Anfang Juni wird Jennifer K. in Bonndorf-Ebnet vor ihrem Haus erstochen. Im Februar erschießt ein Mann Sebastiana F. vor dem Megamix in Markdorf. Ende 2022 verstirbt Valeriya N., die zuvor aus Singen geflohen war, an ihren Schusswunden auf einem Gehweg in Schleswig-Holstein. Sabrina P. aus Stockach wurde erwürgt. Gemeinsam ist diesen Fällen: Die Täter waren (Ex-)Partner.
Uwe Stürmer, Polizeipräsident von Ravensburg, leitet ein bundesweites Forschungsprojekt zu Partnerschaftsmorden (Intimiziden). Wir sprachen mit ihm über Muster und Frühwarnsignale.
Im Fall Bonndorf-Ebnet hatte das Opfer gegen den Expartner vor Gericht ein Annäherungsverbot erwirkt, er durfte sich ihr nicht nähern. Ihn schreckte das Verbot offenbar nicht ab. Wie bewerten Sie allgemein die Wirksamkeit des Annäherungsverbots?
Das Annäherungsverbot stammt aus dem Gewaltschutzgesetz, das bald 20 Jahre alt wird. Wir machen sehr unterschiedliche Erfahrungen damit. Unabhängig von dem genannten Fall, in dem die Kollegen aus Freiburg noch ermitteln: Am Ende ist es nur beschriftetes Papier. Und nur so gut, wie es kontrolliert und umgesetzt wird.
In erster Linie hat es Signalwirkung auf die zum ganz großen Teil männlichen Täter. Viele halten sich daran, aber nicht alle. Sehr wichtig ist, dass das Opfer und das soziale Umfeld – eingeweihte Nachbarn oder Arbeitskollegen – die Polizei verständigen. Die muss so schnell eintreffen, dass sie den Täter vor Ort erwischt, ihm eine Strafanzeige stellt und klar machen kann: Beim nächsten Mal droht die Haft. Das A und O des Annäherungsverbots ist: Es muss durchgesetzt werden.
Was halten Sie von einer digitalen Überwachung des Verbots, wie es in Spanien seit 2003 praktiziert wird?
Das sehe ich als sinnvolle Ergänzung. Es gibt einige Lücken, die wir zeitnah schließen müssen. Wenn alle Stricke reißen und nichts den potenziellen Täter abhält, muss die Frau untertauchen. Eigentlich absurd, dass das Opfer alles aufgeben muss und unter den Konsequenzen leidet. Wenn es rechtlich einfacher wäre, potenzielle Täter kurzzeitig in Gewahrsam zu nehmen, könnte das helfen.
Drei Frauen starben in der Region, jedes Mal handelte es sich bei den mutmaßlichen Tätern um Ex-Partner. Gibt es typische Muster solchen Taten?
Ja, das wissen wir nun aus der Forschung. Die Trennung ist für Gewalttäter überproportional häufig der Anlass, zu töten. Der Täter akzeptiert nicht, dass Schluss ist. Er versucht einiges, um die Beziehung fortzusetzen. Bis ihm klar wird, dass er nichts mehr tun kann. Wenn der Möbelwagen vorfährt oder es eine Sorgerechtsentscheidung gibt.
Dann drängt er auf eine letzte Aussprache. Nicht selten mit Waffe in der Tasche. Es ist doch bemerkenswert, dass man zu einer letzten Aussprache ein Messer oder eine Pistole einsteckt, wo man eher Blumen oder Geschenke erwarten würde.
Häufig hört man nach solchen Fällen aus dem Umfeld Sätze wie: „Der ist ausgerastet, weil er so sehr geliebt hat, wusste nicht, was er tut.“ Oder, die ganze andere Richtung: „Er hat häufiger mit Gewalt gedroht.“
Ja, das ist bemerkenswert. Es kursieren enorm viele Fehlvorstellungen. Sätze wie „Der Arme war überlastet“ – das ist eine halbe Rechtfertigung. Nein, das ist ein absoluter Irrglaube, dass diese Taten, dass Femizide Spontantaten sind, bei denen dem Mann die Sicherung durchbrennt. Meistens sind die Taten eiskalt geplant.
Wenn wir uns die Obduktionsergebnisse ansehen, wird das auch klar: Teils haben die Opfer nicht zwei Stichwunden, sondern zehn, fünfzehn. Wen man liebt, tötet man nicht. Das hat mit Macht zu tun, mit Kontrolle, mit Besitz. Nicht mit Liebe.
