Wenn die Polizei zu einem Einsatz gerufen wird, muss es meist schnell gehen: Mit Blaulicht und Martinshorn rasen Streifenwagen zu Tat- und Unfallorten oder nehmen die Verfolgung von flüchtigen Lenkern auf. Dabei entstehen für die Beamten und Verkehrsteilnehmer jedoch regelmäßig auch lebensgefährliche Situationen und schwere Verkehrsunfälle mit Verletzten und Totalschäden.

So weit kam es auch am 20. November 2024. Zur Mittagszeit wird die Konstanzer Polizei zu einem Brandalarm gerufen. Zwei 25 und 26 Jahre alte Streifenpolizisten schalten das Blaulicht und das Martinshorn an und fahren mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Konstanzer Innenstadt. An der Kreuzung Sternenplatz überqueren sie eine rote Ampel.

Drei Verletzte und 37.000 Euro Schaden

Zeitgleich biegt ein von der Alten Rheinbrücke kommender 63-jähriger Mann mit seinem Mercedes in die Spanierstraße ein – die beiden Fahrzeuge kollidieren. „Durch die Wucht des Zusammenstoßes erlitten sowohl der 63-Jährige, als auch die beiden 25 und 26 Jahre alten Polizisten Verletzungen“, teilte das Polizeipräsidium Konstanz damals mit. Rettungskräfte mussten die drei Verletzten zur weiteren Versorgung ins Krankenhaus bringen. Beide Fahrzeuge erlitten Totalschäden in Höhe von rund 37.000 Euro.

Auch der Mercedes ist nach dem Zusammenprall mit dem Streifenwagen ein Fall für den Schrottplatz.
Auch der Mercedes ist nach dem Zusammenprall mit dem Streifenwagen ein Fall für den Schrottplatz. | Bild: Hanser, Oliver

„Besorgniserregende Zunahme“ an schweren Verkehrsunfällen

Dass es sich bei dem Unfall um keinen Einzelfall handelt, belegt eine Recherche des SÜDKURIER. Innerhalb der Konstanzer Polizei ist von einer „besorgniserregenden Zunahme“ an schweren Verkehrsunfällen die Rede. Oft sei es nur dem Zufall geschuldet, ob die Folgen für die Unfallbeteiligten mehr oder minder schwer ausfallen würden.

Gemäß Zahlen des Polizeipräsidiums Konstanz kam es 2024 in dessen Zuständigkeitsbereich mit den Landkreisen Konstanz, Schwarzwald-Baar, Tuttlingen und Rottweil zu 15 schweren Verkehrsunfällen mit Polizeifahrzeugen. Das entspricht einer Zunahme von rund 66 Prozent im Vergleich zu den Jahren 2023 und 2022, als sich jeweils neun schwere Verkehrsunfälle ereigneten. Als schwer wird ein Verkehrsunfall bezeichnet, wenn der Sachschaden zumindest 10.000 Euro beträgt oder mindestens eine Person leicht verletzt wird.

„Einsatzfahrten bedeuten für die Kollegenschaft Stress und Anspannung. Einerseits soll und will man möglichst schnell am Einsatzort sein, andererseits soll niemand gefährdet werden oder gar zu Schaden kommen“, sagt der interimistische Polizeipräsident Uwe Stürmer.

„Wehret den Anfängen“

Die starke Steigerung blieb in seinem Haus nicht ohne Folgen. „Nachdem innerhalb weniger Monate die Unfälle mit Beteiligung der Polizei zunahmen, bei denen größere Sachschäden bis hin zu Totalschäden die Folge waren oder Unfallbeteiligte verletzt wurden“, erklärt Stürmer, „hat die Direktionsleitung der Schutzpolizei im Polizeipräsidium Konstanz mit Jahreswechsel 2024/2025 eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um schwere Verkehrsunfälle mit Dienstfahrzeugen zu reduzieren.“

Dies sei aus Gründen der Vorsicht und der Personalfürsorge nach dem Prinzip „Wehret den Anfängen“ erfolgt. Einen kontinuierlichen Anstieg sieht das Polizeipräsidium Konstanz nicht.

Schwere Verkehrsunfälle bei Einsatz-, Streifen- und Ermittlungsfahrten

14 Menschen wurden im Vorjahr bei Verkehrsunfällen mit Polizeifahrzeugen verletzt, davon neun Polizeibeamte und fünf Unfallbeteiligte. Zum Vergleich: 2023 gab sechs Verletzte, im Jahr zuvor lediglich vier.

Vier der 15 schweren Unfälle im Vorjahr wurden durch die Polizei verursacht und zehn durch Unfallbeteiligte. In einem Fall war ein kreuzendes Wildtier Schuld.

Auffälligkeiten entdeckte die zwölfköpfige Arbeitsgruppe der Konstanzer Polizei bei der Untersuchung der schweren Verkehrsunfälle nicht – weder beim Alter der Beamten, die die Dienstfahrzeuge lenkten, noch bei der zeitlichen Verteilung, etwa was die Wochentage oder die Lichtverhältnisse angeht.

Mehr als die Hälfte der schweren Verkehrsunfälle ereigneten sich jedoch bei Einsatzfahrten mit Sondersignal und genau ein Drittel bei Streifen- und Ermittlungsfahrten. Zudem kam es, wie erwähnt, zu einem Wildunfall.

