Seit 2016 führt Arndt Lüdtke die im Schweizer Lengwil ansässige Tegometall-Gruppe, ein Mittelständler in Familienhand mit 700 Mitarbeitern, 120 Millionen Euro Jahresumsatz und Wurzeln im Schwäbischen. Zwei Produktionswerke für Industrieregale und Ladenbau sind im nördlichen Umland des Bodensees angesiedelt – eines in Krauchenwies und eines in Sauldorf.

Nach 35 Jahren soll letzteres geschlossen werden. Rund 90 Beschäftigte verlieren Ende September ihre Arbeit. Dass Mittelständler ganze Werke dichtmachen, hat im industriestarken Baden-Württemberg Seltenheitswert. Firmen-Chef Lüdke erklärt die Gründe:

Ein Firmenchef redet sich den Frust von der Seele

„Die vergangene Woche war die schwerste meiner gesamten Laufbahn. Ich musste einen Standort schließen. Unser Werk in Sauldorf zwischen Linzgau und Hegau. Am Donnerstag hat jeder einzelne der fast 90 Mitarbeiter in dem Produktionswerk seine Kündigung in einem Kuvert erhalten. Ende September wird die Produktion auf null heruntergefahren. Dann ist Schluss. So etwas will man nicht erleben.

Regale für Baumärkte und Möbelketten

In Sauldorf fertigen wir seit 35 Jahren Industrieregale. Unsere Kunden sind Baumärkte, Logistikfirmen, Einzelhandelsketten und Möbelhäuser. Auch die Marktführer in ihrem jeweiligen Segment sind dabei. Wir stellen Spitzentechnologie her, und ich würde sagen, wir gehören zu den Besten. In vielen der riesigen Hochregallager, die in den letzten Jahrzehnten in Europa gebaut wurden, stehen Regale von Tegometall.

Riesige Stahlbleche sind der Rohstoff, aus dem Tegometall seine Industrieregale fertigt. Zölle verteuern die Stähle derzeit massiv. ...
Riesige Stahlbleche sind der Rohstoff, aus dem Tegometall seine Industrieregale fertigt. Zölle verteuern die Stähle derzeit massiv. Einen weiteren Standort gibt es in Krauchenwies. Hier läuft der Betrieb, anders als im Werk Sauldorf, weiter. | Bild: Tegometall, Hartmut Steffeck

Dass wir das Werk dichtmachen müssen, hätten wir uns bis vor Kurzem nicht vorstellen können. Natürlich ist das eine Katastrophe, vor allem für die Beschäftigten. Aber auch für mich als Firmenchef und besonders für die Eignerfamilie.

Die Produktion in Sauldorf ist Teil ihres Lebenswerks. Wir dachten, alles richtig gemacht zu haben, indem wir mittels Automatisierung die bis dahin normalen Kostensteigerungen abgefangen haben. Tatsächlich aber ging es einfach nicht mehr.

Rationalisierungsstrategie funktioniert nicht mehr

Seit mehr als zwei Jahren schreibt unser Werk in Sauldorf rote Zahlen. Die Auftragseingänge sind 2024 um mehr als 20 Prozent eingebrochen. Anfangs dachten wir noch ‚das kriegen wir irgendwie wieder hin‘. Noch mal rationalisieren, noch mal irgendwo optimieren und ein paar Euro herauskitzeln.

Aber dieses Jahr wurde es noch viel schlimmer. Aktuell stehen in den Orderbüchern mehr als 60 Prozent weniger Aufträge als im Vorjahreszeitraum. Und es gibt keinerlei Hinweis, dass es in den kommenden Monaten besser wird. Ich habe mir sogar die Frage gestellt, ob ich als Chef mit dem Schließungsbeschluss zu lange gewartet habe? Immerhin verbrennen wir jeden Tag Geld.

In Sauldorf ist die Tegometall Lagertechnik GmbH mit einem Produktionsstandort nebst Gleisanschluss angesiedelt. Ende September soll nun ...
In Sauldorf ist die Tegometall Lagertechnik GmbH mit einem Produktionsstandort nebst Gleisanschluss angesiedelt. Ende September soll nun hier Schluss sein. Das Werk wird geschlossen. | Bild: Günther Brender

Im Frühjahr habe ich mir Zeit genommen und habe alle unsere Großkunden persönlich besucht, um ihre Bereitschaft auszuloten, zu investieren. Aber keiner will mehr Geld in die Hand nehmen. Die Handelsketten merken die grassierende Konsumzurückhaltung. Daher stehen sie bei Investitionen voll auf der Bremse. Bei allen ist es totenstill. Auch unsere Vertriebsabteilung hat Extraschichten geschoben – ohne Erfolg.

Die Lage ist für uns aussichtslos

Ich sage das ungern, aber unsere Lage im Markt der Industrieregale ist im Moment aussichtslos. Wir spüren Gegenwind von überallher. Die Kosten laufen uns davon, die Konkurrenz aus dem Ausland produziert viel, viel billiger.

