Fast auf den Tag genau fünf Monate, nachdem die 24-jährige Sabrina P. als vermisst gemeldet wurde, ist das Urteil im Mordprozess vor dem Landgericht in Konstanz gefallen. Vier Tage nahm die Gerichtsverhandlung in Anspruch, seit Montagabend steht das Urteil fest. Und das fällt für viele Prozessbegleiter überraschend aus: Die drei Richter und die beiden ehrenamtlichen Schöffen, die das Urteil fällen mussten, verurteilten den Angeklagten Marcel K. nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags. Für den 22-jährigen Täter bedeutet dies, dass er nun für 13 Jahre ins Gefängnis muss.

Das könnte Sie auch interessieren

Damit folgte die vierte Strafkammer nicht der von Oberstaatsanwalt Ulrich Gerlach geforderten lebenslangen Haftstrafe. Dieser hatte dem Angeklagten Mord aus niederen Beweggründen ohne besondere Schwere der Schuld vorgeworfen. Stattdessen sprach sich das Gericht für Totschlag aus, wie es auch der Verteidiger von Marcel K. in seinem Plädoyer gefordert hatte. Wie der Vorsitzende Richter Arno Hornstein in der Urteilsbegründung ausführte, habe er Verständnis dafür, wenn manch ein Laie dieses Urteil nicht verstehen könne. Doch der Bundesgerichtshof lege die Latte für eine Verurteilung wegen Mordes sehr hoch. „Es ist eine undankbare Aufgabe, in einem solchen Fall ein gerechtes Urteil zu fällen“, so Hornstein.

Auch wenn das Gericht davon ausgeht, dass sich die Tat im Wesentlichen so ereignet hat, wie vom Angeklagten in seinem Geständnis geschildert – die erforderlichen Merkmale für einen Mord, also niedere Beweggründe oder Heimtücke wie von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, sieht es nicht als gegeben an. Vieles, so Hornstein in seinem Urteilsspruch, sei auch nach vier Verhandlungstagen im Dunkeln geblieben. So habe unter anderem auch das Gutachten der Gerichtsmedizin mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. „Für uns zählen aber nur reine Fakten. Wir dürfen dem Urteil nur zugrunde legen, was zweifelsfrei erwiesen ist“, betont Hornstein.

Was für das Gericht gesichert ist

Und das ist für das Gericht folgender Sachverhalt: Am Freitag, 13. Januar 2023, sei es zu einem Streit zwischen Marcel K. und seiner damaligen Freundin Sabrina P. gekommen, als er von der Arbeit nach Hause kam. „Auslöser war mutmaßlich ein Besuch von Marcel K. auf dem Social-Media Profil einer Freundin, weswegen Sabrina P. ihn zur Rede stellen wollte“, so Hornstein.

Dieser Streit eskalierte

Auch wenn solche Streits regelmäßig vorkamen, sei er diesmal zwischen 16 und 17 Uhr eskaliert. Es sei zu einer Rangelei gekommen, in deren Verlauf die Beiden zu Boden gingen. Der Grund hierfür lasse sich nicht mehr rekonstruieren, doch Marcel K. habe dann nach dem Ladekabel einer Spielekonsole gegriffen, es Sabrina P. zweimal um den Hals gewickelt und sie so erdrosselt. Anschließend habe er sie „über den Balkon entsorgt“, so Hornstein. Fest stehe auch, dass das Erdrosseln mit dem Kabel die Ursache für den Tod der jungen Mutter war.

