden vor dem Schwimmenlernen verwendet. Sie bieten kein natürliches Gefühl für Auftrieb im Wasser. Schwimmhilfen sind Schwimmgürtel, Schwimmbretter und Poolnudeln. Diese sollen beim Schwimmenlernen unterstützen. Dabei geben sie weniger Auftrieb, bieten aber mehr Bewegungsfreiheit. Das Kind muss sich damit aber selbst über Wasser halten, da die Hilfen die Schwimmbewegung nur unterstützen.
Ihre Schwimmkurse sind alljährlich ausgebucht. Die Nachfrage übersteigt bei Weitem das Angebot. Sehen Sie hier Lösungen? Können Sie Abhilfe schaffen?
Eine Kernaufgabe der DLRG ist die Ausbildung vom Nichtschwimmer zum Schwimmer. Wir setzten all unser Engagement darin, jedes Jahr wieder Nichtschwimmerkurse anzubieten. Allerdings sind wir ehrenamtlich tätig, das heißt, wir leisten diese Aufgabe in unserer Freizeit und der Bedarf übersteigt bei Weitem unsere Kapazität. Wir würden sehr gerne mehr Kindern unser Angebot unterbreiten. Abhilfe schaffen könnten wir nur, wenn wir mehr Personen finden könnten, die für unsere Aufgaben brennen und bereit sind, mitzumachen.
Wie sieht Ihr Konzept des Schwimmunterrichts aus?
Wir gestalten den Unterricht in Kleingruppen mit vier bis fünf Kindern, einem Ausbilder und einem Helfer. Wir starten mit der Wassergewöhnung, gehen über zur Wasserbewältigung und vermitteln die Bewegungsabläufe des Armzuges und des Beinschlages. Zur Wassergewöhnung gehört, viel Spaß vermitteln und Kontinuität mit folgenden Themen: den Wasserwiderstand kennenzulernen, Wasser im Gesicht tolerieren, Augen unter Wasser öffnen, Kopf unter Wasser tauchen, unter Wasser ausatmen über Wasser einatmen, sicher ins Becken kommen, auftauchen, abtauchen, bewusstes Erleben/Spielen mit dem Auftrieb, selbstständig aus dem Becken klettern und das angemessene Verhalten in der Umgebung von Wasser. Zur Wasserbewältigung gehören die sechs Grundelemente Auftrieb, Atmung, Gleiten, Rotation, Springen und Tauchen. Begleitend werden die Bewegungsabläufe des Schwimmens vermittelt.
Sind die hiesigen Freibäder sicher? Immerhin tummeln sich an heißen Tagen Hunderte von Badegästen im Wasser, wie behält man vom Beckenrand den Überblick?
Die Sicherheit in unseren Freibädern wird sehr großgeschrieben. Die Badeaufsicht wird von Schwimmmeistern, Fachangestellten für Bäderbetriebe oder Rettungsschwimmern geleistet. Dennoch passieren Unfälle. Jeder Badegast sollte die Baderegeln zu seiner eigenen Sicherheit kennen und beherzigen. Das Bewusstsein über die Gefahren im und am Wasser sollte in der Bevölkerung mehr Raum finden.
Aber auch der heimische Gartenteich oder die Planschbecken im Garten haben ihre Tücken, oder?
Kinder unter drei Jahren können sich beim Hinfallen ins Wasser oftmals noch nicht selbst wieder aufrichten. Sie können in knietiefem Wasser oder sogar in Pfützen ertrinken.
Wo sehen sie die größten Risiken? Was sind die größten Fehler, die man beim Baden machen kann?
Badeunfälle passieren meist, wenn das eigene Leistungsvermögen überschätzt wird, durch Sprünge in zu flaches Wasser oder anderes riskantes Verhalten, insbesondere unter Alkoholeinfluss.
Wie verhalte ich mich, wenn ich im Wasser in Not gerate?
Ruhe bewahren, Kräfte sammeln, in Rückenlage auf dem Wasser gleiten, Wasser schnellstmöglich verlassen.
Was ist zu tun, wenn man einen Schwimmer, eine Schwimmerin in Nöten bemerkt? Hinterherspringen oder zuerst Hilfe holen?
Erst nachdem du dich in Sicherheit gebracht hast, leistest du Erste Hilfe. Ein richtiges Handeln des Rettenden erfolgt dabei stets nach dem Prinzip: Die eigene Sicherheit geht vor.