Um 12.20 Uhr weiß Mike W. nicht, wo er beginnen soll, sagt er. Nun hat er das letzte Wort. Er empfindet es als unanständig, sich zu verteidigen – schließlich starb jemand durch ihn, räumt er ein. Was damals im Haus auf der Höri geschehen sei, wünsche er nicht einmal seinem schlimmsten Feind, sagt der Mann, der sich seit Anfang Oktober 2024 vor dem Landgericht Konstanz wegen des Mordes an Jan Heisig verantworten muss. 

Mike W. beteuert, im Sommer 2019 nicht gewusst zu haben, dass es hier um Geld ging. Er sei nur dabei gewesen, weil seine Partnerin Angst vor ihrem Bruder hatte. Sie erzählte ihm, der 51-Jährige habe sie in ihrer Kindheit sexuell missbraucht.

Deshalb eilte er an jenem Abend des 2. Juni 2019 mit einer gewissen Dringlichkeit ins Schlafzimmer. Nichts, was dann geschah, sei beabsichtigt gewesen. Er könne sich nur bei der Familie entschuldigen und ihnen ein Gespräch anbieten. „Ich bin jederzeit bereit, zu erzählen.“ Dann endet dieser 14. Verhandlungstag. Alle Plädoyers sind gehört.

Urteil fällt kommende Woche

Am 14. Februar trifft man sich hier wieder – die Kammer unter Vorsitz von Richter Arno Hornstein wird dann ihr Urteil verkünden. Nach den Anträgen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage geht es entweder um lebenslang für einen Mord aus Habgier oder um sieben Jahre für Körperverletzung mit Todesfolge. Das forderte der Verteidiger, ebenso wie die Unterbringung seines Mandanten im Maßregelvollzug.

Scharfe Kritik am Gutachter

Bevor der Angeklagte am Montag selbst das Wort ergreifen konnte, griff Hornstein ein. Und stellte klar: Die Kammer verwahre sich dagegen, einen Sachverständigen beauftragt zu haben, der ein bestimmtes Ziel verfolge. „Was hätten wir auch davon?“ Der Gutachter, um den es geht: Hermann Assfalg.

Jan Heisig wurde nur 51 Jahre alt. Er verschwand auf der Halbinsel Höri.
Jan Heisig wurde nur 51 Jahre alt. Er verschwand auf der Halbinsel Höri. | Bild: SK-Collage/rla/Mende/privat

Pflichtverteidiger Marc Decker hatte zuvor sein knapp 90-minütiges Plädoyer beendet und dabei scharfe Kritik an Assfalg geübt. Der Gutachter hatte dem Angeklagten im Prozess volle Schuldfähigkeit attestiert. Für Decker steht dagegen außer Frage, dass sein Mandant im Zustand verminderter Schuldfähigkeit und im Affekt handelte.

Decker zweifelte zudem Assfalgs Neutralität und Kompetenz an. Der Sachverständige komme zudem häufig vor Gerichten zum gleichen Schluss, man könne ihn auch als „Mister Vollschuldfähig“ bezeichnen. Für ein faires Verfahren habe das einen üblen Beigeschmack.

„Heisig kann nicht arg- und wehrlos gewesen sein“

Mike W. sei von der Halbschwester des Opfers zur Tat verleitet worden. Sie habe Angst um ihr Erbe gehabt, weil Heisig es verprasst haben soll. Als sie auf der Höri eintrafen, sei der Angeklagte voller Wut, Zorn und Kokain gewesen. Die Rechtsmedizinerin habe aber die genaue Abfolge der Gewalt im Schlafzimmer nicht bestimmen können. Ebenso stellte Decker einen Tötungsvorsatz infrage und argumentierte, dass Rippenbrüche am Opfer auch durch Reanimationsversuche entstanden sein könnten.

Das Verhalten des Angeklagten nach der Tat deute auch nicht auf eine geplante Aktion hin. Eine Heimtücke schloss der Verteidiger aus, da er durch die Aussage des Mitbewohners einen lauten Streit zwischen Mike W. und dem Hausherrn belegt sieht. Das Opfer könne nicht arg- und wehrlos gewesen sein. Sein Mandant sei geständig gewesen, habe noch Aufklärungshilfe geleistet und sei noch nie wegen Gewaltdelikten verurteilt worden.

Ende 2024 kam die Polizei erneut mit schwerem Gerät auf die Höri – und entdeckte im Garten seines früheren Wohnhauses seine sterblichen ...
Ende 2024 kam die Polizei erneut mit schwerem Gerät auf die Höri – und entdeckte im Garten seines früheren Wohnhauses seine sterblichen Überreste. | Bild: Durain

Staatsanwalt: Hier lag volle Schuldfähigkeit vor

Oberstaatsanwalt Egon Kiefer sieht das ganz anders. Demnach wollten Mike W. und die Halbschwester die Position von Jan Heisig auf der Höri einnehmen. Denn da gebe es Geld – das sei das Tatmotiv.

Dafür spreche auch, dass das Paar zuerst bei der Mutter im Pflegeheim stoppte und ihr eine Vollmacht vorlegte, um der Halbschwester die Kontrolle über Finanzen und Haus zu übertragen. Der 49-Jährige ließ die Leiche mit außergewöhnlichem Perfektionismus verschwinden, sagt Kiefer. An der Tötungsabsicht des Angeklagten bestünde kein Zweifel.

Die Einlassung von Mike W. sei in sich widersprüchlich. Das rechtsmedizinische Gutachten belege dagegen, dass es einen massiven Angriff auf den Halsbereich gab. Wer den Kehlkopf mit solcher Wucht angreife, handele immer in Tötungsvorsatz. Hier liege keine Affekttat vor, Mike W. sei zielgerichtet und kaltblütig vorgegangen. Er habe noch den herbeieilenden Mitbewohner gestoppt, der hätte helfen können. Da habe der Hausherr noch gelebt.

Die Behauptung des Angeklagten, Heisig habe nach der Tat noch zwei Tage gelebt, sei durch die Gerichtsmedizin widerlegt. Mike W. habe Jan Heisig heimtückisch aus Habgier getötet. Selbst wenn Heisig noch länger gelebt hat, sei es ein Mord durch Unterlassen.

Jan Heisig noch immer nicht beerdigt

Nebenklage-Anwalt Daniel Heuser schloss sich den Ausführungen der Staatsanwaltschaft vollumfänglich an. Die Einlassung des Angeklagten sei widerlegt worden; der Angeklagte habe versucht, mit seiner Aussage zu taktieren. Erst als eine Verurteilung unausweichlich erschien, habe er den Aufenthaltsort der Leiche preisgegeben.

Auch das Verhalten nach der Tat spreche für sich. Die Art und Weise, wie die Leiche entsorgt wurde – in Folie eingewickelt und mit Bitumen überzogen – lasse darauf schließen, dass es sich um eine geplante Tat handelte. Heusers Mandantin, die Ehefrau des Opfers, befinde sich nach wie vor in einem psychischen Ausnahmezustand. Bis heute haben sie Jan Heisig nicht beerdigen können.