Eigentlich kannten die Zahlen der baden-württembergischen Tourismusbranche nur eine Richtung: nach oben. Neun Rekordjahre in Folge, mehr als 57 Millionen Übernachtungen zwischen Bodensee, Schwarzwald, Schwäbischer Alb und der Kurpfalz. Alles jäh ausgebremst durch die Corona-Krise. Von heute auf morgen sorgt sich die erfolgsverwöhnte Branche um ihre Existenz, sie fürchtet um Tausende Betriebe, warnt vor Zehntausenden Arbeitslosen und ruft nach einem weiteren Hilfspaket nach den bereits gezahlten Corona-Soforthilfen.
Shutdown als Erfolgsgarant?
So absurd es klingt: Trotz der wirtschaftlichen Dramatik könnte der weltweite Shutdown für die Branche in Baden-Württemberg ein Erfolgsgarant sein, sofern sie nicht am Boden liegt.
„Viele Gäste werden im eigenen Land, zum Beispiel im Schwarzwald oder am Bodensee, Urlaub machen“, sagt Martin Keppler, der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Nordschwarzwald, die für den Tourismus der IHK in Baden-Württemberg federführend ist. „Dann müssen die touristischen Angebote und Betriebe dort aber auch bereitstehen können.“
Wiedereröffnung mit reduzierten Kapazitäten
Nach den Lockerungen für den Einzelhandel fordert Baden-Württembergs Tourismusminister Guido Wolf (CDU) deshalb in einem nächsten Schritt nach dem 3. Mai auch eine schrittweise Perspektive für die Tourismus- und Gastro-Branche. „Ich könnte mir vorstellen, dass man Gaststätten, Hotels, Parks und Ausflugsziele zunächst mit reduzierten Kapazitäten wieder öffnet“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Die Besucher könnten sich beispielsweise zuvor anmelden, auch online, damit man einen Überblick über die Gäste hat.“ Auch bei Ferien auf dem Bauernhof oder auf Campingplätzen, in Ferienwohnungen oder kleineren Pensionen ließen sich Abstandsregeln gut einhalten.
Die IHK hoffen ebenfalls auf eine schrittweise Lockerung. IHK-Hauptgeschäftsführer Keppler schlägt vor, diese abhängig zu machen von der Struktur der Betriebe, wie es auch im Handel praktiziert wird.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat allerdings wiederholt die nur langsame Rückkehr in die Normalität gerechtfertigt. Das Risiko einer erneuten Infektionswelle sei zu hoch, sagt er. Nur mit einem schrittweisen Vorgehen habe der Staat die Möglichkeit, den Verlauf der Pandemie zu steuern und gegebenenfalls das Vorgehen zu korrigieren. Deshalb werde man sich langsam vortasten und das Handeln immer wieder überprüfen.
Sommersaison noch nicht abschreiben
Aber die Zeit drängt. Denn nach dem Shutdown in den Osterferien und über das erste Mai-Wochenende und nach den wahrscheinlich verpassten Pfingstferien hoffen die Anbieter, ebenso wie Fremdenführer, Fahrradverleiher, Reisebüros oder Busunternehmer auf den Sommer. Wolf macht ihnen Hoffnung: „Es ist in jedem Fall zu früh, die Sommersaison für die touristischen Betriebe in Baden-Württemberg abzuschreiben“, sagt er der dpa. Denn bei der Verzögerung der Ausbreitung des Virus gebe es eine positive Entwicklung. „Setzt sich die Stabilisierung fort, gehe ich davon aus, dass man zunächst Ausflüge und Urlaube im eigenen Land wieder ermöglichen kann.“
Sommerurlaub in Baden-Württemberg? Aber wie soll das gehen angesichts der strikten Kontaktbeschränkungen? Nach Ansicht Wolfs könnte die Zahl der Belegungen und Besucher beschränkt werden, es könnte variable Öffnungszeiten geben mit zwischenzeitlichen Schließungen, um zu reinigen, vielleicht sei zunächst auch der Betrieb an der frischen Luft möglich, sagt er. „Darüber muss man aus meiner Sicht bald reden, denn die Betriebe aus Tourismus, Gastronomie und Hotellerie brauchen eine Perspektive“, fordert Wolf. „Sie leiden wie keine andere Branche unter den aktuellen Einschränkungen.“
(dpa)