Wie ist es, in einem von Corona, Krieg, Inflation, Energie- und Flüchtlingskrise geprägten Jahr Volksvertreter zu sein? Vor allem, wenn man gerade erst in den Deutschen Bundestag eingezogen ist? Das sagen die Abgeordneten-Neulinge aus der Region dazu.

Robin Mesarosch, SPD, Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen

Robin Mesarosch, SPD.
Robin Mesarosch, SPD. | Bild: Fionn Große

„Für Privates bleibt kaum und manchmal gar keine Zeit“, sagt Robin Mesarosch mit Blick auf sein erstes Jahr als Bundestagsabgeordneter. Er berichtet von langen Arbeitstagen von frühmorgens bis spätabends. „Schon im September waren alle meine Abende unter der Woche bis Jahresende verplant.“

„Das muss nicht leicht sein oder ständig Spaß machen.“
Robin Mesarosch

Aber er mache seine Arbeit trotz alledem sehr gerne. „Ich kann etwas bewegen und das gibt mir viel.“ Und auch wenn für ihn am Wochenende jeweils Termine im Wahlkreis anstehen, versuche er, sich private Freiräume zu schaffen. „Denn ich sehe bei manchen Kolleginnen und Kollegen, dass sie einen Tunnelblick kriegen, wenn sie keinen Ausgleich haben.“

Durch die vielen Krisen sei das erste Jahr als Abgeordneter „noch einmal brutaler“ gewesen. „Aber das zeigt nur, wie wichtig die Arbeit ist. Es standen und stehen ganz folgenschwere Entscheidungen an, und ich gebe alles, was geht“, sagt Mesarosch. Er sei schließlich angetreten, um Verantwortung zu übernehmen, „das muss nicht leicht sein oder ständig Spaß machen“.

„Mir gibt Hoffnung, dass eine große Mehrheit in Deutschland nach wie vor auf vernünftige Lösungen setzt.“
Robin Mesarosch

Zugleich betont er: „Wer übrigens ins Ausland schaut, wird sehen, wie stark unsere Demokratie ist und wie viel uns doch gelingt. Politische Kräfte wie die AfD, die das leugnen, bieten selbst gar keine Lösungen an, sondern schüren nur Angst und Hass.“

Hoffnung gebe ihm, dass „eine große Mehrheit in Deutschland nach wie vor auf vernünftige Lösungen setzt. Zu oft ist diese Mehrheit sehr leise, aber das sind trotzdem die allermeisten Rückmeldungen, die ich bei uns aus der Gegend bekomme. Und das ist ein schönes Gefühl.“

Derya Türk-Nachbaur, SPD, Wahlkreis Schwarzwald-Baar

Derya Türk-Nachbaur, SPD.
Derya Türk-Nachbaur, SPD. | Bild: Fionn Große

Der Wechsel nach Berlin sei für sie und ihre Familie „schon eine große Umstellung“ gewesen, erklärt Derya Türk-Nachbaur. „Ich war bis jetzt insgesamt 23 Wochen weg von Bad Dürrheim und dem Schwarzwald-Baar-Kreis.“ Zur Parlamentsarbeit in Berlin kommen bei ihr durch ihre Ausschusstätigkeiten Dienstreisen ins Ausland hinzu.

„Und natürlich vermisse ich dann jeweils meine Kinder ganz arg, wenn ich so weit von ihnen entfernt bin. Aber dank einer tollen Familie, eines tollen Mitarbeiter-Teams und tollen Freunden funktioniert das.“ Und sie videotelefoniere täglich mit ihrer Familie, „sage meinen Kindern immer gute Nacht“.

„Wir fassen in einem sehr hohen Tempo Entscheidungen, die Auswirkungen für das Leben aller Bürger haben.“
Derya Türk-Nachbaur

Sie wolle sich auch gar nicht beschweren: „Ich wusste, dass mich ein 24/7-Job erwartet, als ich mich als Kandidatin habe aufstellen lassen, wusste, worauf ich mich einlasse, und mache es gerne.“ Das Einzige, „was wirklich doof ist, sind die langen Zugfahrten nach Berlin. Wenn es gut läuft, bin ich jeweils acht Stunden und 45 Minuten unterwegs.“

Zu den organisatorischen Herausforderungen kommt die Gemengelage an Krisen, die das erste Jahr von Türk-Nachbaur im Bundestag geprägt haben. „Ich merke vor allem vor Ort im Wahlkreis, wie viel man als Politiker erklären muss. Denn wir fassen in einem sehr hohen Tempo Entscheidungen, die Auswirkungen für das Leben aller Bürger haben.“

