Hermann Hesse hat einst gesagt: „Wenn man etwas für recht hält, muss man es auch tun.“ Was jedoch Recht ist und wer Recht hat, das ist eine komplexe Frage, die sich auch der Petitionsausschuss des Landtages Baden-Württemberg nach seinem Besuch in Gaienhofen stellen muss. Der Petitionsausschuss ist eine Instanz, an die sich Bürgerinnen und Bürger wenden können, wenn sie mit einer behördlichen Entscheidung nicht einverstanden sind. In diesem Fall sind es Bernd und Eva Eberwein, die Besitzer des Mia und Hermann Hesse-Hauses, die sich gegen die Entscheidung des Landratsamtes Konstanz, auf dem Nachbargrundstück den Bau eines Wohnhauses zu genehmigen, zur Wehr setzen.

Volles Haus in den doch kleinen Räumen des Hesse-Hauses. Zahlreiche Interessierte und Verfahrensbeteiligte drängen sich in den Salon, um ...
Volles Haus in den doch kleinen Räumen des Hesse-Hauses. Zahlreiche Interessierte und Verfahrensbeteiligte drängen sich in den Salon, um der Präsentation beizuwohnen. | Bild: Schneider, Anna-Maria

In diesem Konflikt steht das Ehepaar Eberwein nicht allein da. Viele Unterstützer waren zur öffentlichen Anhörung des Petitionsausschusses erst im Hesse-Haus, anschließend im Bürgerhaus Gaienhofen gekommen. Wo der Literatur-Nobelpreisträger Anfang des 20. Jahrhunderts die Ruhe der Höri genoss, drängten sich mehr als 100 Jahre später mehr als 40 Personen durch die Räume.

Die beiden Vertreter des Petitionsausschusses, die Grünen-Landtagsabgeordnete Saskia Frank und der SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Kenner, waren gekommen, um alle Argumente und Aspekte des Konfliktes noch einmal anzuhören und um sich vor Ort ein Bild zu machen.

Die Grünen-Landtagsabgeordnete Saskia Frank (links) und der Landtagsabgeordnete von der SPD, Andreas Kenner, sind als Vorsitzende des ...
Die Grünen-Landtagsabgeordnete Saskia Frank (links) und der Landtagsabgeordnete von der SPD, Andreas Kenner, sind als Vorsitzende des Petitionsausschusses nach Gaienhofen gekommen. | Bild: Schneider, Anna-Maria

Zahlreiche Vertreter sämtlicher beteiligter Behörden

Gekommen waren auch Thomas Buser, Leiter des Amts für Baurecht und Umwelt beim Landratsamt Konstanz, Edmund Ortwein vom Referat Denkmalpflege, Weltkulturerbe und Bauberufsrecht beim Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen, Janina Peters vom Referat für Raumordnung, Baurecht und Denkmalpflege beim Regierungspräsidium Freiburg, der Gaienhofener Bürgermeister Jürgen Maas sowie die beiden Investoren des Neubauprojektes Hartmut und Edgar Huber.

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Die Positionen des Konfliktes sind klar: Die Eberweins fürchten durch den Neubau eines Elf-Parteien-Hauses einen massiven Einschnitt in den Außenbereich des Kulturdenkmals Hesse-Haus sowie Beschädigungen am ebenfalls historisch wertvollen Garten des Hauses. Das Landratsamt, Regierungspräsidium Freiburg und auch der Gaienhofener Gemeinderat sehen die Zustimmung zur Baugenehmigung des Investors als juristisch notwendig an. Kurz: Die Brüder Huber hätten ihre Planung im geltenden Bebauungsplan gemacht und nun einen Rechtsanspruch auf die Genehmigung. Diese dürfe ihnen nicht verwehrt werden.

Landvilla stand einst alleine am Ortsrand

In der Villa in Gaienhofen wohnte der Dichter bis 1912. Das Gebäude stand lange Zeit alleine am Hang auf einem großzügigen Grundstück in der Idylle der Höri, hat aber seit dem Fortzug des Ehepaares Hesse einige Besitzerwechsel erlebt. Ein Teil des Gartens wurde veräußert und mit vier Doppelhaushälften bebaut. Erst nach den Neubauten in der Nachbarschaft wurde das Haus unter Denkmalschutz gestellt.

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Die Eberweins erwarben es 2003, sanierten es liebevoll – auch den Garten, der Hermann Hesse sehr am Herzen lag – und ließen das ehemalige Wohnhaus des Dichters nach Paragraf 12 als Kulturdenkmal besonderer Bedeutung eintragen.

Jährlich kämen 5000 bis 7000 Besucher ins Hesse-Haus, berichtete Eva Eberwein über die touristische Bedeutung des Gebäudes. Mit Lesungen und Führungen durch das Haus und Garten würden sie engagierte ehrenamtliche Kulturarbeit leisten. „Dieses Ensemble ist einzigartig, kein anderes ehemaliges Wohnhaus von Hesse steht so noch der Öffentlichkeit zur Verfügung“, sagte sie.

