Von vielen ist keine Spur mehr. Einstige afghanische Soldaten sind wie vom Erdboden verschluckt. Auch Khodadad Ataiy war Offizier bei der afghanischen Armee, seine Ausbildung machte er unter anderem in Donaueschingen. Jetzt hält er sich in Herat versteckt – und bangt um sein Leben. Denn für die Taliban ist er der Feind.

Als die USA und auch die Bundeswehr sich aus dem Gebiet zurückzogen, implodierte die afghanische Armee, binnen weniger Tage und Wochen fiel nahezu das ganze Land in die Hände der islamistischen Terrorgruppe. Die US-Armee und die Bundeswehr organisierten bis Ende August Evakuierungsflüge – doch noch immer verbleiben Deutsche im Land, ebenso wie frühere Ortskräfte der Bundeswehr, die für die Taliban Kollaborateure sind, der Feind. Sie müssen um ihr Leben fürchten. So wie Khodadad Ataiy.

Ein Blick in eine Straße von Herat – nur wenige Menschen sind draußen. Die Angst vor den Taliban ist zurück.
Ein Blick in eine Straße von Herat – nur wenige Menschen sind draußen. Die Angst vor den Taliban ist zurück. | Bild: Khodadad Ataiy

Er war einer von vielen verzweifelten Afghanen, die sich auf die gefährliche Reise nach Kabul machten, in der Hoffnung, auch ohne Papiere in einen der Flieger steigen zu können. Tagelang harrte er dort aus, bis er mit seiner Familie den Flughafen wieder verließ – und so dem tödlichen Anschlag entging, der fast 80 Afghanen und 13 US-Soldaten aus dem Leben riss.

Ataiy hatte keine Wahl: Er kehrte mit seiner Familie nach Herat zurück. Jetzt sitzt er dort fest – mit der Gefahr, entdeckt zu werden. „Einige Soldaten wurden von zu Hause rausgeholt und ins Gefängnis gesteckt“, schreibt er uns über WhatsApp – seiner einzigen Verbindung zur Außenwelt. Mache Soldaten seien einfach verschwunden.

Inflation und Arbeitslosigkeit

Hinzu kommt für viele finanzielle Not. Es gibt keine Arbeit, die Inflation hat seit dem Machtwechsel heftig zugeschlagen. „Die Währung hat ihren Wert verloren“, sagt Ataiy – die Preise schnellen in die Höhe. Die Wirtschaft des Landes schrumpft, vielen droht die Armut, weil nun auch Hilfsgelder wegfallen dürften, die bislang fast die Hälfte des jährlichen Bruttoinlandsprodukts ausmachten.

Die wenigen Läden in der Straße sind kaum besucht. Die Inflation hat den Wert des Geldes ins Nichts getrieben, viele Menschen haben ...
Die wenigen Läden in der Straße sind kaum besucht. Die Inflation hat den Wert des Geldes ins Nichts getrieben, viele Menschen haben zudem ihre Arbeit verloren, Frauen dürfen gar nicht mehr arbeiten. | Bild: Khodadad Ataiy

Auch Ataiy kann keine Arbeit finden – er muss sich ohnehin bedeckt halten, damit ihn die Taliban nicht finden. „Ich kann rausgehen“, sagt er zwar. „Aber ich muss vorsichtig sein.“ Der Familie ist längst das Geld ausgegangen, er habe sich etwas geliehen von einem Freund aus Deutschland, sagt er. Doch das reicht nur noch bis zum Monatsende. Dann muss er sein Auto verkaufen, aber viel wird er dafür nicht mehr bekommen. Ataiy ist verzweifelt.

„Es ist wie früher“, berichtet Ataiy. Frauen dürfen nicht mehr arbeiten, Mädchen ab der 6. Klasse nicht mehr zur Schule gehen. Sein kleiner Sohn hat eine ungewisse Zukunft vor sich. Was in 20 Jahren Aufbauarbeit entstand, wird nun in kürzester Zeit zunichte gemacht.