Welche Fehlvorstellungen gibt es noch?
Ich denke an Mythen über häusliche Gewalt wie: „Ihm ist die Hand ausgerutscht.“ Diese Erklärung ist darauf ausgerichtet, das Opfer zu belasten. Oder: „Wenn das Opfer sich nicht so verhalten hätte, wäre das nicht passiert.“ Das ist eine Schuldverschiebung von Täter zu Opfer. Nicht selten auch im sozialen Umfeld.
Wenn es zum eskalativen Verlauf gekommen ist, sind alle schockiert. Führen wir jedoch die verschiedenen Erkenntnisse aus vielen hundert Intimiziden zusammen, war Freunden, Verwandten oder Bekannten häufig vorher klar, dass Opfer und Täter keine gesunde Beziehung führten.
Sie sagten, Besitzdenken spielt eine große Rolle. Können Sie das näher beschreiben?
Ja. Wir nennen das gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen: Das ist ein Set von Einstellungen, die zu einem Machtgefälle in Beziehungen zwischen Mann und Frau führen. Der Mann will kontrollieren, Gleichberechtigung ist nicht gegeben, wenn der Mann die Frau dominiert und mit Drohungen und psychischer Gewalt unterordnet. Wenn er bestimmt, wo es lang geht.
Eine umstrittene Umfrage kam jüngst zu dem Ergebnis, dass jeder dritte junge Mann Gewalt gegen Frauen „okay“ fände und jeder zweite in der Beziehung sagen wolle, wo es lang geht. Sind das bereits solche Tendenzen?
Ja. Unabhängig von der Umfrage kann ich sagen, dass sie häufiger vorkommen, als die meisten annehmen. Wenn wir von 143.000 Fälle von häuslicher Gewalt in Deutschland ausgehen, ist das eigentlich falsch. Das ist nur das Hellfeld. Das Dunkelfeld ist viel, viel höher. Wir wissen aus Studien, dass im Schnitt jede dritte Frau schon einmal von Gewalt betroffen war.
Hat das aus Ihrer Sicht zugenommen?
Nein, es ist weitgehend konstant. Auffällig ist, dass die Tötungsdelikte im vergangenen Jahrzehnt insgesamt weniger geworden sind – während die Anzahl an Frauen und einigen Männern, die durch die Hand von (Ex-)Partnern getötet wurden, gleich blieb.
Ist die Drohung mit Suizid seitens des Täters ebenfalls ein Muster dieser Taten?
Das gibt es auch. Die Aussage „Sonst bringe ich mich um“ soll das Opfer durch psychischen Druck zur Fortsetzung der Beziehung bewegen. Überproportional sind die Täter Menschen, die nicht gut in die Gesellschaft integriert sind. Arbeitslos oder sogar mit Suchtproblematik. Daraus kann eine obsessive Fokussierung auf die Partnerin entstehen. So, dass eine mögliche Trennung als selbstwertbelastender Einfluss erlebt wird. Ein Teil der Täter hat auch narzisstische Züge. „Wenn sie mich verlässt, soll sie auch kein anderer haben“ – teilweise töten diese Menschen, damit kein anderer die Partnerin bekommt.
In den sozialen Medien wird immer wieder die Vermutung geäußert, es handele sich um Migranten – und Polizei und Medien würden dies verheimlichen.
Das höre ich auch ständig. Und: Nein, es stimmt so nicht. Diese Taten finden in allen Milieus statt. Das belegen auch die aktuellen Beispiele Bonndorf, Markdorf und Stockach. Mit Erklärungen wie „Das waren sicher Ausländer“ schiebt man die Problematik ein Stück weit von sich weg. Nach dem Motto: „Das hat mit uns nichts zu tun, wir müssen nichts ändern.“ Die Wahrheit ist: Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass häusliche Gewalt Teil unserer Gesellschaft ist. Und dagegen ankämpfen.
Was raten Sie Frauen, die bedroht werden?
Auch, wenn es schwerfällt: Das Umfeld einweihen. Wenn die Arbeitskollegen Bescheid wissen und die Nachbarn, können die mithelfen, etwa ein Annäherungsverbot durchzusetzen. Wichtig ist auch, Beratungsstellen wie den Weißen Ring zu kontaktieren.