Eigentlich hatten sich die Fallzahlen im Bodenseekreis prächtig entwickelt. Noch Ende Juni gab es keine mit Covid-19-Infizierten mehr, die Fieberambulanz wurde abgebaut, Entspannung war in Sicht. Doch seit Freitag schnellen die Zahlen wieder hoch, und zwar deutlich. Denn durch einen einzigen Reiserückkehrer, der offenbar das Corona-Virus aus Serbien mitbrachte, steigen nun die Fallzahlen sprunghaft an. Betroffen sind mittlerweile zwölf Schüler aus sechs Schulen sowie drei Erwachsene – rund 50 Testergebnisse von 200 Kontaktpersonen stehen noch aus, weitere Fälle sind zu erwarten.
Was war geschehen?
Die Rekonstruktion des Falles zeigt, dass das Coronavirus schneller wieder da ist, als manch einer denkt. Nach Angaben von Lothar Wölfle, Landrat des Bodenseekreises, besuchte eine mit Covid-19 infizierte Person, die gerade von einer Reise aus Serbien zurückgekehrt war, eine private Familienfeier, obwohl sich der Reiserückkehrer eigentlich in freiwillige Quarantäne hätte begeben müssen, wie es die Corona-Verordnung des Landes vorsieht. Auf der Feier steckte er zwei weitere Menschen an, deren positive Tests dem Gesundheitsamt am Mittwoch, 15. Juli, gemeldet wurden. „Daraufhin wurden für die Familien dieser drei Infizierten behördliche Quarantäneverfügungen erlassen“, erklärt Landrat Lothar Wölfle. Doch offenbar hielt sich eine Tochter einer der Infizierten nicht daran.
Schülerin besucht Geburtstagsparty
Auch sie hätte zu Hause bleiben müssen. Wie das Landratsamt mitteilt, fühlte sie sich bereits unwohl und war auch nicht zur Schule gegangen. Am Nachmittag aber ging sie zu einer Geburtstagsparty, an der zahlreiche andere Schüler aus verschiedenen Friedrichshafener Schulen teilnahmen. Und das hatte fatale Folgen: Auf dieser Fete steckten sich weitere Schüler an, mittlerweile gehen die Behörden von mindestens zwölf Kindern aus, deren positive Testergebnisse bereits vorliegen. „Es ist unglaublich, wie verantwortungslos Eltern und Jugendliche gehandelt haben“, sagt dazu der Leiter des Gesundheitsamtes, Bernhard Kiß. Auch der Landrat ist schockiert: „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass man so handeln kann.“
Die Ortspolizeibehörde in Friedrichshafen muss nun entscheiden, ob die Familie gegen die Corona-Verordnung verstoßen hat. „Die konkreten Umstände des Falles werden derzeit noch abgeklärt. Sollte ein Verstoß gegen die Corona-Verordnung festgestellt werden, wird ein Bußgeldverfahren eingeleitet“, teilt die Stadt auf Nachfrage des SÜDKURIER mit. Es können Bußgelder von 150 Euro bis maximal 10 000 Euro verhängt werden.
„Es ist unglaublich, wie verantwortungslos Eltern und Jugendliche gehandelt haben.“Bernhard Kiß, Leiter des Gesundheitsamtes im Bodenseekreis
Etwa 200 Schüler, Lehrer und weitere Kontaktpersonen aus dem Umfeld wurden nun vom Gesundheitsamt dazu aufgefordert, sich testen zu lassen. Dazu wurde am Wochenende sogar ein eigenes Mini-Testzentrum am Landratsamt aufgebaut. Ein Labor erklärte sich dazu bereit, das Wochenende durchzuarbeiten. Bisher (Stand Montagabend) bestätigten sich keine weiteren Fälle im Zusammenhang mit der Party, doch noch könnten die Zahlen weiter steigen, weil zahlreiche Tests noch ausstehen. „Optimistisch, dass dieser Fall gut ausgeht, bin ich erst, wenn die Zahlen sich wirklich wieder stabilisieren“, erklärt Landrat Lothar Wölfle.

