Es ist ein erneuter juristischer Rückschlag für die Stuttgarter Staatsanwaltschaft im Verfahren gegen „Querdenken711“-Gründer Michael Ballweg: Das Stuttgarter Landgericht hat die Befangenheitsanträge der Staatsanwaltschaft gegen die drei Berufsrichter der Wirtschaftsstrafkammer abgelehnt.

Dies vermeldete Rechtsanwalt Ralf Ludwig aus dem Team der Ballweg-Verteidigung am Freitagmorgen auf dem Telegram-Kanal der „Querdenken711“-Bewegung. Auf Nachfrage kündigte der Sprecher des Landgerichts Stuttgart an, dass es schnellstmöglich eine offizielle Mitteilung dazu geben werde.

Prozess kann fortgesetzt werden

Damit kann der Prozess gegen Ballweg termingerecht am kommenden Dienstag fortgesetzt werden. Andernfalls hätte das Verfahren, das im Oktober 2024 begonnen hatte und in dem bereits 27 Verhandlungstage absolviert wurden, komplett neu aufgesetzt werden müssen.

Der heute 50-Jährige frühere IT-Unternehmer aus Stuttgart ist wegen des versuchten Betrugs in 9450 Fällen im Zusammenhang mit der Verwendung von Spenden für die „Querdenken711“-Bewegung sowie der Steuerhinterziehung angeklagt.

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Ballweg sieht sich als Opfer staatlicher Verfolgung

Ballweg hat seine Schuld stets bestritten und sich als Opfer staatlicher Verfolgung bezeichnet, ein Vorwurf, der auch von seinen Unterstützern nach wie vor am Leben gehalten wird. Dazu trug bei, dass Ballweg im Vorfeld des Prozesses von Juni 2022 bis April 2023 die außergewöhnlich lange Zeit von neun Monaten in Untersuchungshaft gesessen hatte.

Der bisherige Verfahrensverlauf und die Anhörung von zahlreichen Zeugen haben zumindest in den Augen des Gerichts bislang offenbar wenig Anhaltspunkte ergeben, die die Anklage der Staatsanwaltschaft stützten und am Ende eine Verurteilung erwarten lassen.

Strafkammer würde Prozess am liebsten einstellen

Aus diesem Grund würde die Wirtschaftsstrafkammer den Prozess am liebsten einstellen – wegen Geringfügigkeit. Diese Zwischenbewertung, eine empfindliche Blamage für die Staatanwaltschaft, hatte die Vorsitzende Richterin am 17. März, dem Morgen des 27. Verhandlungstags, öffentlich verkündet.

Aus Sicht der Kammer sei zumindest nach bisherigem Verlauf des Prozesses am Ende allenfalls eine geringe Schuld des Angeklagten zu erwarten, wenn überhaupt. Der angeklagte Betrug sei bislang gar nicht nachweisbar, eine Steuerschuld liege nach bisherigen Erkenntnissen im geringfügigen Bereich – die Rede war von einer möglichen Steuerschuld Ballwegs im Bereich zwischen etwa sechs und gut 2000 Euro.

Verfahrenskosten sparen

Die Kammer schlug daher eine Einstellung des Verfahrens vor, ein Vorgang, der in der Regel aus Gründen der Prozessökonomie erfolgt – man will allen Beteiligten und auch dem Staat, der bei einem Freispruch am Ende oder einer Einstellung die Verfahrenskosten zu tragen hätte, damit weitere Kosten ersparen.

Nur: Verteidigung und Staatsanwaltschaft müssen dieser Einstellung zustimmen. Und während die Ballweg-Verteidigung sich bereits über mögliche Kostenerstattungen für den Angeklagten Gedanken machte, lehnte die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Einstellung des Verfahrens ab.

Wegen Information der Presse befangen?

Mit einer bemerkenswerten Begründung: Der Gerichtssprecher habe die Presse über die bevorstehende Ankündigung des Gerichts vorab informiert – und so für einen Medienandrang und eine Berichterstattung gesorgt, die den Eindruck wecken könnte, eine Entscheidung über die Einstellung sei bereits gefallen.

„So etwas ist mir in meiner ganzen Laufbahn als Anwalt noch nie passiert, dass eine Staatsanwaltschaft eine ganze Kammer für befangen erklären lassen will“, hatte Reinhard Löffler, Stuttgarter Strafverteidiger aus Ballwegs Verteidigungsteam, den Vorgang bewertet. Ein solcher Antrag sei maximal unüblich.

Denn dieser sei nicht etwa erfolgt, „weil die Staatsanwaltschaft in rechtlicher Hinsicht anderer Auffassung ist“, teilt die Sprecherin der Strafverfolgungsbehörde auf Anfrage unserer Redaktion mit, vielmehr „rügt die Staatsanwaltschaft die Art und Weise der Manifestation dieses eindeutigen Zwischenergebnisses nach außen.“

Großer Medienandrang

Diese etwas kryptische Formulierung bezieht sich auf die Pressemitteilung, die der Gerichtssprecher des Landgerichts im Vorfeld des 17. März an die für das Verfahren akkreditierten Journalisten verschickt hatte.

Die Folge: Am 17. März herrschte im Gerichtssaal, im Gegensatz zu den vorausgegangenen Verhandlungstagen herrschte einmal wieder ein enormer Medienandrang. Und entsprechend breit wurde im Anschluss darüber berichtet, dass das Gericht an der Stichhaltigkeit der Anklage Zweifel hat.

Ballweg selbst und sein Verteidigerteam werteten die Befangenheitsanträge als Angriff auf die Pressefreiheit, wie sie auf der „Querdenken711“-Homepage in einem der Videos sagen, das von dort im Anschluss an jeden Prozesstag erstellt und veröffentlicht wird.

Ballweg selbst ruft darin mit breitem Grinsen seine Unterstützer und die Presse dazu auf, in Zukunft wieder „möglichst zahlreich“ zum Prozess zu kommen. Am kommenden Dienstag ist wieder Gelegenheit dazu: Dann wird die Ablehnung der Anträge ganz öffentlich verkündet.