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Ich fange mal ganz vorne an. Da wären die Personalkosten, die immer weiter gestiegen sind, genau wie die Lohnnebenkosten und auch teilweise die Steuerlast. Ganz zu schweigen vom sprichwörtlichen Bürokratieaufwand. Das alles ist sehr fordernd, aber wir haben für diese Punkte trotzdem immer noch eine Lösung gefunden.

Die Wirkung von Zoll- und realen Kriegen

Anderswo gibt es keine Lösung mehr. Um die Steigerung bei den Personalkosten abzufedern, setzen wir seit Jahren auf Automatisierung. Wir kaufen also neue Maschinen. Die brauchen aber Energie, sei es Strom oder Gas. Beides ist seit der Corona-Krise und dem Ukraine-Krieg aber massiv teurer geworden.

Wir waren vor den Krisen bei zirka drei Prozent Energiekostenanteil an der Betriebsleistung, jetzt sind wir bei deutlich über zehn Prozent. Unsere Strategie, durch Automatisierung wettbewerbsfähiger zu werden, geht also nicht mehr auf, weil zusätzlich die Automatisierung wieder mehr Energie benötigt.

Das große neue Logistikzentrum der Tegometall wurde 2016 offiziell in Betrieb genommen. 2018 feierte das Unternehmen mit Sitz in der ...
Das große neue Logistikzentrum der Tegometall wurde 2016 offiziell in Betrieb genommen. 2018 feierte das Unternehmen mit Sitz in der Schweiz 50-jähriges Jubiläum. | Bild: Volk, Siegfried

Okay, haben wir gedacht, dann sparen wir eben beim Stahl. Das ist unser wichtigster Rohstoff, und wir verbrauchen jedes Jahr Unmengen davon. Aber der Preis für Stahl ist in Deutschland durch die CO2-Bepreisung künstlich nach oben getrieben worden. Stähle von ausländischen Lieferanten zu beziehen, macht es nicht besser.

Stahl aus Asien, etwa aus China ist zirka 25 Prozent günstiger, unterliegt aber Einfuhrzöllen durch die EU von 22 bis in Einzelfällen 86 Prozent. Das müssen wir auf den Preis unserer Produkte draufschlagen, die dann viel zu teuer werden. Früher wäre man jetzt auf Stahl aus Russland ausgewichen, aber auch das geht nicht mehr. Ich will mit meinen Produkten keinen Krieg finanzieren, und auch meine Kunden wollen das nicht.

Konkurrenz aus Asien und Türkei macht jetzt das Geschäft

Unsere Konkurrenz im Nicht-EU-Ausland hat all diese Probleme nicht. Die profitiert von günstiger Energie und Löhnen sowie niedrigen Stahlpreisen. Und wenn sie ihre fertigen Stahlregale in die EU einführt, wird kein Zoll fällig. Das Geschäft, das noch da ist, machen jetzt ausländische Anbieter. Und sie machen gute Gewinne.

„Wir retten die Welt und zerstören uns“

Ich bin nicht sicher, wo das enden soll, auch volkswirtschaftlich. Denn viele Unternehmen, die auf Stahl und Energie als Ausgangsstoffe angewiesen sind, haben ähnliche Probleme. Wir sind in einem Dilemma gefangen. Wir retten die Welt und zerstören uns.

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Von der Politik bin ich nur noch enttäuscht. Ich bin nicht gegen Umweltschutz, Arbeitssicherheit und hohe Standards. Bitte nicht falsch verstehen, das waren und sind immer auch unsere Ziele gewesen. Aber ich habe das Gefühl, dass man sich oft nicht überlegt, wie politische Entscheidungen von den Betroffenen umgesetzt werden sollen?

Jüngst war ich in Stuttgart auf einer Wasserstofftagung. Da hieß es, die Erdgasversorgung laufe in wenigen Jahren aus, die Deadline ist in Baden-Württemberg Gesetz. Dafür beziehe man dann Wasserstoff.

Mal davon abgesehen, dass komplett unklar ist, ob das klappt: Es gibt im Moment noch weder eine Maschine noch einen Prozess für uns, der mit Wasserstoff läuft. Wir brauchen aber irgendwas, um unsere Regale pulverbeschichten zu können – entweder günstiges Erdgas oder Wasserstoff. Wenn beides nicht mehr da ist, können wir einpacken.

Einsatz der Belegschaft über viele Jahre

Noch ein Wort zu unseren Mitarbeitern. Nach der Mitarbeiterversammlung vergangenen Donnerstag bin ich zu ihnen gegangen. Ich habe meinen Augen nicht getraut. Sie hatten Verständnis für das, was wir tun. Auch sie kennen keine Lösung.

Der eine oder andere hat sich sogar bedankt, dass wir so lange durchgehalten haben. Ich sage das nicht, um die Sache herunterzuspielen. Ein Werk zu schließen, ist an Härte fast nicht zu übertreffen, zumal mit Blick auf die Lage am Arbeitsmarkt. Ich weiß, es hilft nicht wirklich, aber für den Einsatz der Belegschaft über die vielen Jahre bedanke ich mich sehr.“