Khodadad Ataiy mit seinem kleinen Sohn. Die Familie kann das Haus kaum verlassen, das Leben steht seit Monaten praktisch still.
Khodadad Ataiy mit seinem kleinen Sohn. Die Familie kann das Haus kaum verlassen, das Leben steht seit Monaten praktisch still. | Bild: Khodadad Ataiy

Angst vor Anschlägen

Hinzu kommt die Angst vor Anschlägen. Innerhalb von drei Wochen wurden im Kundus, in Khandar und in Kabul Attentate auf Moscheen verübt, zu allen hat sich die mit den Taliban verfeindete Terrororganisation Islamischer Staat bekannt. „Mehr als 200 Tote und 400 Verletzte“, sagt Ataiy. Wie er sich in dieser Lage fühlt? „Es ist ein sehr schlechtes Gefühl“, schreibt er. „Ich weiß nicht, was als nächstes passiert.“

Der 26-Jährige setzt seine ganze Hoffnung darauf, dass er bald seinen beantragten Reisepass abholen kann. Er hatte ihn beantragt, als die Amerikaner und Deutschen noch da waren, aber die Behörden hatten ihn nicht mehr ausgestellt. Jetzt verbreiten die Taliban die Botschaft, dass Pässe abgeholt werden könnten. Doch das könnte für Menschen wie Ataiy auch zur tödlichen Falle werden.

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Ataiy aber sieht ohne Pass keine Chance, das Land zu verlassen. Er hofft immer noch, in den Iran flüchten zu können, um dort bei der deutschen Botschaft Asyl zu beantragen. Doch die Chancen dafür stehen denkbar schlecht. Schon die Flucht außer Landes ist ob der geschlossenen Grenzen ein Wagnis. Aussichten auf Asyl haben ohnehin nur jene, die entweder als Ortskräfte aktiv waren, oder „besonders gefährdete“ Afghanen, die bereits eine Aufnahmezusage aus Deutschland haben. Das gilt alles nicht für Ataiy.

Auswärtiges Amt sagt Nein

Sein Fall wurde vom Auswärtigen Amt erneut geprüft. Darin heißt es: Die Aufnahmemöglichkeit nach Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes sei „eng begrenzt auf ganz besondere, hervorgehobene Ausnahmefälle“. In Betracht kommen dafür demnach nur „einzelne Personen, die in besonders herausragender und langjähriger Weise in der Menschenrechts- beziehungsweise Oppositionsarbeit aktiv waren“ und dadurch massiv gefährdet seien. Ihre Lage muss sich „ganz erheblich von der Gefährdungssituation anderer Personen in Afghanistan unterscheiden“. Das sei im Fall von Ataiy nicht der Fall.

Dabei sind auf den Rettungsflügen der Bundeswehr viele ausgeflogen worden, die keine besondere Schutzbedürftigkeit vorweisen können. Mitte Oktober hieß es dazu seitens eines Sprechers des Bundesinnenministeriums: „Nach heutigem Stand sind 5441 afghanische Staatsangehörige nach Deutschland eingereist, darunter 477 Ortskräfte inklusive 2054 Familienangehörigen.“

Viele Schutzbedürftige noch in Afghanistan

Wie viele davon sind inzwischen nach Baden-Württemberg gekommen? Robin Schray, Sprecher des Justiz- und Migrationsministeriums erklärt dem SÜDKURIER auf Anfrage: „Seit der Machtübernahme der Taliban im August sind rund 220 ehemalige Ortkräfte und Personen der Liste der besonders gefährdeten Afghanen in Baden-Württemberg aufgenommen worden“, seit Jahresbeginn seien es damit 540 Menschen aus Afghanistan, die hier Schutz gefunden haben.

Insgesamt gehe man aber von 4300 Ortskräften aus, mit ihren Kernfamilien könnten das 18.000 Menschen sein, die – theoretisch – Anspruch auf Schutz in Deutschland haben. Zudem werde eine sogenannte Menschenrechtsliste mit gefährdeten Afghanen führt, darauf stehen derzeit 2600 Menschen.

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„Wir bemühen uns mit Hochdruck darum, weitere Ausreisemöglichkeiten sowohl auf dem Land- als auch auf dem Luftweg zu schaffen“, sagt das Auswärtige Amt dazu auf Anfrage des SÜDKURIER. „Seit Ende August konnten so mehr als 1300 Personen aus Afghanistan ausreisen“. Der Großteil konnte demnach über die Landgrenze nach Pakistan reisen. Etwa 700 Personen seien zudem mit organisierten Charterflügen von Islamabad nach Deutschland gereist.

Das könnte auch für Ataiy die Rettung sein – wenn er auf eine Liste kommt. Das Patenschaftsnetzwerk für Afghanische Ortskräfte setzt sich derzeit dafür ein. Eine Chance für Ataiy gebe es demnach noch: wenn ihn die Bundeswehr, wo er ja seine Ausbildung gemacht hat, als früherer Arbeitgeber als gefährdet einstuft. Lucas Wehner, Regionalbeauftragter im Schwarzwald vom Patenschaftsnetzwerk, will sich weiter für ihn einsetzen: „Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben.“