„Wir bieten Ihnen hier originale Impfpässe an, damit Sie die Giftspritze umgehen können“, schreibt ein vollautomatischer Bot eines Impfpass-Verkäufers auf dem umstrittenen Messengerdienst Telegram. Das ist kein Einzelfall: Täglich gehen der Polizei reihenweise Betrüger ins Netz, die sich mit gefälschten Impf-Zertifikaten etwa in Restaurants Zugang erschleichen und dabei ihre Mitmenschen gefährden.
Rund 4000 Ermittlungsverfahren gegen Impfpass-Betrüger laufen derzeit in Deutschland, doch das sei nur „nur die absolute Spitze des Eisberges“, sagte Martin Braun, Präsident der baden-württembergischen Landesapothekerkammer, kürzlich bei einer Online-Veranstaltung zum Thema Impfpass-Fälschungen. Er schätzt, dass zwölf bis 15 Prozent aller gelben Impfpässe und damit auch eine große Zahl der darauf aufbauenden digitalen Covid-Zertifikate gefälscht sind – insgesamt eine hohe sechsstellige Zahl. Aber woher kommen die zu hunderttausenden gefälschten Impfpässe?

Kriminelle in Arztpraxen und Impfzentren
Die Antwort ist vielschichtig wie das Phänomen: Vereinzelt gibt es kriminelle Mitarbeiter in Arztpraxen und Impfzentren, wie mutmaßlich jene Arzthelferin im Schwarzwald-Baar-Kreis, die hinter dem Rücken ihres Chefs fingierte Impfnachweise zum Preis von 500 Euro an Patienten verkauft haben soll. Für Aufsehen sorgte auch der Fall eines Mitarbeiters im Kantonalen Impfzentrum Schaffhausen. Er soll hunderte gefälschte Covid-Impfzertifikate generiert und an Menschen verkauft haben, welche nie die dafür notwendigen Immunisierungen erhalten haben.

Die meisten gefälschten Impfpässe dürften aber über dunkle Kanäle im Internet abgewickelt werden. Dutzende Anbieter gibt es beispielsweise auf dem Messengerdienst Telegram, der besonders bei Corona-Leugnern und Rechtsradikalen attraktiv ist, weil dort selbst Umsturzfantasien und NS-Symbole nicht gelöscht und Nutzer nicht gesperrt werden.
Aber wie einfach ist es dort, einen gefälschten Impfpass zu erwerben? Der dreifach geimpfte SÜDKURIER-Reporter hat in Absprache mit der Polizei und mit verdeckter Identität die Probe aufs Exempel gemacht.
Automatisierte Antwort-Bots
Auffällig ist, dass die meisten kriminellen Anbieter mit sogenannten Bots arbeiten, also vollautomatische Antwortassistenten, um ihre Identität zu verschleiern. „Unsere Pässe stammen von originalen Zentren und Ärzten, um anonym zu bleiben, haben wir uns zu diesem Bot entschieden“, informiert eines dieser Programme, sobald man auf „Start“ gedrückt hat.

Ein anderer Bot gibt einen „Ansturm“ als Vorwand an, weshalb man einen „automatisierten Checkout für Sie eingerichtet“ habe. Bei dieser Art der Bestellung erhalte man zudem ein kleines Geschenk zur Lieferung dazu, wird geworben. „Damit ihr weiter arbeiten, feiern und Sport machen dürft, bekommt ihr bei mir echte Impfässe (sic!) wie vom Impfzentrum“, behauptet ein anderer illegaler Anbieter.
Mengenrabatt bei Impfpass-Fälschungen
Daraufhin kann sich ein Kaufinteressent entscheiden, wie viele gefälschte Impfnachweise er benötigt, um sich selbst und die Gesellschaft zu betrügen. Einer kostet ab 100 Euro, zwei Impfpässe gibt es für 150, aber auch fünf für 350 Euro kann man auswählen.
Bei anderen, seriöser wirkenden Anbietern geht es ab 150 Euro los. Soll die Digitalisierung gleich mitgeliefert werden, ist es um 50 Euro teurer. „Unsere Preise werden in höherer Stückzahl günstiger. Sollten Sie mehr als drei Pässe benötigen, melden Sie sich bitte persönlich, um bessere Konditionen zu erhalten“, wird der Eindruck eines legalen Geschäftes erweckt.
„Welche Impfung brauchst du?“, fragt der Bot. Bei manchen Anbietern kann der Impfstoff, der im gefälschten Impfpass erscheint, ausgewählt werden: Biontech, Moderna oder Johnson&Johnson. Am Ende geht es immer ums Eingemachte, also ums Geld. Akzeptiert werden meist die Kryptowährungen Bitcoin und Monero, um keine Spuren zu hinterlassen.
Einladung in „geheimen Chat“
Weil nicht jeder Impfunwillige ein sogenanntes Krypto-Wallet besitzt, nehmen viele Anbieter auch Gutscheincodes von Amazon und Bitnovos über Gutscheincodes, die mit gängigen Zahlungsmitteln wie Kreditkarte oder Paypal aufgeladen werden können. Schließlich soll man noch persönliche Daten, wie Vor- und Nachname, Geburtsort- und -datum sowie die Adresse, eingeben, außerdem ein „Wunschimpfzentrum“ mit dem Zusatz: „Ansonsten nehmen wir ein heimatnahes Zentrum“.
Da die meisten Anbieter von gefälschten Impfpässen erfahrungsgemäß nur das Geld nehmen, aber nie ein Dokument losschicken, lassen wir die Bots hinter uns und versuchen einen echten Chat mit einem lebenden Gegenüber zu beginnen. Von den meisten erfolgt gar keine oder nur eine kurze Standardantwort.
Einer nimmt sich jedoch Zeit und antwortet individuell. Bevor es losgehen kann, lädt er uns jedoch ein, in einen „geheimen Chat“ mitzukommen, der eine End-zu-End-Verschlüsselung nutzt und damit noch sicherer als der gewöhnliche Nachrichtenversand bei Telegram sein soll.
Tausende Abonnenten in dubiosen Gruppen
Um unser Vertrauen zu gewinnen, übermittelt der „Verkäufer“ einen Link innerhalb von Telegram, der zu einem eigenen verborgenen Kanal namens „Impfpass Händler Review | Impfausweis Verkäufer Test“ mit rund 13.000 Abonnenten führt. Dort wird die Geschichte erzählt, „drei ehrenamtliche und politisch engagierte Mitbürger, welche leider zusammen zirka 2700 Euro an Betrüger verloren haben“, würden diesen Channel verwalten. Sie geben an, alle großen Händler und Verkäufer von gefälschten Impfpässen getestet zu haben, weil es nicht sein könne, dass „Mitkämpfer über den Tisch gezogen“ werden. „Fazit: Es ist erschreckend, wie viele Verkäufer sich nach der Bezahlung nicht mehr melden.“