Unfallursachen von Unachtsamkeit bis zu hoher Geschwindigkeit

Seit dem Jahr 2020 verzeichnete das Polizeipräsidium Konstanz rund 650 Verkehrsunfälle mit Beteiligung von Polizeibeamten. Davon waren 57 schwere Unfälle und mehr als 500 durch Beamte verursacht oder mitverursacht. Hier dominieren jedoch die Kleinst- und Bagatellunfälle, etwa eine hohe Anzahl von Sachschäden beim Ein- oder Ausparken. „Bei den mitverursachten Unfällen ist der Unfallhergang meist unklar, weshalb alle Beteiligten verwarnt bzw. angezeigt wurden, also auch der Polizeibeamte als Fahrer des Dienstfahrzeuges“, sagt der Polizeipräsident.

Die häufigsten Auslöser bei den von der Polizei verursachten Unfällen war Rückwärtsfahren beim Ein- oder Ausparken, Unachtsamkeit beim Vorbeifahren an geparkten Fahrzeugen, zu hohe Geschwindigkeit und mit deutlichem Abstand dahinter das Überholen eines anderen Fahrzeugs.

Mindestens 772.000 Euro Schaden

Der Gesamtschaden seit dem Jahr 2020 durch von Konstanzer Polizeibeamten verursachte Verkehrsunfälle beträgt mindestens 772.000 Euro. Die Schäden an den Einsatzfahrzeugen sind hier eingerechnet. „Da einige Schadensfälle – insbesondere aus den Jahren 2023 bis Juni 2025 – noch nicht abgerechnet wurden, kann die tatsächliche Schadenshöhe für diesen Zeitraum nicht exakter beziffert werden“, erklärt Stürmer.

Als Reaktion auf die Zunahme bei den schweren Verkehrsunfällen hat die Konstanzer Polizei mit Jahresbeginn die interne Kampagne „Ankommen statt Umkommen“ gestartet. Plakate in allen Dienststellen in den zuständigen vier Landkreisen sollen alle Polizeibeamte sensibilisieren und vor Selbstüberschätzung bei Einsatzfahrten warnen. Zudem müssen die Polizistinnen und Polizisten eine Lernanwendung am Computer absolvieren und das Thema wird auch bei Führungsbesprechungen regelmäßig aufgegriffen.

Konstanzer Polizei legt mehr als 400.000 Kilometer pro Monat zurück

Die Kampagne richte sich aufgrund „der Fürsorgepflicht ganz besonders an alle Führungskräfte des Konstanzer Polizeipräsidiums und auch an die Beifahrer im Funkstreifenwagen, die den Fahrzeuglenkern bei ihrer oft nicht einfachen Aufgabe im Zuge von Einsatz- und Verfolgungsfahrten noch mehr als bisher assistieren sollen“, sagt der oberste Konstanzer Polizist Uwe Stürmer.

Uwe Stürmer ist seit 2020 Ravensburger Polizeipräsident und führt seit 2025 interimistisch auch das Polizeipräsidium Konstanz.
Uwe Stürmer ist seit 2020 Ravensburger Polizeipräsident und führt seit 2025 interimistisch auch das Polizeipräsidium Konstanz. | Bild: Blust, Julia

Er betont, dass es sich bei der internen Kampagne um eine „reine Vorsichtsmaßnahme“ handle. Denn die Entwicklung der Unfallzahlen sei bei einer Jahresfahrleistung von 4,86 Millionen Kilometer durch die Flotte des Konstanzer Polizeipräsidiums „nicht auffällig“.

Bußgeld- oder Strafverfahren auch gegen Polizisten

Und welche Konsequenzen gibt es für Polizisten, wenn sie Verkehrsunfälle verursachen? Laut dem Konstanzer Polizeipräsidenten hat sich ein Polizeibeamter genauso einem Bußgeld- oder Strafverfahren zu stellen wie jeder andere Verkehrsteilnehmer auch. Sämtliche Unfallanzeigen, denen eine Straftat zugrunde liegt, beispielsweise fahrlässige Körperverletzung eines Unfallbeteiligten, werden laut Stürmer der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vorgelegt.

„Darüber hinaus drohen Polizisten nach Beamtenrecht dienstrechtliche Maßnahmen und die Prüfung der Inregreßnahme bei wenigstens grob fahrlässiger Begehung“, sagt Uwe Stürmer. Zudem kann ein Vorgesetzter die Teilnahme an einem zusätzlichen Fahrsicherheitstraining anordnen.

Verletzte stellten keinen Strafantrag

Beim eingangs geschilderten Verkehrsunfall am Sternenplatz hat die Staatsanwaltschaft Konstanz den möglichen Tatvorwurf fahrlässige Körperverletzung geprüft. Diese wird jedoch nur dann verfolgt, wenn ein Verletzter einen Strafantrag stellt oder ein Staatsanwalt ein Einschreiten aufgrund des öffentlichen Interesses, etwa bei einem besonders rücksichtslosen Verhalten, für geboten hält.

„Hier stellte sich das Geschehen aus unserer Sicht in erster Linie als eine Verkettung unglücklicher Umstände dar“, erklärt Johannes-Georg Roth, Leiter der Konstanzer Staatsanwaltschaft. Da zudem keiner der Verletzten einen Strafantrag stellte, wurde das Verfahren eingestellt.