„Alles, was strafrechtlich relevant ist, bringe ich zur Anzeige, und sonst vergeude ich dafür keine Zeit.“
Derya Türk-Nachbaur

Deshalb könne sie die Sorgen und den Frust verstehen, die ihr auch in E-Mails entgegenschlagen. In der Regel könne man dabei in einen Austausch treten. „Aber es gibt auch einige, die ihre vorgefertigte Meinung haben, die mitunter beleidigend werden, mir gegenüber dann meist in sexualisierter oder rassistischer Form. Das hat in diesem Jahr auf jeden Fall zugenommen über Mails oder soziale Medien.“

Aber sie könne ganz gut damit umgehen. „Alles, was strafrechtlich relevant ist, bringe ich zur Anzeige, und sonst vergeude ich dafür keine Zeit. Wir haben als Abgeordnete gerade jetzt eine riesengroße Aufgabe und Verantwortung – und darin stecke ich meine volle Energie.“

Volker Mayer-Lay, CDU, Wahlkreis Bodensee

Volker Mayer-Lay, CDU.
Volker Mayer-Lay, CDU. | Bild: Büro Volker Mayer-Lay MdB

„Es ist wirklich wie eine neue Welt, die man betritt, wenn man in den Bundestag gewählt wurde“, beschreibt Volker Mayer-Lay die Veränderungen, die seine Wahl im vergangenen Jahr mit sich gebracht hat. „Es ist, wie wenn man auf einmal zwei Heimaten hat – zum einen die schöne Bodensee-Region und zum anderen die Großstadt Berlin.“

An unregelmäßige Arbeitszeiten habe er sich zwar bereits als selbstständiger Rechtsanwalt gewöhnt. Seine Nächte seien jetzt aber deutlich kürzer. „Gerade in Sitzungswochen arbeitet man oft von frühmorgens bis spätabends, trifft sich zu parlamentarischen Frühstücken und hat teilweise erst nach Mitternacht Feierabend, etwa weil eine namentliche Abstimmung so lange dauert.“

„Dazu sind wir ja gewählt worden, um Probleme zu lösen.“
Volker Mayer-Lay

Und auch sonst gab es dieses Jahr genug Arbeit für Mayer-Lay und seine Kollegen. „Mit einer solchen Vielzahl an Krisen hätte wirklich niemand gerechnet. Aber dazu sind wir ja gewählt worden, um Probleme zu lösen. Und wenn man es ernst meint mit dem Mandat, stellt man sich dieser Herausforderung auch.“

Oft hätten ihn gewisse Themen auch den Schlaf geraubt: „Weil mich das alles so umgetrieben hat – sei es die Abstimmung über die einrichtungsbezogene Impfpflicht, der Ausbruch des Angriffskriegs gegen die Ukraine oder die Energiekrise.“

„Das trifft einen als Volksvertreter.“
Volker Mayer-Lay

Und die Folgen all der Krisen bekomme er auch in seinem Wahlkreis gespiegelt. „Von mittelständischen Unternehmen, die keine Planungssicherheit mehr haben, über die alleinerziehende Mutter, die nicht weiß, wie sie die Heizkosten bezahlen soll, bis zu Obstbauern, die in größten Nöten sind: Das trifft einen als Volksvertreter.“

Er verstehe sich als Sprachrohr der Region und versuche, den Unmut, der ihm gegenüber kundgetan werde, ins Parlament zu tragen. „Das wird mitunter auch sehr deutlich getan. Aber das muss man auch aushalten. Das finde ich gut und richtig so. Dafür sind wir Volksvertreter da.“

Ann-Veruschka Jurisch, FDP, Wahlkreis Konstanz

Ann-Veruschka Jurisch, FDP.
Ann-Veruschka Jurisch, FDP. | Bild: Laurence Chaperon

„Mein Leben hat sich schon sehr verändert, allein dadurch, dass ich zwei Wochen im Monat in Berlin bin und damit von meiner Familie getrennt“, betont Ann-Veruschka Jurisch. „In der Hauptstadt habe ich jetzt auch eine kleine Wohnung. Auch das will organisiert sein. Bisher läuft es ganz gut.“

Auch die oft langen Arbeitszeiten seien natürlich eine Umstellung gewesen, „so dauern etwa die Sitzungen des Untersuchungsausschusses zu Afghanistan jeweils von 11.30 Uhr bis Mitternacht. Schwierig ist, dass wir Abgeordneten aus Konstanz mit den weitesten Weg nach Berlin haben.“ Deshalb fliege sie auch immer nach Berlin. „Ich würde viel lieber Zug fahren, aber aufgrund meiner familiären Situation kann ich mir das zeitlich schlicht nicht leisten.“

„Mit den Krisen dieses Jahres kam eine zusätzliche Schicht obendrauf.“
Ann-Veruschka Jurisch

Herausfordernd an der Arbeit als Abgeordnete sei zudem die große Themenvielfalt und Schnelligkeit, innerhalb derer man von einem Fachgebiet ins nächste wechseln und sich zurechtfinden müsse.