Unter „Abzocker“ werden Dutzende Telegram-Benutzernamen aufgelistet, darunter „impfpass123“ oder „impffreigesundsein“. Aber es gibt auch „Kaufempfehlungen“, bei denen bestellte Impfpass-Fälschungen auch wirklich ankommen würden. Um dies zu verdeutlichen, werden in einer weiteren verborgenen Telegram-Gruppe mit knapp 19.000 Abonnenten zahlreiche zufriedene Bewertungen von „Kunden“ genannt.
Kriminelle nennen Radolfzell als Impfort
So schreibt ein Nutzer mit dem Aliasnamen „Burning man“: „Dankeeee, du bist meine Lebensretterin, ohne diese Gruppe hätte ich noch mehr Geld für nichts bezahlt!“ Oder ein David M: „Hatte erst Angst, wieder auf einen Betrüger reingefallen zu sein, lag aber an der Post. Die haben einfach 3 Tage für einen Brief gebraucht. Alles 100% qualität bei dir ehrlich“.

Wir übermitteln dem Imppfass-“Verkäufer“ mit zahlreichen zufriedenen Kundenbewertungen die geforderten Daten unserer erfundenen Identität. „Ich bräuchte einen Impfpass für den Landkreis Konstanz, geht das bei euch auch?“, tippen wir in den geheimen Chat. „Ja, klar geht das“, kommt vom „Händler“ zurück. Wir haken nach und erkundigen uns, auf welches Impfzentrum in der Region dann unser gefälschter Impfpass ausgestellt würde. „Das wäre in Radolfzell“, antwortet der „Verkäufer“. Er kennt also die örtlichen Gegebenheiten oder hat zumindest eine Suchmaschine kurz danach befragt.

Postfach-Adresse in Konstanz
Erwartungsvoll bestellen wir also einen gefälschten Impfpass zum Preis von 150 Euro. Dafür kaufen wir per Kreditkarte zwei Mal 75 Euro in Bitnovo-Gutscheincodes, wie vom „Händler“ verlangt. Geliefert werden soll das falsche Impfzertifikat an eine eigens registrierte Postfach-Adresse in Konstanz.
Da wir jedoch skeptisch bleiben, senden wir im verschlüsselten Chat zuerst nur den ersten Gutscheincode über 75 Euro an den „Verkäufer“ und ersuchen ihn, uns ein Foto vom neuen Impfpass zu schicken, dann würden wir auch den zweiten Gutscheincode übermitteln.
„Das geht nicht – ich brauche mindestens 50 Euro, um die Kosten zu decken“, erhalten wir als Antwort. Da wird der SÜDKURIER-Reporter hellhörig. Ist der „Händler“ etwa plötzlich bereit, mit dem Preis runterzugehen oder will er nur noch mehr Geld einsammeln?
Als wir ihm schreiben, dass er doch wenigstens ein Foto von einem leeren Impfpass schicken soll, weil wir eine Absicherung benötigen, dass der Impfpass auch wirklich bei uns ankommt, ist am nächsten Tag der geheime Chat gelöscht und die 75 Euro – trotz zahlreicher Beteuerungen, angeblicher Kundenbewertungen und Verkäufertests – ohne die erwartete illegale Gegenleistung futsch.
Vorher Drogen, jetzt Impfpässe
Wer sind diese dreisten Betrüger? „In den Fällen, die uns durch unsere Ermittlungen bekannt geworden sind, handelt es sich oft um gewöhnliche Kriminelle, die vorher Rauschgift oder Falschgeld im Darknet verkauft haben und umgeschwenkt sind auf diese Impfnachweise, da sie sehr lukrativ sind“, sagt Oliver Hoffmann vom Landeskriminalamt.

Ein Trost bleibt, dass mit einiger Skepsis zumindest der zweite Gutscheincode über 75 Euro gerettet werden konnte. Für einen echten Impfpass muss man sich übrigens nicht mit dreisten Betrügern in windigen Messenger-Gruppen herumschlagen: Es gibt ihn völlig kostenlos bei Ärzten und in Impfzentren nach einem kleinen Piks. Und das Wichtigste: Die tatsächliche Corona-Impfung schützt laut Robert-Koch-Institut nachweislich zu etwa 90 Prozent vor einem schweren Krankheitsverlauf.