- Umfangreiche Razzia gegen Reichsbürgerbewegung auch hier im Südwesten.
- Aktion zielt darauf ab, illegalen Waffenbesitz und Verstöße gegen das Waffengesetz aufzudecken.
- Polizei nimmt mehrere Personen fest und beschlagnahmt Beweismaterial.
- Verbindungen der Reichsbürger zu anderen extremistischen Gruppen untersucht.
- Verstärkte Maßnahmen als Reaktion auf wachsende Bedrohung durch die Reichsbürgerbewegung.
Bei einer bundesweiten Razzia gegen mutmaßliche Reichsbürger sind am Donnerstag, 23. November, auch in Baden-Württemberg neun Wohnungen durchsucht worden. Nach Angaben der federführenden Generalstaatsanwaltschaft München fanden in den Landkreisen Rastatt, Sigmaringen, Karlsruhe, Biberach, Ravensburg, Tuttlingen, Tübingen sowie im Zollernalbkreis und Bodenseekreis Polizeiaktionen statt. Neben den Wohnungen wurde eine Haftzelle in der Justizvollzugsanstalt Hechingen durchsucht. Es gebe neun Beschuldigte im Südwesten.
Strobl: Dieser Staat ist stark
„Mit den heutigen Durchsuchungen zeigen wir ganz klar und unmissverständlich: Wir lassen nicht nach im Kampf gegen Extremismus“, betonte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl auf Anfrage des SÜDKURIER.
„Denjenigen, die die Existenz unseres Staates leugnen, zeigen wir: Dieser Staat ist stark, unsere Demokratie wehrhaft.“
Die Durchsuchungen und die bundesweit geführten Ermittlungen zeigten auch: Die Sicherheitsbehörden arbeiteten vernetzt und mit aller Entschlossenheit zusammen. An den Maßnahmen sei in Baden-Württemberg eine niedrige dreistellige Zahl an Einsatzkräften beteiligt gewesen.
Durchsuchungen auch in sieben weiteren Bundesländern
Insgesamt wurden in acht Bundesländern von rund 280 Einsatzkräften 20 Wohnungen unter die Lupe genommen. Den 20 Beschuldigten im Alter zwischen 25 und 74 Jahren wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen, wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und Bayerns Justizminister Georg Eisenreich mitteilten.
„Die Reichsbürgergruppierung hat im großen Stil bundesweit staatliche Einrichtungen beleidigt und teilweise massiv bedroht, hauptsächlich über Social Media“, sagte Herrmann. Zu konkreten Übergriffen kam es nach Erkenntnissen der Ermittler aber bislang nicht.
Schreckschusswaffe, Reizstoffgeräte, Smartphones und Datenträger sichergestellt
An den Razzien waren neben Baden-Württemberg und Bayern Beamte in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Niedersachsen und Hamburg beteiligt. Wie der stellvertretende Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft München, Florian Weinzierl, dem SÜDKURIER sagte, begannen die Durchsuchungen in den frühen Morgenstunden und wurden bundesweit am Vormittag beendet. „Belastbare Zahlen zu den einzelnen Einsatzorten liegen derzeit noch nicht vor“, so Weinzierl.
Laut Bayerns Innenminister Herrmann wurden eine Schreckschusswaffe, Reizstoffgeräte, Smartphones und Datenträger sichergestellt. Andere Waffen seien nicht darunter gewesen, hieß es in der Mitteilung der Ministerien. Die beschlagnahmten Gegenstände würden nun ausgewertet. „Dies wird absehbar mehrere Monate in Anspruch nehmen“, sagte Weinzierl.
Die Gruppe habe durch die gezielte, massenhafte Kontaktaufnahme mit Behörden deren Kommunikationswege blockieren und damit Einfluss auf deren Entscheidungen nehmen wollen. Nach Angaben Weinzierls traten sie vor allem mit Telefonanrufen und E-Mails an die staatlichen Institutionen heran.
Übergeordnetes Ziel sei es gewesen, die Bundesrepublik Deutschland und ihre Einrichtungen zu destabilisieren und rechtmäßiges staatliches Handeln zu verhindern oder zumindest zu erschweren. „Die Gesprächspartner wurden beispielsweise mit Reichsbürgerthesen konfrontiert, der Begehung von Menschenrechts- und Kriegsverbrechen bezichtigt, beleidigt und teilweise mit dem Tode bedroht.“ Die Ermittler sprachen von einem „Telegram-Netzwerk von Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern“.
Mutmaßlicher Rädelsführer der Gruppe kommt aus Oberbayern
Der mutmaßliche Rädelsführer der Reichsbürger-Gruppe kommt aus Oberbayern, aus Olching im Landkreis Fürstenfeldbruck. Der 58-Jährige war laut Generalstaatsanwaltschaft München bereits im November 2021 festgenommen worden.
Im April 2022 wurde der Mann unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung und Nötigung vor dem Landgericht München I angeklagt. Das Verfahren ist nach Angaben der Ermittler noch nicht abgeschlossen. Der Mann soll den maßgeblichen Telegram-Kanal der Gruppierung betrieben haben.
Reichsbürger sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnete der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter 2022 deutschlandweit etwa 23.000 Menschen zu, 2000 mehr als im Vorjahr.
In Baden-Württemberg ist ihre Zahl laut dem Innenministerim insbesondere im Zuge der Proteste gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen deutlich gestiegen – von circa 3300 im Jahr 2020 auf etwa 3800 in den beiden Jahren danach. Dabei hätten sich zunehmend Mischszenen unterschiedlicher Strömungen gebildet. Auch extremistische Verschwörungsideologien und rechtsextremistische Elemente seien teilweise Bestandteil der Ideologie von Reichsbürgern und Selbstverwaltern. Antisemitische Narrative, Rassismus, generelle Fremdenfeindlichkeit sowie Geschichts- oder Gebietsrevisionismus kämen in dem Milieu vor.
Die Gefahr, die von Reichsbürgern und Selbstverwaltern ausgeht, schätzt das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg bereits seit Beginn der Beobachtung im Jahr 2016 als hoch ein, insbesondere auch aufgrund der ausgeprägten Waffenaffinität innerhalb der Szene. „Etwa zehn Prozent der bekannten Milieuangehörigen befürworten den Einsatz von Gewalt“, so das Innenministerium in Stuttgart. Rund 400 Reichsbürger soll es nach Aufkunft des Landesamts in der Region um den Bodensee und Südbaden geben. Erst im Mai 2023 waren einem Reichsbürger in Singen diverse Waffen und rund 13.000 Schuss Munition abgenommen worden.
Mit Material von dpa