Gericht sieht viele Fragezeichen

„Neben diesen Fakten gibt es viel Raum für Spekulation, etwa, ob es einen Faustschlag oder ein Würgen bis zur Bewusstlosigkeit gegeben habe oder ob Sabrina P. noch gelebt hat, als sie vom Balkon geworfen wurde.“ All das lasse sich aber nicht mehr sicher klären. Eine Verurteilung wegen Mordes hätte laut Hornsteins Einschätzung vor dem Bundesgerichtshof keinen Bestand. Die Art, wie der Angeklagte mit seiner Freundin sowohl vor als auch nach dem Tod umgegangen ist, lasse aber Rückschlüsse auf die Gesinnung und die Einstellung des Angeklagten zu seiner Freundin zu, so Hornstein weiter. Nicht zuletzt das Verhalten nach der Tat habe das Gericht dazu veranlasst, mit 13 Jahren eine Freiheitsstrafe im oberen Bereich anzusetzen, erklärte Hornstein und fügte an: „Das ist in diesem Fall angebracht.“

Gericht vermisst echte Reue

Für Totschlag sieht der Gesetzgeber ein Strafmaß von fünf bis 15 Jahren vor. Für Totschlag in einem besonders schweren Fall sogar eine lebenslängliche Haftstrafe. Doch auch das sieht das Gericht nicht als gegeben an. „Was die Kammer vermisst, ist echte Reue. Das unterstreicht den Charakter, der auch in den Zeugenaussagen zum Vorschein kam“, betonte Hornstein. Marcel K. hatte am letzten Verhandlungstag im Rahmen der Schlussplädoyers lediglich betont: „Ich habe das nicht gewollt und nicht geplant.“

Das könnte Sie auch interessieren

Im Laufe der viertägigen Hauptverhandlung wurde immer wieder deutlich, dass der gewaltsame Tod von Sabrina P. gleich mehrere Leben dramatisch beeinflusst hat. So hat die Schwester der Umgebrachten die Verantwortung für das acht Monate alte Kind von Sabrina P. und Marcel K. übernommen.

Unter einem Baum am Stockacher Stadtwall wurden zum Gedenken an die im Januar 2023 ermordete Sabrina P. verschiedene Gegenstände ...
Unter einem Baum am Stockacher Stadtwall wurden zum Gedenken an die im Januar 2023 ermordete Sabrina P. verschiedene Gegenstände abgelegt. So sieht die Gedenkstätte im Juni 2023 aus. | Bild: Milena Erni

Eine gemeinsame Freundin des Paares hatte vor Gericht über Angstzustände, die sich durch die Tat verschlimmert hätten, gesprochen. Sie habe Marcel K. so etwas nicht zugetraut und habe dadurch das Grundvertrauen auf das Gute im Menschen verloren, führte sie am zweiten Verhandlungstag im Zeugenstand aus. Zum Angeklagten gewandt betonte Richter Hornstein: „Sie haben nicht nur Sabrina P. das Leben genommen, sondern auch ihr eigenes und das des gemeinsamen Kindes, das nie seine Mutter kennenlernen wird, ruiniert.“

Vertreter der Nebenklage kündigt Revision an

Nach der Urteilsverkündung können die Prozessbeteiligten innerhalb einer Woche Revision gegen das Urteil einlegen. Rechtsanwalt Gerhard Zahner, der Sabrina P.s Schwester als Nebenklägerin vertrat, kündigte unmittelbar im Anschluss an die Verhandlung an, von diesem Rechtsmittel Gebrauch zu machen. Denn mit dem Urteil seien er und seine Mandantin nicht zufrieden.

Das könnte Sie auch interessieren

„Ich habe ein klares Bild aus der Hauptverhandlung mitgenommen, und für uns sind beide Mordmerkmale eindeutig gegeben. Sowohl die niederen Beweggründe als auch die Heimtücke. Wir werden das Urteil deshalb vom BGH prüfen lassen“, so Zahner. Zwar seien 13 Jahre Haft eine durchaus angemessene Strafe, doch müsse auch auf dem Papier klar sein, dass der Angeklagte ein Mörder und kein Totschläger sei, so die Meinung der Nebenklage.

Viele Prozessbeobachter im voll besetzten Saal dürften es ähnlich sehen, denn manch einer machte seinem Ärger auf dem Weg aus dem Saal lautstark Luft, und vor dem Landgericht gab es sogar Tränen.