Die Entscheidung über das neue Werk von Peter Lenk ist gefallen. „Das Werk geht zurück an den Bodensee“, berichtet Peter Lenk dem SÜDKURIER von Stuttgart aus. Dort hatte er an einer Sitzung des Verwaltungsausschusses des Gemeinderates teilgenommen, der Oberbürgermeister saß neben ihm. Der kommunale Ausschuss war sich einig: Das Werk mit dem Titel „Stuttgart 21 – Chronik einer grotesken Entgleisung“ wird zum Ende des Monats am Stadtpalais abgebaut und wandert Richtung Süden.

Will man kritische Kunst oder nur Grillsteaks?

Die Stadt lässt die Tür einen Spalt offen. „Die Stadtverwaltung startet einen neuerlichen Suchlauf. Der Künstler nimmt das Werk zunächst zu sich nach Hause, bis man sich auf einen neuen Standort einigen kann“, teilt ein Sprecher der der Stadt mit.

Das Werk „Stuttgart 21 – Chronik einer grotesken Entgleisung“ vor dem Stadtpalais. Die große Figur ist an Winfried ...
Das Werk „Stuttgart 21 – Chronik einer grotesken Entgleisung“ vor dem Stadtpalais. Die große Figur ist an Winfried Kretschmann angelehnt. | Bild: Sebastian Gollnow

Damit fällt das entscheidende Stichwort: Standort. Denn daran hakte der Verbleib der monumentalen Satire auf das Tiefbahnprojekt. Peter Lenk, 74, wollte seinen Laokoon (Winfried Kretschmann) und das vielköpfige Theater vor dem Palais halten. Der Klassizismus des Prachtbaus mit seinen verspielten Putten harmoniere aufs Schönste mit seinen Figuren. Gegen den Daueraufenthalt hatte sich freilich der Leiter des Stadtmuseums gestellt; Torben Giese will die prominente Fläche vor „seinem“ Museum freihalten und dort wechselnde Vergnügungen anbieten, zum Strandkörbe und Grillsteak.

„Nachts kommen dann ein paar Jugendliche zum Saufen vorbei“

Frank Nopper, neuer Chef im Stuttgarter Rathaus, ist dem großen Kommunikator Lenk grundsätzlich gewogen. Aber wohin mit dem Werk? Das Kulturamt brachte zwischenzeitlich den Stockholmer Platz ins Spiel. Dieser liegt am Rande des Europaquartiers und in Nähe der Stadtbibliothek. Peter Lenk lehnt dieses Areal mit starken Worten ab. „Da würde mein Denkmal an die Wand geklatscht. Nachts kommen dann ein paar Jugendliche zum Saufen vorbei“, lässt er in einem FAZ-Interview durchblicken. Also entfällt auch der Stockholmer Platz.

Bildhauer Peter Lenk während der nächtlichen Montage des Denkmals. Das war am 27. Oktober 2020. Nun wandert es zurück an den Bodensee.
Bildhauer Peter Lenk während der nächtlichen Montage des Denkmals. Das war am 27. Oktober 2020. Nun wandert es zurück an den Bodensee. | Bild: Sebastian Gollnow

OB Nopper lache viel und gerne, lobt Lenk den CDU-Politiker, der im Gegensatz zu Vorgänger Fritz Kuhn mit ihm rede. Aber Nettigkeiten allein helfen nicht, es ging immer wieder um den Ort, und der müsse sichtbar und vorzeigbar sein.

Er macht keine Kompromisse, auch für die Hauptstadt nicht

Frank Nopper versuchte tatsächlich, das Kunstwerk zu halten. Er wollte Lenk davon überzeugen, dass es auch andere attraktive Orte in der Hauptstadt gibt. Dabei entspann sich zwischen beiden folgender Wortwechsel: „Herr Lenk, Sie müssen Kompromisse machen“, sagt der OB. Darauf Peter Lenk: „Ich bin 74 Jahre alt und mache keine Kompromisse. Ich habe noch nie Kompromisse gemacht.“

Am Telefon hört sich der eigenwillige Bildhauer so an, als ob er nicht unglücklich ist. Die Ablehnung im Verwaltungsausschuss bestätigt den Schöpfer der Laokoon-Gruppe in seiner Meinung, dass die Stuttgarter erstens pietistisch und zweitens humorlos seien. „Ich habe damit gerechnet. Es ist eine Bestätigung meiner Arbeit“, sagt er.

Der bisherige Standort für Lenks Werk (links) ist traumhaft. Hier wird es von vielen Besuchern gesehen und fotografiert. Im Hintergrund ...
Der bisherige Standort für Lenks Werk (links) ist traumhaft. Hier wird es von vielen Besuchern gesehen und fotografiert. Im Hintergrund das Alte Schloss, links davon der Turm der Stiftskirche. | Bild: Fricker, Ulrich

Ohne Sponsoren könnte er einpacken

Ob die Großskulptur mit Dutzenden von Figuren tatsächlich eine zweite Chance erhält, bleibt fraglich. Jetzt wird sie erst einmal vom Neckar zurück an den Bodensee gebracht. Lenk setzt auf die Firma Broziat aus Singen, die auf Schwertransporte spezialisiert ist. Broziat leistete bereits den Transport des Werks im Oktober 2020 – eine aufwändige Arbeit, die das Unternehmen dem Künstler schenkte. Die Rechnung, die sich auf etwa 25.000 Euro belaufen hätte, entfiel.

Großartige Kulisse für Lenk: Das Stadtpalais.
Großartige Kulisse für Lenk: Das Stadtpalais. | Bild: Fricker, Ulrich

Ohne Sponsoren wäre die gesamte Aktion nicht möglich gewesen. Peter Lenk organisierte für den Bau eine Unterstützung in Höhe von 135.000 Euro. Nach der Installation kamen weitere Spenden ein, die Stuttgarter waren aufgewacht. Vor allem das Lager der Stuttgart-21-Gegner war stark vertreten, während sich viele Grünen Politiker pikiert abwandten ob der Derbheit mancher Porträts.

Der Garten in Bodman wird um eine Attraktion reicher

Peter Lenk ist skeptisch, ob Kommune und Künstler einen Standort finden können, der allen gefällt. „Ich glaube eher nicht“, sagt er. Durch die anstehende Rückfahrt des neun Tonnen schweren Werks werden erst einmal Fakten geschaffen. Wichtiger als der Standort ist ihm sein Standpunkt: Er ist Künstler, er wird sich keine Fläche zuschustern lassen.

Frank Nopper (rechts) folgte Anfang des Jahres Fritz Kuhn (links) im Amt des Oberbürgermeisters nach.
Frank Nopper (rechts) folgte Anfang des Jahres Fritz Kuhn (links) im Amt des Oberbürgermeisters nach. | Bild: Sebastian Gollnow

Sein Skulpturengarten in Bodman (Kreis Konstanz) ist bereits jetzt ein Magnet. Ab Juli dürfte er um eine Attraktion reicher sein – mit einem nackerten Ministerpräsidenten nebst angeschraubtem Feigenblatt. Das Fundament für die Rückkehrer ist bereits gegossen.