Fast eine Woche nachdem ein Mann mutmaßlich seine 35 Jahre alte Ex-Partnerin auf der Straße mit dem Messer attackierte und tötete, ist das Entsetzen in dem kleinen Ort Bonndorf-Ebnet noch immer riesig. Nun sind neue Details ans Licht gekommen, die viele Fragen aufwerfen.

Wie mehrere Quellen unabhängig von einander gegenüber dem SÜDKURIER angaben, soll der mutmaßliche Täter, ein 49 Jahre alter Mann aus der Region Waldshut, wenige Tage vor der Tat noch in der Psychiatrie in Behandlung gewesen sein. Offenbar soll er vor einigen Wochen auch selbstgefährdendes Verhalten gezeigt haben.

Ist unser System in der Lage, Frauen zu schützen?

Die Polizei schweigt dazu und verweist auf laufende Ermittlungen. Der Blick in die Vorgeschichte der Tat dient auch nicht dazu, Privates der Beteiligten zu offenbaren. Es geht darum, nachzuvollziehen, ob unser System in der Lage ist, bedrohte Frauen zu schützen. Eine Frage, die drängt angesichts nunmehr drei bekannter Tötungsdelikte an Frauen in Südbaden seit Jahresbeginn, angesichts der Tatsache, dass eine junge Frau, Jasmin M., noch immer gesucht wird.

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In Bonndorf-Ebnet lebte die 35-jährige Mutter mit ihren drei Kindern, von zweien soll der mutmaßliche Täter der Vater sein. Im Mai hatte sie gegen ihn ein familiengerichtliches Annäherungsverbot erwirkt. Das heißt: Er darf sich ihr oder ihrer Wohnung nicht nähern. Er tat es offenbar trotzdem. Wie mehrere Personen übereinstimmend berichteten, mussten ein gemeinsames Kind im Grundschulalter, der neue Partner des Opfers und Nachbarn die Tat mitansehen.

„Kann nicht an jeder Ecke Polizisten hinstellen“

„Wenn Annäherungsverbote nicht kontrolliert werden, bringen sie nichts. Die Behörden hören durchaus zu, handeln aber nicht konsequent genug, da gibt es so viele Hürden und Schwierigkeiten.“ Das sagte Jörg Zielke, der damalige Bundesvorsitzende der Opferschutzorganisation Weißer Ring, schon Ende 2021. Und forderte dringend einen besseren Schutz bedrohter Frauen.

Auf Anfrage des SÜDKURIER erklärt das zuständige Polizeipräsidium Freiburg allgemein: „Je nach Gefährdungsprognose werden die Annäherungsverbote mehr oder weniger engmaschig proaktiv kontrolliert. Eine lückenlose Überwachung ist nicht möglich.“

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Auch in Bonndorf hat man dafür Verständnis: „Man kann nicht an jeder Ecke einen Polizisten hinstellen“, sagt Werner Intlekofer von den Grünen im Bonndorfer Gemeinderat. Die Tat, sagt er, erschrecke ihn. Er habe Mitleid, mit allen. „Es gibt in dieser Sache nur Verlierer.“ Auch der mutmaßlich Täter sei „sicher nicht eines Morgens aufgestanden und hat beschlossen, zu töten.“

Sicher ist: Ein Annäherungsverbot wie es das Familiengericht gegen den 49-Jährigen auferlegte, wird nicht leichtfertig ausgesprochen – nur bei potenzieller Gefährdung.

Das Annäherungsverbot im Fall Bonndorf-Ebnet

Wer sich einer gerichtlichen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz widersetzt und sich trotz Verbot dem Opfer nähert oder es kontaktiert, muss mit bis zu zwei Jahren Gefängnis rechnen. Doch das Verbot verfehlt seine abschreckende Wirkung dennoch regelmäßig: Allein im Bereich des Polizeipräsidium Freiburg gab es im Jahr 2022 nach offiziellen Angaben 109 Verstöße.

Ein Blick ins Ausland zeigt dabei, dass es neben dauerhafter Polizeipräsenz auch weitere Möglichkeiten gibt: In Spanien überwachen Behörden Personen in Folge eines Annäherungsverbots elektronisch. Mann und Frau haben GPS-Sender. Sobald der richterlich verfügte Sicherheitsabstand von 500 Metern unterschritten wird, piept es. Die Polizei wird informiert, ruft zunächst an und fährt los, falls niemand erreichbar ist.

Der Weiße Ring Deutschland schlug das System 2021 für die Bundesrepublik vor. Doch ist das Problem so groß, sind Beziehungstaten nicht Einzelfälle?

1584 Fälle von häuslicher Gewalt

„Häusliche Gewalt ist kein Randgruppenthema“, sagt Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD), Staatssekretärin im Innenministerium und Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis Waldshut. „Jeden dritten Tag gibt es einen Femizid, jeden dritten Tag ein Tötungsdelikt. Es ist ein strukturelles Problem.“

Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium.
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium. | Bild: Christoph Soeder

Laut Polizeipräsidium Freiburg wurden 2022 1584 Fälle von häuslicher Gewalt angezeigt. „Derzeit ist von einer Steigerung der Fälle 2023 auszugehen“, teilt Stefan Kraus vom Polizeipräsidium auf SÜDKURIER-Anfrage mit.

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Rita Schwarzelühr-Sutter zeigte sich angesichts der getöteten Mutter in Bonndorf sehr betroffen. „Im öffentlichen Raum mutmaßlich trotz Annäherungsverbot. Die Kinder ohne Mutter, sicher traumatisiert. Ja, im Prinzip wurde so eine ganze Familie zerstört.“ Sie fordert: „Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, um dafür zu sorgen, dass Frauen keine Gewalt erfahren.“

Kleiner Altar in Erinnerung an Getötete – und die Worte „Ich liebe dich“

Derzeit berate die Länderkonferenz der Justizministerinnen, ob eine elektronische Fußfessel nach dem Vorbild Spaniens eine sinnvolle Ergänzung wäre, um ein Annäherungsverbot besser zu kontrollieren. „Ich erwarte eine Entscheidung als weitere Maßnahme, die dazu beiträgt, Femizide zu verhindern“, sagt die Staatssekretärin.

In Bonndorf-Ebnet unterdessen lässt sich die Zeit nicht zurückdrehen. Um das Haus, in dem die 35-Jährige lebte und vor dem sie am vergangenen Freitag starb, sind Blumen, rote Grabkerzen und Bilder aufgereiht. Jemand hat einen kleinen Altar aus roten und schwarzen Steinen gebaut. Die Fotos zeigen die dreifache Mutter mit den Menschen in ihrem Leben: Mutter, Verwandte, Freunde, Kinder. Sie alle sind jetzt ohne sie.