Die Sieben-Tage-Inzidenz, die die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen innerhalb der vergangenen sieben Tage anzeigt, stieg nach Angaben des Landrates von 0,46 vor wenigen Tagen auf heute 8,2 – das ist fast der 20-fache Wert. „Wir stehen zwar noch nicht vor einem erneuten Lockdown, trotzdem ist diese Entwicklung mehr als bedenklich“, so der Landrat. Sollten im Bodenseekreis die Zahl der aktiven Fälle auf rund 75 steigen, müssten Land und Landkreis erneut Maßnahmen ergreifen. Ab 35 Ansteckungsfällen pro 100 000 Einwohnern innerhalb einer Woche gilt in Baden-Württemberg Alarmstufe gelb, im Bodenseekreis mit seinen 217 000 Einwohnern wären das 75 Fälle. „Da kann von einer erweiterten Maskenpflicht bis hin zu Schul- oder Kitaschließungen alles möglich sein und ist immer abhängig vom tatsächlichen Geschehen“, erklärt Lothar Wölfle.
Viel Unruhe in den Schulen
Das neuerliche Infektionsgeschehen in der Zeppelinstadt hat viele Leute aufgeschreckt. So kurz vor Beginn der Sommerferien ist die Sorge vieler Eltern groß, dass Corona die Urlaubspläne zunichte machen könnte. So informierte am Freitag der Rektor der Pestalozzischule pflichtgemäß darüber, dass ein Neuntklässler positiv getestet wurde. Diese Klasse habe seit Ausbruch der Pandemie aber ihren eigenen Ein- und Ausgang ins Schulgebäude, eigene Lehrer und Räume, schrieb er den Grundschuleltern. Es bestand also „kein direkter Kontakt“ mit den Erst- bis Viertklässlern. Deshalb könne er nun guten Gewissens mitteilen, „dass am Montag der Unterricht für die Grundschüler stattfinden wird“.
Am Sonntagabend allerdings kursierte eine andere Nachricht in den Kollegien. Die Pestalozzischule habe eigenständig entschieden, die Schule zu schließen. Der Druck von Elternseite sei wohl zu hoch gewesen. Tatsächlich war die Grundschule gestern auf, auch wenn viele Schüler fehlten. Den Eltern wurde freigestellt, ob sie ihr Kind derzeit in die Schule schicken oder nicht. So steht es auch in der Corona-Verordnung des Landes. „Mindestens 50 Kinder sind heute nicht gekommen“, berichtete der Rektor gestern Mittag.
Auch die Wirtschaft ist betroffen
Bereits am Freitag lagen SÜDKURIER zudem Informationen vor, dass auch Mitarbeiter von zwei Friedrichshafener Großbetrieben auf jener privaten Party am vorletzten Wochenende waren, bei der sich so viele Gäste mit dem Covid 19-Virus angesteckt hatten. Ein Sprecher von Rolls-Royce Power Systems bestätigte, dass am Wochenende ein Mitarbeiter positiv getestet wurde. Er befinde sich nach behördlicher Anordnung nun in Quarantäne. Und auch der Fall zieht Kreise. „Sechzehn weitere mögliche Kontaktpersonen im Betrieb wurden identifiziert und sind derzeit zu Hause beziehungsweise im Mobile Office“, so RRPS-Pressesprecher Christoph Ringwald.
Beim Automobilzulieferer ZF heißt es vorsichtig, es lägen bisher keine Erkenntnisse vor, dass Beschäftigte vom jüngsten Infektionsgeschehen betroffen seien. Der Konzern mit über 9500 Mitarbeitern allein am Standort Friedrichshafen rate seinen Mitarbeitern aber dringend von Privatreisen in Covid-19-Risikogebiete ab.
Landrat appelliert an die Bürger
„Diese Fälle zeigen deutlich, dass die Gefahr des Corona-Virus noch nicht vorbei ist“, so Lothar Wölfle. Er appelliert an jeden Einzelnen, eigenverantwortlich zu handeln und die Infektionsgefahr weiter sehr ernst zu nehmen. Mit Sorge blickt er auf die kommenden Ferien, in denen viele Menschen verreisen werden, auch in Risikogebiete. „Wer dort hinfährt, muss sich danach 14 Tage lang in Quarantäne begeben, auch ein Corona-Test reicht da nicht“, betont Wölfle.
Aber nicht nur das bereitet ihm Sorge. Auch er beobachtet, dass die Menschen immer weniger darauf achteten, Abstand zu halten, was man derzeit in den Freibädern überall sehen kann. „Das Virus ist in der Welt und wir sollten es ganz sicher nicht auf die leichte Schulter nehmen“, warnt der Landrat, der im schlimmsten Falle einen neuen Lockdown anordnen muss.