Es geht um diesen Ausblick: Hier soll der Neubau aus dem Treppenhaus des Hesse-Hauses zu sehen sein. Diesen Eingriff in die Umgebung ...
Es geht um diesen Ausblick: Hier soll der Neubau aus dem Treppenhaus des Hesse-Hauses zu sehen sein. Diesen Eingriff in die Umgebung kritisieren die Besitzer des Hauses. | Bild: Schneider, Anna-Maria

Kritiker stören sich an der Größe des Neubaus

Und dies alles solle nun „nachhaltig verschandelt“ werden durch einen benachbarten Neubau. Unterstützung bekommen die heutigen Besitzer von Historikerin Anne Overlack und Stadtplanerin Bettina Nocke von der Arbeitsgemeinschaft Bauen und Bewahren auf der Höri. Sie kritisierten die Ausmaße des geplanten Neubaus sowie Veränderungen an der Topographie, die nicht zulässig seien.

Das Baurecht sei „großzügig und nachlässig“ ausgelegt worden, warf Overlack den beteiligten Behörden vor. Überhaupt sei auf der Höri ein Zweitwohnungsparadies entstanden. Stadtplanerin Bettina Nocke führte aus, dass die geplanten Maße des Gebäudes aus ihrer Sicht wegen der nicht rechtmäßigen Nivellierung der Baufläche zu groß seien. Sie würden das erlaubte Maß in der Firsthöhe um 3,57 Meter übersteigen. „Das ist ein ganzes Stockwerk“, so Nocke.

Eva Eberwein, Besitzerin des Hesse-Hauses, zeigt anhand einer Darstellung, wie sich der Ausblick aus dem denkmalgeschützten Gebäude ...
Eva Eberwein, Besitzerin des Hesse-Hauses, zeigt anhand einer Darstellung, wie sich der Ausblick aus dem denkmalgeschützten Gebäude durch den Neubau verändern könnte. | Bild: Schneider, Anna-Maria

Thomas Buser, Leiter des Amts für Baurecht und Umwelt beim Landratsamt, sprach den Eberweins seine Wertschätzung für ihren Einsatz für den Erhalt des Kulturdenkmals und für ihre kulturelle Arbeit aus, aber er blieb dabei, dass die Erteilung der Baugenehmigung rechtmäßig sei. Dass der Bauherr das vorgegebene Baufenster voll ausgenutzt habe, sei zulässig. Er wehrte sich auch gegen den Vorwurf, man habe die Genehmigung leichtfertig im Sinne des Investors erteilt. „Diese Entscheidung ist nicht vom Schreibtisch aus getroffen worden“, so Buser.

Die Umgebung der Villa des Paares Hesse Anfang des 20. Jahrhunderts, da gab es keinerlei Bebauung in der Nähe.
Die Umgebung der Villa des Paares Hesse Anfang des 20. Jahrhunderts, da gab es keinerlei Bebauung in der Nähe. | Bild: Schneider, Anna-Maria

Mitarbeiter des Landratsamtes seien öfter vor Ort gewesen, der Bauherr habe mehrere zusätzliche Gutachten in Auftrag geben müssen, das Landesamt für Denkmalpflege habe speziell die Sichtbeziehungen zum Neubau geprüft. Also inwieweit die Umgebung des Hesse-Hauses durch den Neubau beeinträchtigt werde. Hier sei die Einschätzung aber so, dass die vier Doppelhaushälften, die bereits in der unmittelbaren Nachbarschaft stehen, die Umgebung bereits verändert hätten. Es gelte eben nicht der Zustand von 1907, als das Haus errichtet wurde.

Landratsamt räumt Versäumnisse ein

Buser räumte allerdings auch ein, dass das Landesamt für Denkmalpflege nicht rechtzeitig einbezogen war. Dies sei ein Versäumnis gewesen, das man nachgeholt habe. Edmund Ortwein vom Ministerium fand diesen Fehler verzeihlich, denn im nachträglichen Verfahren habe man einige Verbesserungen in der Planung machen können, die den Garten besser schützen sollen. „Der Neubau beeinträchtigt das Denkmal Hesse-Haus. Diese Beeinträchtigung ist aber nicht erheblich“, fasste er zusammen.

Der Petitionsausschuss des Landes Baden-Württemberg hat nun die schwierige Aufgabe, in diesem Fall nun ein gerechtes Urteil zu fällen. Die Investoren Huber haben mit den Arbeiten längst begonnen, das benachbarte Häuschen ist abgerissen und die Baustelle eingerichtet. SPD-Landtagsabgeordneter Andreas Kenner lobte den sachlichen Austausch zwischen den Parteien, obwohl dies ein emotionales Thema sei. Die nächste Sitzung des Ausschusses findet nicht öffentlich statt. Ein Ergebnis ist am 26. Juni zu erwarten.