„Mit den Krisen dieses Jahres kam eine zusätzliche Schicht obendrauf. Als Fachpolitiker kennen wir uns ja in unseren jeweiligen Gebieten gut aus.“ Aber wenn es etwa um die Gaspreisbremse geht, müsse auch sie sich erst einmal zurechtfinden, so Jurisch.

„Es ist eigentlich wie bei einem Fahrradteam.“
Ann-Veruschka Jurisch

„Deshalb ist es auch so wichtig, kompetente Mitarbeiter zu haben. Und die habe ich in meinem Bundestags- und Wahlkreisbüro. Es ist eigentlich wie bei einem Fahrradteam: Einer muss vorneweg den Berg hochkommen, aber letztlich ist es das Team, das den Sieg ermöglicht.“

Lina Seitzl, SPD, Wahlkreis Konstanz

Lina Seitzl, SPD.
Lina Seitzl, SPD. | Bild: Katharina Litz

Einen „wilden“ Start in ihr erstes Jahr als Bundestagsabgeordnete hatte Lina Seitzl, wie sie sagt: „Es war auf jeden Fall ein wahnsinnig spannendes Jahr. Der Anfang war bei mir schon sehr wild. Mein Arbeitsvertrag lief noch bis Ende Oktober und ich hatte nach der Wahl noch keine Mitarbeiter, ein Büro in Konstanz zu finden war schwer, und gleichzeitig stapelten sich schon die E-Mails.“

Und natürlich habe sich seither auch ihr Privatleben komplett verändert. Sie sei mehr oder weniger alle zwei Wochen in Berlin und sonst im Wahlkreis unterwegs. „Aber ich empfinde es als wahnsinnige Ehre, diese Aufgabe und Verantwortung zu übernehmen, und es gibt wohl nur wenige Jobs, wo man auf so viele spannende Menschen trifft, jetzt nicht primär im Sinne von Spitzenpolitikern oder -funktionären, sondern vor allem auch im Wahlkreis, eine ganze Bandbreite an Berufen und Lebensentwürfen.“

„Man kann nur eine gute Politikerin sein, wenn es einem auch selbst gut geht.“
Lina Seitzl

Woran sie nach wie vor arbeite: Prioritäten zu setzen, sowohl was berufliche Termine anbelange, als auch für ihr Privatleben. „Denn ich finde, man kann nur eine gute Politikerin sein, wenn es einem auch selbst gut geht.“

Und eine stabile Gesundheit brauchte in diesem bewegten Jahr nicht nur Seitzl: „Seit dem 24. Februar hat sich viel geändert, gerade in der Energiekrise bringen wir im Eiltempo Gesetzesvorgaben durch den Bundestag. Da sind die entsprechenden Fachpolitiker besonders gefordert.“ An diese wende auch sie sich, wenn spezifische Fachfragen aus ihrem Wahlkreis kämen. Genau wie umgekehrt Fragen zu ihren Fachthemen wie dem BAföG an sie weitergereicht würden.

„Das ist gar nicht vergleichbar mit dem, was Kollegen aus Ostdeutschland erleben.“
Lina Seitzl

„Aber klar ist es wichtig, dass ich als Abgeordnete auch weiß, um was es geht. Ich bin überrascht, dass bisher von Bürgerseite angesichts der Krisen noch nicht so viel kommt. Von Bürgermeistern und Unternehmen ja, da besteht viel Redebedarf.“

Aber sie seien weit entfernt von der Zeit, als es um eine mögliche Impfpflicht ging und zeitweise pro Woche an die 1000 E-Mails eintrudelten. „Bisher kommen vor allem positive Rückmeldungen zur Gaspreisbremse bei mir an. Das ist gar nicht vergleichbar mit dem, was Kollegen aus Ostdeutschland erleben, die teilweise massiv angegriffen werden. Da bin ich auch gottfroh, dass das in unserer Region nicht üblich ist.“