Boris Palmer hat es wieder einmal geschafft: Der parteilose Tübinger Oberbürgermeister sorgt in diesen Tagen für hitzige Diskussionen. Und beschert dazu der Universitätsstadt am Freitag, 5. September, einen Ausnahmezustand.
Alle Plätze sind vergeben
Die 750 Plätze der Halle waren nach Bekanntgabe des Termins sofort vergeben, die Warteliste ist lang, eine Übertragung wird eingerichtet. Das Interesse am Rededuell Palmer-Frohnmaier geht weit über Baden-Württemberg hinaus.
Viele Medienvertreter haben sich angemeldet – und zahlreiche Organisationen, die mit Kundgebungen gegen die Veranstaltung protestieren wollen. Da auch die AfD selbst in der Halle ein Kontingent von 100 Plätzen besetzen darf, dürfte der Tübinger Polizei am Freitag rund um die Lage ein Großeinsatz bevorstehen. Der Grünen-Stadtverband Tübingen, Palmers frühere politische Heimat, begrüßt in einem Statement friedliche Demonstrationen gegen die Veranstaltung, lehnt das Streitgespräch aber nicht grundsätzlich ab – man hat zumindest die Hoffnung, Palmer möge die AfD in dem Gespräch inhaltlich stellen.
Kritik an Palmer im Netz
Auch im Netz kochen die Diskussionen hoch. Mit schärfsten Worten formulierte der Stuttgarter Linken-Bundestagsabgeordnete Luigi Pantisano, der Palmer auf der Kurznachrichtenplattform X bezichtigte, sich „selbst den Faschisten als williger Helfer anzubiedern“ – was Palmer mit Verweis auf seine Familiengeschichte scharf entgegnete.
Zustande kommt die Veranstaltung, weil Palmer im Juli bei der AfD anfragen ließ, ob sie eine für den 19. Juli geplante Mini-Demonstration – erwartet wurden um die 35 Teilnehmer – absagen oder verlegen könne, um den erwarteten Aufmarsch von mehreren Tausend Gegendemonstranten samt dadurch ausgelöstem Verkehrschaos zu verhindern.
Die Rechtspartei stimmte einer Absage zu – wenn sich Palmer im Gegenzug einem öffentlichen Streitgespräch mit der AfD stellen würde. Dazu fühlte sich der 53-Jährige rhetorisch und argumentativ gewappnet, wie Palmer die Entscheidung, die Aufforderung anzunehmen, begründete. Als Bühne für die AfD oder als Beitrag zu ihrer Normalisierung wollte Palmer die Veranstaltung aber nicht verstanden wissen.
Wer profitiert von der Veranstaltung?
Ob die Veranstaltung auf das Konto der AfD einzahle, darüber mag der Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler und Politikforscher Frank Brettschneider im Vorfeld nicht spekulieren. „Dieses Streitgespräch stößt aufgrund seiner Neuartigkeit und Zusammensetzung auf großes Interesse“, sagte Brettschneider unserer Redaktion auf Anfrage. „Zunächst einmal profitieren davon sowohl Boris Palmer als auch die AfD. Wer dann in der Sache profitieren wird, werden wir sehen.“
Der Wissenschaftler traut Palmer zu, deutlich machen zu können, dass die AfD für die dringlichen Aufgaben in Deutschland keine tauglichen Lösungen habe. „Seine eigenen Anhänger wird er damit überzeugen können. Ob Palmer auch Anhänger der AfD erreichen und zum Nachdenken bringen wird, ist fraglich. Aus meiner Sicht geht es aber weniger um die AfD-Wähler, sondern um die Personen, die mit den anderen Parteien unzufrieden sind und am politischen System zweifeln. Wenn Palmer diese Personen erreichen könnte, wäre das bereits viel wert“, so Brettschneider.
Aufmerksamkeit für die AfD wird erzeugt
Und Palmer habe ja bereits selbst betont, dass es Risiken und Bedenken gebe: „Er hat auch eingeräumt, dass diese Veranstaltung eine große Aufmerksamkeit für die AfD erzeugt. Gleichwohl überwogen für ihn, so seine Aussage, die Gründe für eine solche Veranstaltung: In erster Linie wollte er so eine im Juli geplante Demonstration der AfD in Tübingen abwenden. Diesen Grund nehme ich ihm ab. Ziemlich sicher ist, dass er sich diese Auseinandersetzung mit der AfD zutraut. Und dass eine inhaltliche Auseinandersetzung nötig ist, scheint mir offenkundig.“
Als Vorbildformat für den anstehenden Landtagswahlkampf empfiehlt Brettschneider das Format allerdings nicht. Überschriften wie „Schaukampf der Populisten“ hält er zudem nicht für treffend. „Ich würde eher von einem Streitgespräch sprechen. Und dann werden wir sehen, ob es eher um einen Schaukampf oder um eine von Palmer geführte Auseinandersetzung um geeignete Lösungen für gesellschaftliche Probleme geht.“
Brettschneider nimmt vor allem auch die Medien in die Pflicht über die Außenwirkung. „Betonen Massenmedien eher den Kampf-Aspekt – oder berichten und hinterfragen sie inhaltliche Positionen? Meines Erachtens sollten wir uns das Gespräch nicht mit der Erwartung anschauen, einem Spektakel beizuwohnen, sondern erst mal zuhören.“